Die Erfassung des Glaubensinhaltes durch die Vernunft, nach welcher so in diesen Jahrhunderten gerungen wird, hat in der Dialektik (Logik) ihr Werkzeug. -- Es ist überzeugend nachge- wiesen worden, wie der Zustand dieses Werkzeugs durch die elende ursprüngliche Ueberlieferung des logischen Materials und die lang- same Erweiterung der Kenntniß echter aristotelischer Logik bedingt gewesen ist 1). Aber die Dialektik dieser Jahrhunderte erscheint in einem günstigeren Lichte, wenn die andere Seite ihrer damaligen Geschichte, ihre Beziehung zu den Aufgaben der Theologie, auf- gefaßt und die Abhängigkeit ihrer wichtigsten Züge von dieser Aufgabe erkannt wird. Wie die Logik des Aristoteles von der Lage und Aufgabe der Metaphysik des Kosmos bedingt ist, so die Dialektik des Mittelalters durch die der Theologie, als deren Wissenschaftslehre. -- Diesem Verhältniß entsprechend war die mittel- alterliche Logik mit sehr lebhaften Erörterungen über die Beziehung der Formen des Denkens zu der in Gott angelegten Gedanken- mäßigkeit der Wirklichkeit verbunden. Die Sätze der platonisch- aristotelischen Metaphysik über diesen Punkt, wie sie von den Neuplatonikern fortgebildet worden waren, bildeten die Grundlage der Theologie der meisten Kirchenväter, insbesondere des Augustinus. Zugleich befand sich in dem überlieferten logischen Material eine dürftige Mittheilung, welche wie durch einen engen Spalt in die sonst der Kenntniß damals entzogenen Kämpfe des Alterthums einen Blick gestattete 2). In der Mannichfaltigkeit der Richtungen, die eine Lösung des nun leidenschaftlich besprochenen Problems versucht haben, sondern sich drei Klassen, wenn man die uns allein angehende metaphysische Bedeutung des Problems ins Auge faßt. Die allgemeine Bedingung dieser Parteibildung lag darin, daß das metaphysische Stadium der Wissenschaft einen gedankenmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen nur als System von Formen,
1) Cousin, Jourdain, Haureau und Prantl haben das Hauptverdienst dieses geschichtlichen Nachweises.
2) Vgl. Haureau histoire de la philos. scolast. I, 42 ff., Prantl über Porphyrius in der Geschichte der Logik I, 626 ff., über Boethius 679 ff., über die Streitfrage II, 1 ff. 35 ff.
Dialektik als Werkzeug der Theologie.
Die Erfaſſung des Glaubensinhaltes durch die Vernunft, nach welcher ſo in dieſen Jahrhunderten gerungen wird, hat in der Dialektik (Logik) ihr Werkzeug. — Es iſt überzeugend nachge- wieſen worden, wie der Zuſtand dieſes Werkzeugs durch die elende urſprüngliche Ueberlieferung des logiſchen Materials und die lang- ſame Erweiterung der Kenntniß echter ariſtoteliſcher Logik bedingt geweſen iſt 1). Aber die Dialektik dieſer Jahrhunderte erſcheint in einem günſtigeren Lichte, wenn die andere Seite ihrer damaligen Geſchichte, ihre Beziehung zu den Aufgaben der Theologie, auf- gefaßt und die Abhängigkeit ihrer wichtigſten Züge von dieſer Aufgabe erkannt wird. Wie die Logik des Ariſtoteles von der Lage und Aufgabe der Metaphyſik des Kosmos bedingt iſt, ſo die Dialektik des Mittelalters durch die der Theologie, als deren Wiſſenſchaftslehre. — Dieſem Verhältniß entſprechend war die mittel- alterliche Logik mit ſehr lebhaften Erörterungen über die Beziehung der Formen des Denkens zu der in Gott angelegten Gedanken- mäßigkeit der Wirklichkeit verbunden. Die Sätze der platoniſch- ariſtoteliſchen Metaphyſik über dieſen Punkt, wie ſie von den Neuplatonikern fortgebildet worden waren, bildeten die Grundlage der Theologie der meiſten Kirchenväter, insbeſondere des Auguſtinus. Zugleich befand ſich in dem überlieferten logiſchen Material eine dürftige Mittheilung, welche wie durch einen engen Spalt in die ſonſt der Kenntniß damals entzogenen Kämpfe des Alterthums einen Blick geſtattete 2). In der Mannichfaltigkeit der Richtungen, die eine Löſung des nun leidenſchaftlich beſprochenen Problems verſucht haben, ſondern ſich drei Klaſſen, wenn man die uns allein angehende metaphyſiſche Bedeutung des Problems ins Auge faßt. Die allgemeine Bedingung dieſer Parteibildung lag darin, daß das metaphyſiſche Stadium der Wiſſenſchaft einen gedankenmäßigen Zuſammenhang der Erſcheinungen nur als Syſtem von Formen,
1) Couſin, Jourdain, Hauréau und Prantl haben das Hauptverdienſt dieſes geſchichtlichen Nachweiſes.
2) Vgl. Hauréau histoire de la philos. scolast. I, 42 ff., Prantl über Porphyrius in der Geſchichte der Logik I, 626 ff., über Boethius 679 ff., über die Streitfrage II, 1 ff. 35 ff.
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Dialektik als Werkzeug der Theologie.
Die Erfaſſung des Glaubensinhaltes durch die Vernunft, nach
welcher ſo in dieſen Jahrhunderten gerungen wird, hat in der
Dialektik (Logik) ihr Werkzeug. — Es iſt überzeugend nachge-
wieſen worden, wie der Zuſtand dieſes Werkzeugs durch die elende
urſprüngliche Ueberlieferung des logiſchen Materials und die lang-
ſame Erweiterung der Kenntniß echter ariſtoteliſcher Logik bedingt
geweſen iſt 1). Aber die Dialektik dieſer Jahrhunderte erſcheint in
einem günſtigeren Lichte, wenn die andere Seite ihrer damaligen
Geſchichte, ihre Beziehung zu den Aufgaben der Theologie, auf-
gefaßt und die Abhängigkeit ihrer wichtigſten Züge von dieſer
Aufgabe erkannt wird. Wie die Logik des Ariſtoteles von der
Lage und Aufgabe der Metaphyſik des Kosmos bedingt iſt,
ſo die Dialektik des Mittelalters durch die der Theologie, als deren
Wiſſenſchaftslehre. — Dieſem Verhältniß entſprechend war die mittel-
alterliche Logik mit ſehr lebhaften Erörterungen über die Beziehung
der Formen des Denkens zu der in Gott angelegten Gedanken-
mäßigkeit der Wirklichkeit verbunden. Die Sätze der platoniſch-
ariſtoteliſchen Metaphyſik über dieſen Punkt, wie ſie von den
Neuplatonikern fortgebildet worden waren, bildeten die Grundlage
der Theologie der meiſten Kirchenväter, insbeſondere des Auguſtinus.
Zugleich befand ſich in dem überlieferten logiſchen Material eine
dürftige Mittheilung, welche wie durch einen engen Spalt in die
ſonſt der Kenntniß damals entzogenen Kämpfe des Alterthums
einen Blick geſtattete 2). In der Mannichfaltigkeit der Richtungen,
die eine Löſung des nun leidenſchaftlich beſprochenen Problems
verſucht haben, ſondern ſich drei Klaſſen, wenn man die uns allein
angehende metaphyſiſche Bedeutung des Problems ins Auge faßt.
Die allgemeine Bedingung dieſer Parteibildung lag darin, daß das
metaphyſiſche Stadium der Wiſſenſchaft einen gedankenmäßigen
Zuſammenhang der Erſcheinungen nur als Syſtem von Formen,
1) Couſin, Jourdain, Hauréau und Prantl haben das Hauptverdienſt
dieſes geſchichtlichen Nachweiſes.
2) Vgl. Hauréau histoire de la philos. scolast. I, 42 ff., Prantl über
Porphyrius in der Geſchichte der Logik I, 626 ff., über Boethius 679 ff., über
die Streitfrage II, 1 ff. 35 ff.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/372>, abgerufen am 22.11.2024.
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