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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Er erweist die Unmöglichkeit einer metaphysischen Erkenntniß.
Verstande gesucht werden. Das Denken ist hier nun aber in der-
selben Lage wie Jemand, der das Portrait einer ihm unbekannten
Person vor sich sieht und aufgefordert wird, die Aehnlichkeit dieses
Portraits aus demselben allein zu beurtheilen; unser Verstand kann
aus den Bildern in den Sinnen auf das Unbekannte, das ihnen
zu Grunde liegt, nicht schließen. -- Nehmen wir dagegen mit
Plato und Aristoteles an, das Denken habe einen eigenen Gehalt,
so können wir das Verhältniß desselben zu der Realität nicht fest-
stellen. Der Verstand im Innern des Menschen enthält in sich
kein Datum zur Feststellung dessen, was draußen ist. Auch ver-
mag das Schlußverfahren nicht in solchen Schwierigkeiten zu Hilfe
zu kommen. Die Skeptiker erkennen schon vollständig: soll der
Obersatz eines Syllogismus sicher sein, ohne aus anderen Syllo-
gismen nur abgeleitet zu sein, so muß er durch eine vollständige
Induktion erwiesen werden, und in diesem Falle ist das im Schluß-
satz scheinbar Gewonnene schon in dem Obersatz enthalten; sonach
entsteht im Schluß nicht eine neue Wahrheit. Jedes Schluß-
verfahren setzt also eine Wahrheit letzter Instanz schon voraus,
welche aber für den Menschen weder in der Wahrnehmung noch
im Verstande vorhanden ist.

Diese Beweise von der Unmöglichkeit einer Erkenntniß des
Objektiven sind durchweg siegreich gegenüber jeder Meta-
physik
, da dieselbe einen objektiven Zusammenhang der Welt
außer uns nachzuweisen beansprucht. Sie widerlegen nur nicht
Erkenntniß überhaupt. Uebersehen sie doch, daß in uns selber
eine Realität gegeben ist, welche nicht abgewiesen werden kann.
Die Disjunktion: entweder äußere Wahrnehmung oder Denken,
hat eine Lücke. Dies verkannten die Skeptiker, und noch Kant hat
es nicht gesehn.

Der Skepticismus deckt aber auch die Schwierigkeiten
in den realen Begriffen
auf, welche die Bänder jeder meta-
physischen Konstruktion der Welt sind, und zwar sind diese
Schwierigkeiten theilweise unbesieglich. -- So sieht er richtig, daß
der Begriff der Ursache nicht eine Realität, sondern eine bloße
Relation ausdrückt; als solche Relation hat aber die Ursache keine

Er erweiſt die Unmöglichkeit einer metaphyſiſchen Erkenntniß.
Verſtande geſucht werden. Das Denken iſt hier nun aber in der-
ſelben Lage wie Jemand, der das Portrait einer ihm unbekannten
Perſon vor ſich ſieht und aufgefordert wird, die Aehnlichkeit dieſes
Portraits aus demſelben allein zu beurtheilen; unſer Verſtand kann
aus den Bildern in den Sinnen auf das Unbekannte, das ihnen
zu Grunde liegt, nicht ſchließen. — Nehmen wir dagegen mit
Plato und Ariſtoteles an, das Denken habe einen eigenen Gehalt,
ſo können wir das Verhältniß deſſelben zu der Realität nicht feſt-
ſtellen. Der Verſtand im Innern des Menſchen enthält in ſich
kein Datum zur Feſtſtellung deſſen, was draußen iſt. Auch ver-
mag das Schlußverfahren nicht in ſolchen Schwierigkeiten zu Hilfe
zu kommen. Die Skeptiker erkennen ſchon vollſtändig: ſoll der
Oberſatz eines Syllogismus ſicher ſein, ohne aus anderen Syllo-
gismen nur abgeleitet zu ſein, ſo muß er durch eine vollſtändige
Induktion erwieſen werden, und in dieſem Falle iſt das im Schluß-
ſatz ſcheinbar Gewonnene ſchon in dem Oberſatz enthalten; ſonach
entſteht im Schluß nicht eine neue Wahrheit. Jedes Schluß-
verfahren ſetzt alſo eine Wahrheit letzter Inſtanz ſchon voraus,
welche aber für den Menſchen weder in der Wahrnehmung noch
im Verſtande vorhanden iſt.

Dieſe Beweiſe von der Unmöglichkeit einer Erkenntniß des
Objektiven ſind durchweg ſiegreich gegenüber jeder Meta-
phyſik
, da dieſelbe einen objektiven Zuſammenhang der Welt
außer uns nachzuweiſen beanſprucht. Sie widerlegen nur nicht
Erkenntniß überhaupt. Ueberſehen ſie doch, daß in uns ſelber
eine Realität gegeben iſt, welche nicht abgewieſen werden kann.
Die Disjunktion: entweder äußere Wahrnehmung oder Denken,
hat eine Lücke. Dies verkannten die Skeptiker, und noch Kant hat
es nicht geſehn.

Der Skepticismus deckt aber auch die Schwierigkeiten
in den realen Begriffen
auf, welche die Bänder jeder meta-
phyſiſchen Konſtruktion der Welt ſind, und zwar ſind dieſe
Schwierigkeiten theilweiſe unbeſieglich. — So ſieht er richtig, daß
der Begriff der Urſache nicht eine Realität, ſondern eine bloße
Relation ausdrückt; als ſolche Relation hat aber die Urſache keine

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[303/0326] Er erweiſt die Unmöglichkeit einer metaphyſiſchen Erkenntniß. Verſtande geſucht werden. Das Denken iſt hier nun aber in der- ſelben Lage wie Jemand, der das Portrait einer ihm unbekannten Perſon vor ſich ſieht und aufgefordert wird, die Aehnlichkeit dieſes Portraits aus demſelben allein zu beurtheilen; unſer Verſtand kann aus den Bildern in den Sinnen auf das Unbekannte, das ihnen zu Grunde liegt, nicht ſchließen. — Nehmen wir dagegen mit Plato und Ariſtoteles an, das Denken habe einen eigenen Gehalt, ſo können wir das Verhältniß deſſelben zu der Realität nicht feſt- ſtellen. Der Verſtand im Innern des Menſchen enthält in ſich kein Datum zur Feſtſtellung deſſen, was draußen iſt. Auch ver- mag das Schlußverfahren nicht in ſolchen Schwierigkeiten zu Hilfe zu kommen. Die Skeptiker erkennen ſchon vollſtändig: ſoll der Oberſatz eines Syllogismus ſicher ſein, ohne aus anderen Syllo- gismen nur abgeleitet zu ſein, ſo muß er durch eine vollſtändige Induktion erwieſen werden, und in dieſem Falle iſt das im Schluß- ſatz ſcheinbar Gewonnene ſchon in dem Oberſatz enthalten; ſonach entſteht im Schluß nicht eine neue Wahrheit. Jedes Schluß- verfahren ſetzt alſo eine Wahrheit letzter Inſtanz ſchon voraus, welche aber für den Menſchen weder in der Wahrnehmung noch im Verſtande vorhanden iſt. Dieſe Beweiſe von der Unmöglichkeit einer Erkenntniß des Objektiven ſind durchweg ſiegreich gegenüber jeder Meta- phyſik, da dieſelbe einen objektiven Zuſammenhang der Welt außer uns nachzuweiſen beanſprucht. Sie widerlegen nur nicht Erkenntniß überhaupt. Ueberſehen ſie doch, daß in uns ſelber eine Realität gegeben iſt, welche nicht abgewieſen werden kann. Die Disjunktion: entweder äußere Wahrnehmung oder Denken, hat eine Lücke. Dies verkannten die Skeptiker, und noch Kant hat es nicht geſehn. Der Skepticismus deckt aber auch die Schwierigkeiten in den realen Begriffen auf, welche die Bänder jeder meta- phyſiſchen Konſtruktion der Welt ſind, und zwar ſind dieſe Schwierigkeiten theilweiſe unbeſieglich. — So ſieht er richtig, daß der Begriff der Urſache nicht eine Realität, ſondern eine bloße Relation ausdrückt; als ſolche Relation hat aber die Urſache keine

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/326>, abgerufen am 22.11.2024.