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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Fortgang zur Metaphysik des Willens.
Alles Wissen ist ein Abspiegeln eines Objekts, das außerhalb des
Spiegels ist. Und der Gegenstand dieses Wissens ist die un-
wandelbare Ordnung der Wahrheiten, welche über das Kommen
und Gehen der Individuen, ihre Irrthümer und ihre Vergäng-
lichkeit hinausreicht: sie ist in Gott. Augustinus acceptirt auch
in seinen späteren Schriften die intelligible Welt Platos mit der
Erweiterung der neuplatonischen Schule, daß Gott das metaphysische
Subjekt ist, in welchem diese Ideenwelt enthalten ist 1). -- Diese
ganze Beweisführung enthält nur in einer neuen Verschiebung den
Schluß aus dem menschlichen Denken auf ein göttliches als seine
Bedingung und sie gewinnt nur den Begriff eines logischen
Weltzusammenhangs, nicht den Gottes. An sie lehnt sich der
Schluß aus dem Charakter der Welt, ihrer zweckmäßigen Schön-
heit und zugleich ihrer Veränderlichkeit, auf Gott.

In der inneren Erfahrung des Augustinus sind andrer-
seits Elemente
gegenwärtig, welche über diesen plato-
nisirenden Zusammenhang
zwischen dem Intellekt des
Menschen, der Welt und Gott in den veritates aeternae hin-
ausreichen
. Aber auch diese Elemente drängen Augustinus
aus der Selbstbesinnung in eine objektive Metaphysik. Daher
bilden sie neben dem eben dargelegten Bestandtheil der neuen
theologischen Metaphysik, welcher aus dem Alterthum, besonders
dem Neuplatonismus stammt, einen zweiten Bestandtheil derselben,
welcher über das Denken des Alterthums hinausreicht. Der Fort-
gang von dem Prinzip der Selbstgewißheit zu einer objektiven
Metaphysik ist in ihnen der folgende.

In der inneren Erfahrung bin ich mir direkt gegenwärtig; alles
Andere ist dem Geiste ein Abwesendes, ein ihm Fremdes. Da-
her fordert Augustinus, daß der Geist sich nicht durch einen
Denkvorgang zu erkennen suche, welcher Phantasiebilder äußerer

1) Augustinus de div. quaest. LXXXIII, quaest. 46 definirt den Begriff
der Idee, wie er nun in das Mittelalter überging: sunt ideae principales
formae quaedam vel rationes
[wobei er ausdrücklich bemerkt, daß dieser
Begriff die ursprüngliche Ideenlehre überschreite] rerum stabiles atque in-
commutabiles, quae ipsae formatae non sunt, ac per hoc aeternae ac
semper eodem modo sese habentes, quae in divina intelligentia continentur.

Fortgang zur Metaphyſik des Willens.
Alles Wiſſen iſt ein Abſpiegeln eines Objekts, das außerhalb des
Spiegels iſt. Und der Gegenſtand dieſes Wiſſens iſt die un-
wandelbare Ordnung der Wahrheiten, welche über das Kommen
und Gehen der Individuen, ihre Irrthümer und ihre Vergäng-
lichkeit hinausreicht: ſie iſt in Gott. Auguſtinus acceptirt auch
in ſeinen ſpäteren Schriften die intelligible Welt Platos mit der
Erweiterung der neuplatoniſchen Schule, daß Gott das metaphyſiſche
Subjekt iſt, in welchem dieſe Ideenwelt enthalten iſt 1). — Dieſe
ganze Beweisführung enthält nur in einer neuen Verſchiebung den
Schluß aus dem menſchlichen Denken auf ein göttliches als ſeine
Bedingung und ſie gewinnt nur den Begriff eines logiſchen
Weltzuſammenhangs, nicht den Gottes. An ſie lehnt ſich der
Schluß aus dem Charakter der Welt, ihrer zweckmäßigen Schön-
heit und zugleich ihrer Veränderlichkeit, auf Gott.

In der inneren Erfahrung des Auguſtinus ſind andrer-
ſeits Elemente
gegenwärtig, welche über dieſen plato-
niſirenden Zuſammenhang
zwiſchen dem Intellekt des
Menſchen, der Welt und Gott in den veritates aeternae hin-
ausreichen
. Aber auch dieſe Elemente drängen Auguſtinus
aus der Selbſtbeſinnung in eine objektive Metaphyſik. Daher
bilden ſie neben dem eben dargelegten Beſtandtheil der neuen
theologiſchen Metaphyſik, welcher aus dem Alterthum, beſonders
dem Neuplatonismus ſtammt, einen zweiten Beſtandtheil derſelben,
welcher über das Denken des Alterthums hinausreicht. Der Fort-
gang von dem Prinzip der Selbſtgewißheit zu einer objektiven
Metaphyſik iſt in ihnen der folgende.

In der inneren Erfahrung bin ich mir direkt gegenwärtig; alles
Andere iſt dem Geiſte ein Abweſendes, ein ihm Fremdes. Da-
her fordert Auguſtinus, daß der Geiſt ſich nicht durch einen
Denkvorgang zu erkennen ſuche, welcher Phantaſiebilder äußerer

1) Auguſtinus de div. quaest. LXXXIII, quaest. 46 definirt den Begriff
der Idee, wie er nun in das Mittelalter überging: sunt ideae principales
formae quaedam vel rationes
[wobei er ausdrücklich bemerkt, daß dieſer
Begriff die urſprüngliche Ideenlehre überſchreite] rerum stabiles atque in-
commutabiles, quae ipsae formatae non sunt, ac per hoc aeternae ac
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[331/0354] Fortgang zur Metaphyſik des Willens. Alles Wiſſen iſt ein Abſpiegeln eines Objekts, das außerhalb des Spiegels iſt. Und der Gegenſtand dieſes Wiſſens iſt die un- wandelbare Ordnung der Wahrheiten, welche über das Kommen und Gehen der Individuen, ihre Irrthümer und ihre Vergäng- lichkeit hinausreicht: ſie iſt in Gott. Auguſtinus acceptirt auch in ſeinen ſpäteren Schriften die intelligible Welt Platos mit der Erweiterung der neuplatoniſchen Schule, daß Gott das metaphyſiſche Subjekt iſt, in welchem dieſe Ideenwelt enthalten iſt 1). — Dieſe ganze Beweisführung enthält nur in einer neuen Verſchiebung den Schluß aus dem menſchlichen Denken auf ein göttliches als ſeine Bedingung und ſie gewinnt nur den Begriff eines logiſchen Weltzuſammenhangs, nicht den Gottes. An ſie lehnt ſich der Schluß aus dem Charakter der Welt, ihrer zweckmäßigen Schön- heit und zugleich ihrer Veränderlichkeit, auf Gott. In der inneren Erfahrung des Auguſtinus ſind andrer- ſeits Elemente gegenwärtig, welche über dieſen plato- niſirenden Zuſammenhang zwiſchen dem Intellekt des Menſchen, der Welt und Gott in den veritates aeternae hin- ausreichen. Aber auch dieſe Elemente drängen Auguſtinus aus der Selbſtbeſinnung in eine objektive Metaphyſik. Daher bilden ſie neben dem eben dargelegten Beſtandtheil der neuen theologiſchen Metaphyſik, welcher aus dem Alterthum, beſonders dem Neuplatonismus ſtammt, einen zweiten Beſtandtheil derſelben, welcher über das Denken des Alterthums hinausreicht. Der Fort- gang von dem Prinzip der Selbſtgewißheit zu einer objektiven Metaphyſik iſt in ihnen der folgende. In der inneren Erfahrung bin ich mir direkt gegenwärtig; alles Andere iſt dem Geiſte ein Abweſendes, ein ihm Fremdes. Da- her fordert Auguſtinus, daß der Geiſt ſich nicht durch einen Denkvorgang zu erkennen ſuche, welcher Phantaſiebilder äußerer 1) Auguſtinus de div. quaest. LXXXIII, quaest. 46 definirt den Begriff der Idee, wie er nun in das Mittelalter überging: sunt ideae principales formae quaedam vel rationes [wobei er ausdrücklich bemerkt, daß dieſer Begriff die urſprüngliche Ideenlehre überſchreite] rerum stabiles atque in- commutabiles, quae ipsae formatae non sunt, ac per hoc aeternae ac semper eodem modo sese habentes, quae in divina intelligentia continentur.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/354>, abgerufen am 22.11.2024.