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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Unhaltbarkeit abweichender Bestimmungen des Begriffs Metaphysik.
stellung findet sich daher bei dem Namen Metaphysik am stärksten
zu der Gedankenwelt eines Plato oder Aristoteles, Thomas von
Aquino oder Leibniz hingezogen. Und diese Idee von Metaphysik
wird durch den Namen selber unterstützt, den auch Kant auf ein Objekt
bezog, welches trans physicam gelegen sei 1). Auch hier wird eine
einzelne Beziehung der Metaphysik einseitig herausgehoben; in die Welt
des Glaubens reichen einige der tiefsten Wurzeln der bezeichneten
Klasse metaphysischer Systeme, und aus diesen sogen dieselben einen
Theil ihrer Kraft, das Gemüth ganzer Zeitalter zu beherrschen.

Endlich bezeichnen Schriftsteller jeden Zustand von Ueber-
zeugung
über den allgemeinen objektiven Zusammenhang der Wirk-
lichkeit oder enger über das die Wirklichkeit Ueberschreitende als
Metaphysik, und so sprechen sie von einer naturwüchsigen, einer
Volksmetaphysik. Sie drücken richtig eine Verwandtschaft aus,
welche zwischen diesen Ueberzeugungen und der Metaphysik als
Wissenschaft besteht, aber das Bewußtsein dieser Verwandtschaft
wird angemessener durch eine Anwendung der bezeichneten Aus-
drücke in einem übertragenen Sinn bezeichnet, als durch eine solche
Erweiterung des Wortsinns von Metaphysik, welche die geschichtliche
Einschränkung desselben auf Wissenschaft aufhebt.

Wir gebrauchen also den Ausdruck: Metaphysik in dem
entwickelten von Aristoteles geprägten Verstande. Während nun
Wissenschaft überhaupt nur mit der Menschheit selber wieder unter-
gehen kann, ist innerhalb ihres Systems diese Metaphysik eine
geschichtlich begrenzte Erscheinung
. Andere Thatsachen des
geistigen Lebens gehen ihr innerhalb des Zweckzusammenhangs
unserer intellektuellen Entwicklung voraus, sie ist von anderen be-
gleitet und wird von ihnen in der Herrschaft abgelöst. Der ge-
schichtliche Verlauf zeigt als solche andere Thatsachen: die Religion,
den Mythos, die Theologie, die Einzelwissenschaften der Natur
und der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit, endlich die Selbst-
besinnung und die in ihr entspringende Erkenntnißtheorie. So
empfängt das Problem, das uns beschäftigt, auch die Gestalt:

1) Kant 1, 558.

Unhaltbarkeit abweichender Beſtimmungen des Begriffs Metaphyſik.
ſtellung findet ſich daher bei dem Namen Metaphyſik am ſtärkſten
zu der Gedankenwelt eines Plato oder Ariſtoteles, Thomas von
Aquino oder Leibniz hingezogen. Und dieſe Idee von Metaphyſik
wird durch den Namen ſelber unterſtützt, den auch Kant auf ein Objekt
bezog, welches trans physicam gelegen ſei 1). Auch hier wird eine
einzelne Beziehung der Metaphyſik einſeitig herausgehoben; in die Welt
des Glaubens reichen einige der tiefſten Wurzeln der bezeichneten
Klaſſe metaphyſiſcher Syſteme, und aus dieſen ſogen dieſelben einen
Theil ihrer Kraft, das Gemüth ganzer Zeitalter zu beherrſchen.

Endlich bezeichnen Schriftſteller jeden Zuſtand von Ueber-
zeugung
über den allgemeinen objektiven Zuſammenhang der Wirk-
lichkeit oder enger über das die Wirklichkeit Ueberſchreitende als
Metaphyſik, und ſo ſprechen ſie von einer naturwüchſigen, einer
Volksmetaphyſik. Sie drücken richtig eine Verwandtſchaft aus,
welche zwiſchen dieſen Ueberzeugungen und der Metaphyſik als
Wiſſenſchaft beſteht, aber das Bewußtſein dieſer Verwandtſchaft
wird angemeſſener durch eine Anwendung der bezeichneten Aus-
drücke in einem übertragenen Sinn bezeichnet, als durch eine ſolche
Erweiterung des Wortſinns von Metaphyſik, welche die geſchichtliche
Einſchränkung deſſelben auf Wiſſenſchaft aufhebt.

Wir gebrauchen alſo den Ausdruck: Metaphyſik in dem
entwickelten von Ariſtoteles geprägten Verſtande. Während nun
Wiſſenſchaft überhaupt nur mit der Menſchheit ſelber wieder unter-
gehen kann, iſt innerhalb ihres Syſtems dieſe Metaphyſik eine
geſchichtlich begrenzte Erſcheinung
. Andere Thatſachen des
geiſtigen Lebens gehen ihr innerhalb des Zweckzuſammenhangs
unſerer intellektuellen Entwicklung voraus, ſie iſt von anderen be-
gleitet und wird von ihnen in der Herrſchaft abgelöſt. Der ge-
ſchichtliche Verlauf zeigt als ſolche andere Thatſachen: die Religion,
den Mythos, die Theologie, die Einzelwiſſenſchaften der Natur
und der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Wirklichkeit, endlich die Selbſt-
beſinnung und die in ihr entſpringende Erkenntnißtheorie. So
empfängt das Problem, das uns beſchäftigt, auch die Geſtalt:

1) Kant 1, 558.
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[165/0188] Unhaltbarkeit abweichender Beſtimmungen des Begriffs Metaphyſik. ſtellung findet ſich daher bei dem Namen Metaphyſik am ſtärkſten zu der Gedankenwelt eines Plato oder Ariſtoteles, Thomas von Aquino oder Leibniz hingezogen. Und dieſe Idee von Metaphyſik wird durch den Namen ſelber unterſtützt, den auch Kant auf ein Objekt bezog, welches trans physicam gelegen ſei 1). Auch hier wird eine einzelne Beziehung der Metaphyſik einſeitig herausgehoben; in die Welt des Glaubens reichen einige der tiefſten Wurzeln der bezeichneten Klaſſe metaphyſiſcher Syſteme, und aus dieſen ſogen dieſelben einen Theil ihrer Kraft, das Gemüth ganzer Zeitalter zu beherrſchen. Endlich bezeichnen Schriftſteller jeden Zuſtand von Ueber- zeugung über den allgemeinen objektiven Zuſammenhang der Wirk- lichkeit oder enger über das die Wirklichkeit Ueberſchreitende als Metaphyſik, und ſo ſprechen ſie von einer naturwüchſigen, einer Volksmetaphyſik. Sie drücken richtig eine Verwandtſchaft aus, welche zwiſchen dieſen Ueberzeugungen und der Metaphyſik als Wiſſenſchaft beſteht, aber das Bewußtſein dieſer Verwandtſchaft wird angemeſſener durch eine Anwendung der bezeichneten Aus- drücke in einem übertragenen Sinn bezeichnet, als durch eine ſolche Erweiterung des Wortſinns von Metaphyſik, welche die geſchichtliche Einſchränkung deſſelben auf Wiſſenſchaft aufhebt. Wir gebrauchen alſo den Ausdruck: Metaphyſik in dem entwickelten von Ariſtoteles geprägten Verſtande. Während nun Wiſſenſchaft überhaupt nur mit der Menſchheit ſelber wieder unter- gehen kann, iſt innerhalb ihres Syſtems dieſe Metaphyſik eine geſchichtlich begrenzte Erſcheinung. Andere Thatſachen des geiſtigen Lebens gehen ihr innerhalb des Zweckzuſammenhangs unſerer intellektuellen Entwicklung voraus, ſie iſt von anderen be- gleitet und wird von ihnen in der Herrſchaft abgelöſt. Der ge- ſchichtliche Verlauf zeigt als ſolche andere Thatſachen: die Religion, den Mythos, die Theologie, die Einzelwiſſenſchaften der Natur und der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Wirklichkeit, endlich die Selbſt- beſinnung und die in ihr entſpringende Erkenntnißtheorie. So empfängt das Problem, das uns beſchäftigt, auch die Geſtalt: 1) Kant 1, 558.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/188>, abgerufen am 24.11.2024.