Daher denn schließlich nur eine Auflösung von erkenntniß- theoretischem Standpunkt aus möglich bleibt. Was nicht in einen objektiven Zusammenhang hineingedacht werden kann, das kann vielleicht, als von verschiedener psychischer Provenienz, in seiner unaufhebbaren Verschiedenheit anerkannt und in eine zwar äußerliche, aber gesetzmäßige Beziehung zu einander gebracht werden. So ist die Antinomie der antiken Metaphysik des Kosmos zwischen dem Stätigen der Anschauung und dem Diskreten der Ver- standeserkenntniß, der Veränderung am Wirklichen und der Zu- sammensetzung von unveränderlichen Theilinhalten im Verstande, innerhalb dieses natürlichen metaphysischen Systems unüberwind- lich gewesen; aber die erkenntnißtheoretische Einsicht und die zwar äußerliche, doch gesetzmäßige Beziehung dieser psychischen Elemente, die von verschiedener Provenienz sind und daher nicht auf einander zurückgeführt werden können, müssen uns genügen.
Was für Schutt und Trümmer wären nun zu durchwandern, wollte ich die einzelnen Ausreden des theologischen Verstandes gegenüber dieser Antinomie darlegen. Die Methode ist überall dieselbe. Das Wirken Gottes wird so nahe und so vielseitig als möglich an die Punkte der Welt gleichsam räumlich herangebracht, an welchen der freie Wille auftritt: es umspinnt und umgiebt sie ganz. Ferner werden an diesen Punkten durch Begriffsbestimmungen das ursächliche Wirken Gottes in den Handlungen der Menschen und die freie Wahl einander inhaltlich so sehr als es irgend geschehen kann angenähert. Aber wie eng im Weltzusammenhang das Wirken Gottes die Freiheit umwindet: an jedem Punkte, an dem sie zu- sammenwirkend gedacht werden, verbleibt ein Widerspruch. Und wie sehr diese alchemistische Kunst bestrebt ist, die Eigenschaften der Freiheit denen der Nothwendigkeit anzunähern und diese schließ- lich in jene zu wandeln: sie bleiben spröde außer einander.
Die erste dieser beiden Methoden, die Härte des Widerspruchs wenigstens herabzumindern, ist im engen Anschluß an seine ara-
das Böse zur Bildung und Beweglichkeit und das Gute zur Liebe etc." Beschreibung der drei Prinzipien Vorr. § 14.
Erſte Ausrede des theologiſchen Verſtandes.
Daher denn ſchließlich nur eine Auflöſung von erkenntniß- theoretiſchem Standpunkt aus möglich bleibt. Was nicht in einen objektiven Zuſammenhang hineingedacht werden kann, das kann vielleicht, als von verſchiedener pſychiſcher Provenienz, in ſeiner unaufhebbaren Verſchiedenheit anerkannt und in eine zwar äußerliche, aber geſetzmäßige Beziehung zu einander gebracht werden. So iſt die Antinomie der antiken Metaphyſik des Kosmos zwiſchen dem Stätigen der Anſchauung und dem Diskreten der Ver- ſtandeserkenntniß, der Veränderung am Wirklichen und der Zu- ſammenſetzung von unveränderlichen Theilinhalten im Verſtande, innerhalb dieſes natürlichen metaphyſiſchen Syſtems unüberwind- lich geweſen; aber die erkenntnißtheoretiſche Einſicht und die zwar äußerliche, doch geſetzmäßige Beziehung dieſer pſychiſchen Elemente, die von verſchiedener Provenienz ſind und daher nicht auf einander zurückgeführt werden können, müſſen uns genügen.
Was für Schutt und Trümmer wären nun zu durchwandern, wollte ich die einzelnen Ausreden des theologiſchen Verſtandes gegenüber dieſer Antinomie darlegen. Die Methode iſt überall dieſelbe. Das Wirken Gottes wird ſo nahe und ſo vielſeitig als möglich an die Punkte der Welt gleichſam räumlich herangebracht, an welchen der freie Wille auftritt: es umſpinnt und umgiebt ſie ganz. Ferner werden an dieſen Punkten durch Begriffsbeſtimmungen das urſächliche Wirken Gottes in den Handlungen der Menſchen und die freie Wahl einander inhaltlich ſo ſehr als es irgend geſchehen kann angenähert. Aber wie eng im Weltzuſammenhang das Wirken Gottes die Freiheit umwindet: an jedem Punkte, an dem ſie zu- ſammenwirkend gedacht werden, verbleibt ein Widerſpruch. Und wie ſehr dieſe alchemiſtiſche Kunſt beſtrebt iſt, die Eigenſchaften der Freiheit denen der Nothwendigkeit anzunähern und dieſe ſchließ- lich in jene zu wandeln: ſie bleiben ſpröde außer einander.
Die erſte dieſer beiden Methoden, die Härte des Widerſpruchs wenigſtens herabzumindern, iſt im engen Anſchluß an ſeine ara-
das Böſe zur Bildung und Beweglichkeit und das Gute zur Liebe etc.“ Beſchreibung der drei Prinzipien Vorr. § 14.
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Erſte Ausrede des theologiſchen Verſtandes.
Daher denn ſchließlich nur eine Auflöſung von erkenntniß-
theoretiſchem Standpunkt aus möglich bleibt. Was nicht in
einen objektiven Zuſammenhang hineingedacht werden kann, das
kann vielleicht, als von verſchiedener pſychiſcher Provenienz, in
ſeiner unaufhebbaren Verſchiedenheit anerkannt und in eine zwar
äußerliche, aber geſetzmäßige Beziehung zu einander gebracht werden.
So iſt die Antinomie der antiken Metaphyſik des Kosmos zwiſchen
dem Stätigen der Anſchauung und dem Diskreten der Ver-
ſtandeserkenntniß, der Veränderung am Wirklichen und der Zu-
ſammenſetzung von unveränderlichen Theilinhalten im Verſtande,
innerhalb dieſes natürlichen metaphyſiſchen Syſtems unüberwind-
lich geweſen; aber die erkenntnißtheoretiſche Einſicht und die zwar
äußerliche, doch geſetzmäßige Beziehung dieſer pſychiſchen Elemente,
die von verſchiedener Provenienz ſind und daher nicht auf einander
zurückgeführt werden können, müſſen uns genügen.
Was für Schutt und Trümmer wären nun zu durchwandern,
wollte ich die einzelnen Ausreden des theologiſchen Verſtandes
gegenüber dieſer Antinomie darlegen. Die Methode iſt überall
dieſelbe. Das Wirken Gottes wird ſo nahe und ſo vielſeitig als
möglich an die Punkte der Welt gleichſam räumlich herangebracht, an
welchen der freie Wille auftritt: es umſpinnt und umgiebt ſie
ganz. Ferner werden an dieſen Punkten durch Begriffsbeſtimmungen
das urſächliche Wirken Gottes in den Handlungen der Menſchen und
die freie Wahl einander inhaltlich ſo ſehr als es irgend geſchehen
kann angenähert. Aber wie eng im Weltzuſammenhang das Wirken
Gottes die Freiheit umwindet: an jedem Punkte, an dem ſie zu-
ſammenwirkend gedacht werden, verbleibt ein Widerſpruch. Und
wie ſehr dieſe alchemiſtiſche Kunſt beſtrebt iſt, die Eigenſchaften
der Freiheit denen der Nothwendigkeit anzunähern und dieſe ſchließ-
lich in jene zu wandeln: ſie bleiben ſpröde außer einander.
Die erſte dieſer beiden Methoden, die Härte des Widerſpruchs
wenigſtens herabzumindern, iſt im engen Anſchluß an ſeine ara-
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2) das Böſe zur Bildung und Beweglichkeit und das Gute zur Liebe etc.“
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/382>, abgerufen am 22.11.2024.
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