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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt.
höchst auffallend in dem anschaulich klaren und folgerichtigen
Bilde des Weltalls, das bereits die homerischen Epen enthalten.
So löste nun die beginnende griechische Wissenschaft, insbesondere
in der pythagoreischen Schule, die Untersuchung der räumlichen
und Zahlen-Verhältnisse ganz los von den praktischen Aufgaben
und untersuchte dieselben ohne jede Rücksicht auf Anwendbarkeit.
Entsprechend ging die beginnende Astronomie von der Kon-
struktion der Weltkugel aus und begann Linien auf ihr zu ziehen.
Mathematik, insbesondere Geometrie sowie deskriptive Astronomie,
in einem späteren Zeitraum hinzutretend Logik, als Theorien, welche
gewissermaßen in der Region reiner und angewandter Formen
anschauend verweilen, bilden die vollkommensten intellektuellen
Leistungen des griechischen Geistes.



Fünftes Kapitel.
Charakter der ältesten griechischen Wissenschaft.

Hundert Jahre dieser fortschreitenden Entwicklung der grie-
chischen Wissenschaft verflossen, bevor diese Physiker die Natur der
ersten Ursachen, aus denen sie den Kosmos ableiteten, einer
strengeren und allgemeineren Betrachtung unterwarfen. Und dies
war doch die Bedingung für die Entstehung einer abgesonderten
Wissenschaft der Metaphysik. Finden wir Thales im ersten Drittel
des sechsten Jahrhunderts auf der Höhe seiner Thätigkeit, so
reichen Leben und Wirksamkeit des Heraklit und Parmenides,
welche diesen Fortschritt machten, eine geraume Zeit in das fünfte
Jahrhundert hinein.

Diese hundert Jahre hindurch steht die fortschreitende Orien-
tirung im Weltall durch die Hilfsmittel von Mathematik und
Astronomie im Vordergrund der Interessen; an sie schließen sich
Versuche, einen Anfangszustand und Realgrund desselben fest-
zustellen. Das umblickende Auge des Menschen findet sich, zumal
wo die See weite Aussicht gewährt, auf einer im Kreis des
Horizontes sich abschließenden Ebene, über welcher die Halbkugel des

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt.
höchſt auffallend in dem anſchaulich klaren und folgerichtigen
Bilde des Weltalls, das bereits die homeriſchen Epen enthalten.
So löſte nun die beginnende griechiſche Wiſſenſchaft, insbeſondere
in der pythagoreiſchen Schule, die Unterſuchung der räumlichen
und Zahlen-Verhältniſſe ganz los von den praktiſchen Aufgaben
und unterſuchte dieſelben ohne jede Rückſicht auf Anwendbarkeit.
Entſprechend ging die beginnende Aſtronomie von der Kon-
ſtruktion der Weltkugel aus und begann Linien auf ihr zu ziehen.
Mathematik, insbeſondere Geometrie ſowie deſkriptive Aſtronomie,
in einem ſpäteren Zeitraum hinzutretend Logik, als Theorien, welche
gewiſſermaßen in der Region reiner und angewandter Formen
anſchauend verweilen, bilden die vollkommenſten intellektuellen
Leiſtungen des griechiſchen Geiſtes.



Fünftes Kapitel.
Charakter der älteſten griechiſchen Wiſſenſchaft.

Hundert Jahre dieſer fortſchreitenden Entwicklung der grie-
chiſchen Wiſſenſchaft verfloſſen, bevor dieſe Phyſiker die Natur der
erſten Urſachen, aus denen ſie den Kosmos ableiteten, einer
ſtrengeren und allgemeineren Betrachtung unterwarfen. Und dies
war doch die Bedingung für die Entſtehung einer abgeſonderten
Wiſſenſchaft der Metaphyſik. Finden wir Thales im erſten Drittel
des ſechſten Jahrhunderts auf der Höhe ſeiner Thätigkeit, ſo
reichen Leben und Wirkſamkeit des Heraklit und Parmenides,
welche dieſen Fortſchritt machten, eine geraume Zeit in das fünfte
Jahrhundert hinein.

Dieſe hundert Jahre hindurch ſteht die fortſchreitende Orien-
tirung im Weltall durch die Hilfsmittel von Mathematik und
Aſtronomie im Vordergrund der Intereſſen; an ſie ſchließen ſich
Verſuche, einen Anfangszuſtand und Realgrund deſſelben feſt-
zuſtellen. Das umblickende Auge des Menſchen findet ſich, zumal
wo die See weite Ausſicht gewährt, auf einer im Kreis des
Horizontes ſich abſchließenden Ebene, über welcher die Halbkugel des

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[182/0205] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. höchſt auffallend in dem anſchaulich klaren und folgerichtigen Bilde des Weltalls, das bereits die homeriſchen Epen enthalten. So löſte nun die beginnende griechiſche Wiſſenſchaft, insbeſondere in der pythagoreiſchen Schule, die Unterſuchung der räumlichen und Zahlen-Verhältniſſe ganz los von den praktiſchen Aufgaben und unterſuchte dieſelben ohne jede Rückſicht auf Anwendbarkeit. Entſprechend ging die beginnende Aſtronomie von der Kon- ſtruktion der Weltkugel aus und begann Linien auf ihr zu ziehen. Mathematik, insbeſondere Geometrie ſowie deſkriptive Aſtronomie, in einem ſpäteren Zeitraum hinzutretend Logik, als Theorien, welche gewiſſermaßen in der Region reiner und angewandter Formen anſchauend verweilen, bilden die vollkommenſten intellektuellen Leiſtungen des griechiſchen Geiſtes. Fünftes Kapitel. Charakter der älteſten griechiſchen Wiſſenſchaft. Hundert Jahre dieſer fortſchreitenden Entwicklung der grie- chiſchen Wiſſenſchaft verfloſſen, bevor dieſe Phyſiker die Natur der erſten Urſachen, aus denen ſie den Kosmos ableiteten, einer ſtrengeren und allgemeineren Betrachtung unterwarfen. Und dies war doch die Bedingung für die Entſtehung einer abgeſonderten Wiſſenſchaft der Metaphyſik. Finden wir Thales im erſten Drittel des ſechſten Jahrhunderts auf der Höhe ſeiner Thätigkeit, ſo reichen Leben und Wirkſamkeit des Heraklit und Parmenides, welche dieſen Fortſchritt machten, eine geraume Zeit in das fünfte Jahrhundert hinein. Dieſe hundert Jahre hindurch ſteht die fortſchreitende Orien- tirung im Weltall durch die Hilfsmittel von Mathematik und Aſtronomie im Vordergrund der Intereſſen; an ſie ſchließen ſich Verſuche, einen Anfangszuſtand und Realgrund deſſelben feſt- zuſtellen. Das umblickende Auge des Menſchen findet ſich, zumal wo die See weite Ausſicht gewährt, auf einer im Kreis des Horizontes ſich abſchließenden Ebene, über welcher die Halbkugel des

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/205>, abgerufen am 21.11.2024.