Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. wurde, das die Skeptiker von Pyrrho bis Sextus Empiricusnicht zu gewahren vermocht haben. Ihr Endurtheil über die ganze Position des Metaphysikers ist in Geltung geblieben, sie haben die Metaphysik zersetzt: aber die Wahrheit ist eben nicht Metaphysik. Also wir ergänzen durch unsere Einsicht, um die Skeptiker 1) Diogenes IX, 103: peri men on os anthropoi paskhomen, omologoumen. 2) ebds. 3) Sextus Empir. hypotyp. I, 19 f. 4) ebds. sowie Diogenes a. a. O. 5) kai gar oti emera esti kai oti zomen kai alla polla ton
en to bio phainomenon diaginoskomen; peri don oi dogmatikoi diabe- baiountai to logo, phamenoi kateilephthai, peri touton epekhomen os adelon, mona de ta pathe ginoskomen. Diogenes IX, 103. Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. wurde, das die Skeptiker von Pyrrho bis Sextus Empiricusnicht zu gewahren vermocht haben. Ihr Endurtheil über die ganze Poſition des Metaphyſikers iſt in Geltung geblieben, ſie haben die Metaphyſik zerſetzt: aber die Wahrheit iſt eben nicht Metaphyſik. Alſo wir ergänzen durch unſere Einſicht, um die Skeptiker 1) Diogenes IX, 103: πεϱὶ μὲν ὧν ὡς ἄνϑϱωποι πάσχομεν, ὁμολογοῦμεν. 2) ebdſ. 3) Sextus Empir. hypotyp. I, 19 f. 4) ebdſ. ſowie Diogenes a. a. O. 5) καὶ γὰϱ ὅτι ἡμέϱα ἐστὶ καὶ ὅτι ζῶμεν καὶ ἄλλα πολλὰ τῶν
ἐν τῷ βίῳ φαινομένων διαγινώσκομεν· πεϱὶ δ̕ὧν οἱ δογματικοὶ διαβε- βαιοῦνται τῷ λόγῳ, φάμενοι κατειλῆφϑαι, πεϱὶ τούτων ἐπέχομεν ὡς ἀδήλων, μόνα δὲ τὰ πάϑη γινώσκομεν. Diogenes IX, 103. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0321" n="298"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.</fw><lb/> wurde, das die Skeptiker von Pyrrho bis Sextus Empiricus<lb/> nicht zu gewahren vermocht haben. Ihr Endurtheil über die ganze<lb/> Poſition des Metaphyſikers iſt in Geltung geblieben, ſie haben die<lb/> Metaphyſik zerſetzt: aber die Wahrheit iſt eben nicht Metaphyſik.</p><lb/> <p>Alſo wir ergänzen durch unſere Einſicht, um die Skeptiker<lb/> von Grund aus zu verſtehen. Sie ſprechen von einem Wahr-<lb/> nehmungszuſtand, den der Menſch erleidet <note place="foot" n="1)">Diogenes <hi rendition="#aq">IX,</hi> 103: πεϱὶ μὲν ὧν ὡς ἄνϑϱωποι πάσχομεν, ὁμολογοῦμεν.</note>, und unterſcheiden<lb/> dieſen vom Erkennen <note place="foot" n="2)">ebdſ.</note>. Aber keine Ahnung iſt in ihnen, daß das<lb/> Innewerden eines ſolchen Zuſtandes, welches ſie nicht beſtreiten,<lb/> eben ſelber ein Wiſſen und zwar das ſicherſte Wiſſen iſt, von<lb/> welchem jede Erkenntniß ihre Gewißheit zu Lehen tragen muß. Viel-<lb/> mehr ſuchen ſie gemäß dem metaphyſiſchen Standpunkt die Wahrheit<lb/> ausſchließlich in dem, was als objektive Grundlage dem in der<lb/> äußeren Wahrnehmung gegebenen Phänomen vom Denken unterge-<lb/> legt wird <note place="foot" n="3)">Sextus Empir. <hi rendition="#aq">hypotyp. I,</hi> 19 f.</note>. Sie erkennen daher zwar das Sehen, das Denken als<lb/> einen zweifelloſen Thatbeſtand an; aber derſelbe ſchließt für ſie<lb/> nicht ein werthvolles Wiſſen, nämlich von den Thatſachen des Be-<lb/> wußtſeins, in ſich. In Folge davon entwickeln ſie nicht klar, daß<lb/> die Außenwelt nur Phänomen für das Bewußtſein ſei, und gelangen<lb/> ſonach nicht zu einer folgerichtigen Anſchauung der Außenwelt in<lb/> dieſem Sinne <note place="foot" n="4)">ebdſ. ſowie Diogenes a. a. O.</note>, ſondern ſie fragen nur, ob der im Bewußtſein<lb/> gegebene Sinneseindruck als ein Zeichen von der objektiven Grund-<lb/> lage ſolcher Phänomene benutzt werden kann. Und ſie leugnen das<lb/> mit Recht. Sie verneinen richtig jede Art von Erkenntniß dieſer<lb/> objektiven Unterlage der Phänomene: des Kant’ſchen Dinges an<lb/> ſich <note place="foot" n="5)">καὶ γὰϱ ὅτι ἡμέϱα ἐστὶ καὶ ὅτι ζῶμεν καὶ ἄλλα πολλὰ τῶν<lb/> ἐν τῷ βίῳ φαινομένων διαγινώσκομεν· πεϱὶ δ̕ὧν οἱ δογματικοὶ διαβε-<lb/> βαιοῦνται τῷ λόγῳ, φάμενοι κατειλῆφϑαι, πεϱὶ τούτων ἐπέχομεν ὡς<lb/> ἀδήλων, μόνα δὲ τὰ πάϑη γινώσκομεν. Diogenes <hi rendition="#aq">IX,</hi> 103.</note>. Alſo nur darin irren ſie, daß ſie auf Grund hiervon die<lb/> Möglichkeit des Wiſſens beſtreiten.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0321]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
wurde, das die Skeptiker von Pyrrho bis Sextus Empiricus
nicht zu gewahren vermocht haben. Ihr Endurtheil über die ganze
Poſition des Metaphyſikers iſt in Geltung geblieben, ſie haben die
Metaphyſik zerſetzt: aber die Wahrheit iſt eben nicht Metaphyſik.
Alſo wir ergänzen durch unſere Einſicht, um die Skeptiker
von Grund aus zu verſtehen. Sie ſprechen von einem Wahr-
nehmungszuſtand, den der Menſch erleidet 1), und unterſcheiden
dieſen vom Erkennen 2). Aber keine Ahnung iſt in ihnen, daß das
Innewerden eines ſolchen Zuſtandes, welches ſie nicht beſtreiten,
eben ſelber ein Wiſſen und zwar das ſicherſte Wiſſen iſt, von
welchem jede Erkenntniß ihre Gewißheit zu Lehen tragen muß. Viel-
mehr ſuchen ſie gemäß dem metaphyſiſchen Standpunkt die Wahrheit
ausſchließlich in dem, was als objektive Grundlage dem in der
äußeren Wahrnehmung gegebenen Phänomen vom Denken unterge-
legt wird 3). Sie erkennen daher zwar das Sehen, das Denken als
einen zweifelloſen Thatbeſtand an; aber derſelbe ſchließt für ſie
nicht ein werthvolles Wiſſen, nämlich von den Thatſachen des Be-
wußtſeins, in ſich. In Folge davon entwickeln ſie nicht klar, daß
die Außenwelt nur Phänomen für das Bewußtſein ſei, und gelangen
ſonach nicht zu einer folgerichtigen Anſchauung der Außenwelt in
dieſem Sinne 4), ſondern ſie fragen nur, ob der im Bewußtſein
gegebene Sinneseindruck als ein Zeichen von der objektiven Grund-
lage ſolcher Phänomene benutzt werden kann. Und ſie leugnen das
mit Recht. Sie verneinen richtig jede Art von Erkenntniß dieſer
objektiven Unterlage der Phänomene: des Kant’ſchen Dinges an
ſich 5). Alſo nur darin irren ſie, daß ſie auf Grund hiervon die
Möglichkeit des Wiſſens beſtreiten.
1) Diogenes IX, 103: πεϱὶ μὲν ὧν ὡς ἄνϑϱωποι πάσχομεν, ὁμολογοῦμεν.
2) ebdſ.
3) Sextus Empir. hypotyp. I, 19 f.
4) ebdſ. ſowie Diogenes a. a. O.
5) καὶ γὰϱ ὅτι ἡμέϱα ἐστὶ καὶ ὅτι ζῶμεν καὶ ἄλλα πολλὰ τῶν
ἐν τῷ βίῳ φαινομένων διαγινώσκομεν· πεϱὶ δ̕ὧν οἱ δογματικοὶ διαβε-
βαιοῦνται τῷ λόγῳ, φάμενοι κατειλῆφϑαι, πεϱὶ τούτων ἐπέχομεν ὡς
ἀδήλων, μόνα δὲ τὰ πάϑη γινώσκομεν. Diogenes IX, 103.
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