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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Das negative Ergebniß dieses metaphysischen Stadiums.
verstandesmäßig zu begreifen, desto deutlicher wurde die Unmög-
lichkeit hiervon. Viel wird der unvollkommenen intellektuellen
Ausbildung der Schriftsteller zugeschrieben werden müssen, welche
diese Metaphysik geschaffen haben. Die Aufgabe, die großen Rea-
litäten des Christenthums und die Vorstellungen, in welchen diese
ausgedrückt waren, mit der griechischen, insbesondere aristotelischen
Metaphysik zu vereinigen, ist von ihnen äußerlich gefaßt worden,
weil ihnen die tieferen wissenschaftlichen Beweggründe der griechi-
schen Metaphysik unzugänglich waren. Wie diese Beweggründe
aus der Arbeit der wirklichen Wissenschaft hervorgegangen waren,
so konnten sie und die von ihnen aus entstandenen Begriffe und
Sätze nur von solchen verstanden werden, welche an derselben
Arbeit die Hand hatten. Die Begriffe der substantialen Form,
der Ewigkeit der Welt, des unbewegten Bewegers waren unter
den Anforderungen des Erkennens, welches den Kosmos erklären
wollte, entstanden, gerade so wie der Begriff des Atoms oder
der des leeren Raumes. Andere Begriffe waren bedingt durch die
positive, naturwissenschaftliche Forschung. Daher die Begriffe der
Alten bei den Scholastikern den aus ihrem Boden gerissenen
Pflanzen in einem Herbarium gleichen, deren Standort und Lebens-
bedingungen unbekannt sind. Diese Begriffe wurden nun mit ganz
unverträglichen verbunden, ohne sonderlichen Widerstand zu leisten.
So findet man Schöpfung aus Nichts, lebendige That und Per-
sönlichkeit Gottes verbunden mit den Begriffen, welche von der
Unveränderlichkeit der ersten Substanz oder von dem aristotelischen
Begriff der Bewegung ausgehen. Aber wie sehr auch dieser Mangel
an wirklich wissenschaftlichem Geist die Lösung der bezeichneten Auf-
gabe, das Leben des Christenthums mit der Wissenschaft vom Kosmos
zu Einem System zu vereinigen, erschweren mußte: dennoch erklärt
derselbe nicht den gänzlichen Zusammenbruch dieser Metaphysik als
Wissenschaft, welcher das Ende des metaphysischen Stadiums der
neueren Völker und den Eintritt in das der wirklichen Wissenschaften
bezeichnet; vielmehr tritt die innere Unmöglichkeit der Aufgabe selber
hervor. Indem diese Metaphysik in erster Linie von dem In-
teresse an den Erfahrungen des Willens und des Herzens aus-

Das negative Ergebniß dieſes metaphyſiſchen Stadiums.
verſtandesmäßig zu begreifen, deſto deutlicher wurde die Unmög-
lichkeit hiervon. Viel wird der unvollkommenen intellektuellen
Ausbildung der Schriftſteller zugeſchrieben werden müſſen, welche
dieſe Metaphyſik geſchaffen haben. Die Aufgabe, die großen Rea-
litäten des Chriſtenthums und die Vorſtellungen, in welchen dieſe
ausgedrückt waren, mit der griechiſchen, insbeſondere ariſtoteliſchen
Metaphyſik zu vereinigen, iſt von ihnen äußerlich gefaßt worden,
weil ihnen die tieferen wiſſenſchaftlichen Beweggründe der griechi-
ſchen Metaphyſik unzugänglich waren. Wie dieſe Beweggründe
aus der Arbeit der wirklichen Wiſſenſchaft hervorgegangen waren,
ſo konnten ſie und die von ihnen aus entſtandenen Begriffe und
Sätze nur von ſolchen verſtanden werden, welche an derſelben
Arbeit die Hand hatten. Die Begriffe der ſubſtantialen Form,
der Ewigkeit der Welt, des unbewegten Bewegers waren unter
den Anforderungen des Erkennens, welches den Kosmos erklären
wollte, entſtanden, gerade ſo wie der Begriff des Atoms oder
der des leeren Raumes. Andere Begriffe waren bedingt durch die
poſitive, naturwiſſenſchaftliche Forſchung. Daher die Begriffe der
Alten bei den Scholaſtikern den aus ihrem Boden geriſſenen
Pflanzen in einem Herbarium gleichen, deren Standort und Lebens-
bedingungen unbekannt ſind. Dieſe Begriffe wurden nun mit ganz
unverträglichen verbunden, ohne ſonderlichen Widerſtand zu leiſten.
So findet man Schöpfung aus Nichts, lebendige That und Per-
ſönlichkeit Gottes verbunden mit den Begriffen, welche von der
Unveränderlichkeit der erſten Subſtanz oder von dem ariſtoteliſchen
Begriff der Bewegung ausgehen. Aber wie ſehr auch dieſer Mangel
an wirklich wiſſenſchaftlichem Geiſt die Löſung der bezeichneten Auf-
gabe, das Leben des Chriſtenthums mit der Wiſſenſchaft vom Kosmos
zu Einem Syſtem zu vereinigen, erſchweren mußte: dennoch erklärt
derſelbe nicht den gänzlichen Zuſammenbruch dieſer Metaphyſik als
Wiſſenſchaft, welcher das Ende des metaphyſiſchen Stadiums der
neueren Völker und den Eintritt in das der wirklichen Wiſſenſchaften
bezeichnet; vielmehr tritt die innere Unmöglichkeit der Aufgabe ſelber
hervor. Indem dieſe Metaphyſik in erſter Linie von dem In-
tereſſe an den Erfahrungen des Willens und des Herzens aus-

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[343/0366] Das negative Ergebniß dieſes metaphyſiſchen Stadiums. verſtandesmäßig zu begreifen, deſto deutlicher wurde die Unmög- lichkeit hiervon. Viel wird der unvollkommenen intellektuellen Ausbildung der Schriftſteller zugeſchrieben werden müſſen, welche dieſe Metaphyſik geſchaffen haben. Die Aufgabe, die großen Rea- litäten des Chriſtenthums und die Vorſtellungen, in welchen dieſe ausgedrückt waren, mit der griechiſchen, insbeſondere ariſtoteliſchen Metaphyſik zu vereinigen, iſt von ihnen äußerlich gefaßt worden, weil ihnen die tieferen wiſſenſchaftlichen Beweggründe der griechi- ſchen Metaphyſik unzugänglich waren. Wie dieſe Beweggründe aus der Arbeit der wirklichen Wiſſenſchaft hervorgegangen waren, ſo konnten ſie und die von ihnen aus entſtandenen Begriffe und Sätze nur von ſolchen verſtanden werden, welche an derſelben Arbeit die Hand hatten. Die Begriffe der ſubſtantialen Form, der Ewigkeit der Welt, des unbewegten Bewegers waren unter den Anforderungen des Erkennens, welches den Kosmos erklären wollte, entſtanden, gerade ſo wie der Begriff des Atoms oder der des leeren Raumes. Andere Begriffe waren bedingt durch die poſitive, naturwiſſenſchaftliche Forſchung. Daher die Begriffe der Alten bei den Scholaſtikern den aus ihrem Boden geriſſenen Pflanzen in einem Herbarium gleichen, deren Standort und Lebens- bedingungen unbekannt ſind. Dieſe Begriffe wurden nun mit ganz unverträglichen verbunden, ohne ſonderlichen Widerſtand zu leiſten. So findet man Schöpfung aus Nichts, lebendige That und Per- ſönlichkeit Gottes verbunden mit den Begriffen, welche von der Unveränderlichkeit der erſten Subſtanz oder von dem ariſtoteliſchen Begriff der Bewegung ausgehen. Aber wie ſehr auch dieſer Mangel an wirklich wiſſenſchaftlichem Geiſt die Löſung der bezeichneten Auf- gabe, das Leben des Chriſtenthums mit der Wiſſenſchaft vom Kosmos zu Einem Syſtem zu vereinigen, erſchweren mußte: dennoch erklärt derſelbe nicht den gänzlichen Zuſammenbruch dieſer Metaphyſik als Wiſſenſchaft, welcher das Ende des metaphyſiſchen Stadiums der neueren Völker und den Eintritt in das der wirklichen Wiſſenſchaften bezeichnet; vielmehr tritt die innere Unmöglichkeit der Aufgabe ſelber hervor. Indem dieſe Metaphyſik in erſter Linie von dem In- tereſſe an den Erfahrungen des Willens und des Herzens aus-

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/366>, abgerufen am 22.11.2024.