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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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I.
Absicht dieser Einleitung in die Geisteswissenschaften.

Seit Bacon's berühmtem Werke sind Schriften, welche Grund-
lage und Methode der Naturwissenschaften erörtern und so in das
Studium derselben einführen, insbesondere von Naturforschern
verfaßt worden, die bekannteste unter ihnen die von Sir John
Herschel. Es erschien als ein Bedürfniß, denen, welche sich mit
der Geschichte, der Politik, Jurisprudenz oder politischen Oekonomie,
der Theologie, Literatur oder Kunst beschäftigen, einen ähnlichen
Dienst zu leisten. Von den praktischen Bedürfnissen der Gesell-
schaft, von dem Zweck einer Berufsbildung aus, welche der
Gesellschaft ihre leitenden Organe mit den für ihre Aufgabe
nothwendigen Kenntnissen ausrüstet, pflegen diejenigen, welche sich
den bezeichneten Wissenschaften widmen, an sie heranzutreten.
Doch wird diese Berufsbildung nur in dem Verhältniß den Ein-
zelnen zu hervorragenderen Leistungen befähigen, als sie das Maß
einer technischen Abrichtung überschreitet. Die Gesellschaft ist
einem großen Maschinenbetrieb vergleichbar, welcher durch die
Dienste unzähliger Personen in Gang erhalten wird: der mit der
isolirten Technik seines Einzelberufs innerhalb ihrer Ausgerüstete
ist, wie vortrefflich er auch diese Technik inne habe, in der Lage
eines Arbeiters, der ein Leben hindurch an einem einzelnen Punkte
dieses Betriebs beschäftigt ist, ohne die Kräfte zu kennen, welche
ihn in Bewegung setzen, ja ohne von den anderen Theilen dieses
Betriebs und ihrem Zusammenwirken zu dem Zweck des Ganzen
eine Vorstellung zu haben. Er ist ein dienendes Werkzeug der
Gesellschaft, nicht ihr bewußt mitgestaltendes Organ. Diese Ein-

1*
I.
Abſicht dieſer Einleitung in die Geiſteswiſſenſchaften.

Seit Bacon’s berühmtem Werke ſind Schriften, welche Grund-
lage und Methode der Naturwiſſenſchaften erörtern und ſo in das
Studium derſelben einführen, insbeſondere von Naturforſchern
verfaßt worden, die bekannteſte unter ihnen die von Sir John
Herſchel. Es erſchien als ein Bedürfniß, denen, welche ſich mit
der Geſchichte, der Politik, Jurisprudenz oder politiſchen Oekonomie,
der Theologie, Literatur oder Kunſt beſchäftigen, einen ähnlichen
Dienſt zu leiſten. Von den praktiſchen Bedürfniſſen der Geſell-
ſchaft, von dem Zweck einer Berufsbildung aus, welche der
Geſellſchaft ihre leitenden Organe mit den für ihre Aufgabe
nothwendigen Kenntniſſen ausrüſtet, pflegen diejenigen, welche ſich
den bezeichneten Wiſſenſchaften widmen, an ſie heranzutreten.
Doch wird dieſe Berufsbildung nur in dem Verhältniß den Ein-
zelnen zu hervorragenderen Leiſtungen befähigen, als ſie das Maß
einer techniſchen Abrichtung überſchreitet. Die Geſellſchaft iſt
einem großen Maſchinenbetrieb vergleichbar, welcher durch die
Dienſte unzähliger Perſonen in Gang erhalten wird: der mit der
iſolirten Technik ſeines Einzelberufs innerhalb ihrer Ausgerüſtete
iſt, wie vortrefflich er auch dieſe Technik inne habe, in der Lage
eines Arbeiters, der ein Leben hindurch an einem einzelnen Punkte
dieſes Betriebs beſchäftigt iſt, ohne die Kräfte zu kennen, welche
ihn in Bewegung ſetzen, ja ohne von den anderen Theilen dieſes
Betriebs und ihrem Zuſammenwirken zu dem Zweck des Ganzen
eine Vorſtellung zu haben. Er iſt ein dienendes Werkzeug der
Geſellſchaft, nicht ihr bewußt mitgeſtaltendes Organ. Dieſe Ein-

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[[3]/0026] I. Abſicht dieſer Einleitung in die Geiſteswiſſenſchaften. Seit Bacon’s berühmtem Werke ſind Schriften, welche Grund- lage und Methode der Naturwiſſenſchaften erörtern und ſo in das Studium derſelben einführen, insbeſondere von Naturforſchern verfaßt worden, die bekannteſte unter ihnen die von Sir John Herſchel. Es erſchien als ein Bedürfniß, denen, welche ſich mit der Geſchichte, der Politik, Jurisprudenz oder politiſchen Oekonomie, der Theologie, Literatur oder Kunſt beſchäftigen, einen ähnlichen Dienſt zu leiſten. Von den praktiſchen Bedürfniſſen der Geſell- ſchaft, von dem Zweck einer Berufsbildung aus, welche der Geſellſchaft ihre leitenden Organe mit den für ihre Aufgabe nothwendigen Kenntniſſen ausrüſtet, pflegen diejenigen, welche ſich den bezeichneten Wiſſenſchaften widmen, an ſie heranzutreten. Doch wird dieſe Berufsbildung nur in dem Verhältniß den Ein- zelnen zu hervorragenderen Leiſtungen befähigen, als ſie das Maß einer techniſchen Abrichtung überſchreitet. Die Geſellſchaft iſt einem großen Maſchinenbetrieb vergleichbar, welcher durch die Dienſte unzähliger Perſonen in Gang erhalten wird: der mit der iſolirten Technik ſeines Einzelberufs innerhalb ihrer Ausgerüſtete iſt, wie vortrefflich er auch dieſe Technik inne habe, in der Lage eines Arbeiters, der ein Leben hindurch an einem einzelnen Punkte dieſes Betriebs beſchäftigt iſt, ohne die Kräfte zu kennen, welche ihn in Bewegung ſetzen, ja ohne von den anderen Theilen dieſes Betriebs und ihrem Zuſammenwirken zu dem Zweck des Ganzen eine Vorſtellung zu haben. Er iſt ein dienendes Werkzeug der Geſellſchaft, nicht ihr bewußt mitgeſtaltendes Organ. Dieſe Ein- 1*

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/26>, abgerufen am 21.11.2024.