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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
Drittes Kapitel.
Die mechanische Weltansicht durch Leukipp und Demokrit begründet.
Die Ursachen ihrer vorläufigen Machtlosigkeit gegenüber der
monotheistischen Metaphysik.

Vergeblich stellte sich damals dieser großen Lehre von der
das Weltall zweckmäßig bewegenden Vernunft die atomistische Welt-
ansicht in den Weg, welche Leukipp und Demokrit begründet haben,
und die durch Epikur und Lukrez zu Gassendi und den modernen
Theorien einer bloßen Mechanik von Massentheilchen hinüberreicht.
Unter den Gründen, welche dem Einfluß des Demokrit in seiner
Zeit entgegenstanden, befand sich gewiß in erster Linie, daß von
seinen Prämissen aus damals eine genauere Erklärung der Bewe-
gungen der Weltkörper ganz unmöglich war.

Es ist dargelegt worden, wie mit der allgemeinen Lage der
griechischen Wissenschaft nach dem Auftreten der parmenideischen
Metaphysik die Theorie der Massentheilchen entstand; sie war re-
präsentirt von Empedocles, Anaxagoras, Leukipp, Demokrit 1).
Auch kann noch festgestellt werden, wie die atomistische Theorie
der zwei letztgenannten Denker zunächst in metaphysischen Betrach-
tungen begründet war. Denn Leukipp und Demokrit beweisen
ihre Theorie, unter der Voraussetzung der Realität von Bewegung
und Theilung, aus dem eleatischen Begriff von dem Sein als einer
untheilbaren Einheit sowie aus der mit ihm verbundenen Leugnung
von Entstehen und Vergehen 2): so leiten sie das Atom und den
leeren Raum ab.

Wir suchen die Bedeutung der atomistischen Theorie in ihrer
damals von Leukipp und Demokrit erfundenen Gestalt uns
deutlich zu machen. Wir sehen dabei ganz von ihrer eben
hervorgehobenen metaphysischen Begründung ab und sondern die
Betrachtung ihres allgemeinen wissenschaftlichen Werthes von
der ihrer Benutzbarkeit in der damaligen Lage der Wissenschaft.

1) S. 197 ff.
2) S. 195 Anm.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
Drittes Kapitel.
Die mechaniſche Weltanſicht durch Leukipp und Demokrit begründet.
Die Urſachen ihrer vorläufigen Machtloſigkeit gegenüber der
monotheiſtiſchen Metaphyſik.

Vergeblich ſtellte ſich damals dieſer großen Lehre von der
das Weltall zweckmäßig bewegenden Vernunft die atomiſtiſche Welt-
anſicht in den Weg, welche Leukipp und Demokrit begründet haben,
und die durch Epikur und Lukrez zu Gaſſendi und den modernen
Theorien einer bloßen Mechanik von Maſſentheilchen hinüberreicht.
Unter den Gründen, welche dem Einfluß des Demokrit in ſeiner
Zeit entgegenſtanden, befand ſich gewiß in erſter Linie, daß von
ſeinen Prämiſſen aus damals eine genauere Erklärung der Bewe-
gungen der Weltkörper ganz unmöglich war.

Es iſt dargelegt worden, wie mit der allgemeinen Lage der
griechiſchen Wiſſenſchaft nach dem Auftreten der parmenideiſchen
Metaphyſik die Theorie der Maſſentheilchen entſtand; ſie war re-
präſentirt von Empedocles, Anaxagoras, Leukipp, Demokrit 1).
Auch kann noch feſtgeſtellt werden, wie die atomiſtiſche Theorie
der zwei letztgenannten Denker zunächſt in metaphyſiſchen Betrach-
tungen begründet war. Denn Leukipp und Demokrit beweiſen
ihre Theorie, unter der Vorausſetzung der Realität von Bewegung
und Theilung, aus dem eleatiſchen Begriff von dem Sein als einer
untheilbaren Einheit ſowie aus der mit ihm verbundenen Leugnung
von Entſtehen und Vergehen 2): ſo leiten ſie das Atom und den
leeren Raum ab.

Wir ſuchen die Bedeutung der atomiſtiſchen Theorie in ihrer
damals von Leukipp und Demokrit erfundenen Geſtalt uns
deutlich zu machen. Wir ſehen dabei ganz von ihrer eben
hervorgehobenen metaphyſiſchen Begründung ab und ſondern die
Betrachtung ihres allgemeinen wiſſenſchaftlichen Werthes von
der ihrer Benutzbarkeit in der damaligen Lage der Wiſſenſchaft.

1) S. 197 ff.
2) S. 195 Anm.
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[212/0235] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Drittes Kapitel. Die mechaniſche Weltanſicht durch Leukipp und Demokrit begründet. Die Urſachen ihrer vorläufigen Machtloſigkeit gegenüber der monotheiſtiſchen Metaphyſik. Vergeblich ſtellte ſich damals dieſer großen Lehre von der das Weltall zweckmäßig bewegenden Vernunft die atomiſtiſche Welt- anſicht in den Weg, welche Leukipp und Demokrit begründet haben, und die durch Epikur und Lukrez zu Gaſſendi und den modernen Theorien einer bloßen Mechanik von Maſſentheilchen hinüberreicht. Unter den Gründen, welche dem Einfluß des Demokrit in ſeiner Zeit entgegenſtanden, befand ſich gewiß in erſter Linie, daß von ſeinen Prämiſſen aus damals eine genauere Erklärung der Bewe- gungen der Weltkörper ganz unmöglich war. Es iſt dargelegt worden, wie mit der allgemeinen Lage der griechiſchen Wiſſenſchaft nach dem Auftreten der parmenideiſchen Metaphyſik die Theorie der Maſſentheilchen entſtand; ſie war re- präſentirt von Empedocles, Anaxagoras, Leukipp, Demokrit 1). Auch kann noch feſtgeſtellt werden, wie die atomiſtiſche Theorie der zwei letztgenannten Denker zunächſt in metaphyſiſchen Betrach- tungen begründet war. Denn Leukipp und Demokrit beweiſen ihre Theorie, unter der Vorausſetzung der Realität von Bewegung und Theilung, aus dem eleatiſchen Begriff von dem Sein als einer untheilbaren Einheit ſowie aus der mit ihm verbundenen Leugnung von Entſtehen und Vergehen 2): ſo leiten ſie das Atom und den leeren Raum ab. Wir ſuchen die Bedeutung der atomiſtiſchen Theorie in ihrer damals von Leukipp und Demokrit erfundenen Geſtalt uns deutlich zu machen. Wir ſehen dabei ganz von ihrer eben hervorgehobenen metaphyſiſchen Begründung ab und ſondern die Betrachtung ihres allgemeinen wiſſenſchaftlichen Werthes von der ihrer Benutzbarkeit in der damaligen Lage der Wiſſenſchaft. 1) S. 197 ff. 2) S. 195 Anm.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/235>, abgerufen am 21.11.2024.