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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Die Theol. d. Judenth., Christenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr.
hätte dasselbe Gott zum Gegenstande, wodurch dann in Gott eine
Trennung von Wissendem und Gewußtem, sonach die Aufhebung
seiner vollen vom Islam so streng gefaßten Einheit gesetzt würde,
oder es hätte einen Gegenstand außer ihm, und dann wäre Gott
in Rücksicht dieser seiner Eigenschaft von der Existenz dieses Gegen-
standes außer ihm bedingt 1). Dann stellten die Mutaziliten die
Oertlichkeit Gottes, wie sie dem Vorstellen unvermeidlich ist, ja
überhaupt die dem Vorstellen anhaftenden sinnlichen Züge in
Frage 2). Und die arabischen Philosophen schlossen: jede Vor-
stellung vollzieht sich in der Unterscheidung eines Subjektes, das
erkannt werden soll, von Prädikaten, durch welche erkannt werden
soll; aber ein Unterschied eines Trägers von Eigenschaften und
dieser Eigenschaften selber, einer Substanz und der Attribute, wie
er damit eintreten würde, hebt die Einfachheit Gottes auf 3), so-
nach ist das Wesen Gottes unerkennbar. Mit den Sekten des
Islam finden wir dann die christlichen Theologen des frühen
Mittelalters
auch in Bezug auf diese Antinomie in einer merk-
würdigen Uebereinstimmung. Scotus Erigena und Abälard zeigen
die Unmöglichkeit jeder angemessenen Aussage über Gott; da eine
solche aus Begriffen bestehen würde, diese aber nur zur Bezeich-
nung der relativen und endlichen Dinge gefunden sind; da sie
unter Kategorien stehen würde, aber selbst die Kategorie der Sub-
stanz Accidenzen von sich ausschließt, also Gott begrenzt; da sie
aus Begriffen zusammensetzen würde, Gott aber einfach ist; da sie

1) So berichtet mit lebhaftem Ausdruck der Mißbilligung Schahrastani
I, 69 f.
2) Vgl. die Auseinandersetzung des Ibn Roschd mit den Mutazila
hierüber in der "Abhandlung über die Gegend" in seiner spekulativen Dog-
matik, Philosophie und Theologie S. 62 ff. und Schahrastani I 43.
3) Averroes' Philosophie und Theologie S. 53 f. Die entsprechende
Darlegung Maimunis bei Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre S. 431 ff.,
nach dieser kann nur Gottes Existenz erkannt werden, aber nicht seine
Essenz, da sich der Begriff jedes Gegenstandes aus Gattung und artbilden-
dem Unterschied zusammensetzt, diese aber für Gott nicht existiren; ebenso
sind Accidenzen von Gott ausgeschlossen.

Die Theol. d. Judenth., Chriſtenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr.
hätte daſſelbe Gott zum Gegenſtande, wodurch dann in Gott eine
Trennung von Wiſſendem und Gewußtem, ſonach die Aufhebung
ſeiner vollen vom Islam ſo ſtreng gefaßten Einheit geſetzt würde,
oder es hätte einen Gegenſtand außer ihm, und dann wäre Gott
in Rückſicht dieſer ſeiner Eigenſchaft von der Exiſtenz dieſes Gegen-
ſtandes außer ihm bedingt 1). Dann ſtellten die Mutaziliten die
Oertlichkeit Gottes, wie ſie dem Vorſtellen unvermeidlich iſt, ja
überhaupt die dem Vorſtellen anhaftenden ſinnlichen Züge in
Frage 2). Und die arabiſchen Philoſophen ſchloſſen: jede Vor-
ſtellung vollzieht ſich in der Unterſcheidung eines Subjektes, das
erkannt werden ſoll, von Prädikaten, durch welche erkannt werden
ſoll; aber ein Unterſchied eines Trägers von Eigenſchaften und
dieſer Eigenſchaften ſelber, einer Subſtanz und der Attribute, wie
er damit eintreten würde, hebt die Einfachheit Gottes auf 3), ſo-
nach iſt das Weſen Gottes unerkennbar. Mit den Sekten des
Islam finden wir dann die chriſtlichen Theologen des frühen
Mittelalters
auch in Bezug auf dieſe Antinomie in einer merk-
würdigen Uebereinſtimmung. Scotus Erigena und Abälard zeigen
die Unmöglichkeit jeder angemeſſenen Ausſage über Gott; da eine
ſolche aus Begriffen beſtehen würde, dieſe aber nur zur Bezeich-
nung der relativen und endlichen Dinge gefunden ſind; da ſie
unter Kategorien ſtehen würde, aber ſelbſt die Kategorie der Sub-
ſtanz Accidenzen von ſich ausſchließt, alſo Gott begrenzt; da ſie
aus Begriffen zuſammenſetzen würde, Gott aber einfach iſt; da ſie

1) So berichtet mit lebhaftem Ausdruck der Mißbilligung Schahraſtani
I, 69 f.
2) Vgl. die Auseinanderſetzung des Ibn Roſchd mit den Mutazila
hierüber in der „Abhandlung über die Gegend“ in ſeiner ſpekulativen Dog-
matik, Philoſophie und Theologie S. 62 ff. und Schahraſtani I 43.
3) Averroes’ Philoſophie und Theologie S. 53 f. Die entſprechende
Darlegung Maimunis bei Kaufmann, Geſchichte der Attributenlehre S. 431 ff.,
nach dieſer kann nur Gottes Exiſtenz erkannt werden, aber nicht ſeine
Eſſenz, da ſich der Begriff jedes Gegenſtandes aus Gattung und artbilden-
dem Unterſchied zuſammenſetzt, dieſe aber für Gott nicht exiſtiren; ebenſo
ſind Accidenzen von Gott ausgeſchloſſen.
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[365/0388] Die Theol. d. Judenth., Chriſtenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr. hätte daſſelbe Gott zum Gegenſtande, wodurch dann in Gott eine Trennung von Wiſſendem und Gewußtem, ſonach die Aufhebung ſeiner vollen vom Islam ſo ſtreng gefaßten Einheit geſetzt würde, oder es hätte einen Gegenſtand außer ihm, und dann wäre Gott in Rückſicht dieſer ſeiner Eigenſchaft von der Exiſtenz dieſes Gegen- ſtandes außer ihm bedingt 1). Dann ſtellten die Mutaziliten die Oertlichkeit Gottes, wie ſie dem Vorſtellen unvermeidlich iſt, ja überhaupt die dem Vorſtellen anhaftenden ſinnlichen Züge in Frage 2). Und die arabiſchen Philoſophen ſchloſſen: jede Vor- ſtellung vollzieht ſich in der Unterſcheidung eines Subjektes, das erkannt werden ſoll, von Prädikaten, durch welche erkannt werden ſoll; aber ein Unterſchied eines Trägers von Eigenſchaften und dieſer Eigenſchaften ſelber, einer Subſtanz und der Attribute, wie er damit eintreten würde, hebt die Einfachheit Gottes auf 3), ſo- nach iſt das Weſen Gottes unerkennbar. Mit den Sekten des Islam finden wir dann die chriſtlichen Theologen des frühen Mittelalters auch in Bezug auf dieſe Antinomie in einer merk- würdigen Uebereinſtimmung. Scotus Erigena und Abälard zeigen die Unmöglichkeit jeder angemeſſenen Ausſage über Gott; da eine ſolche aus Begriffen beſtehen würde, dieſe aber nur zur Bezeich- nung der relativen und endlichen Dinge gefunden ſind; da ſie unter Kategorien ſtehen würde, aber ſelbſt die Kategorie der Sub- ſtanz Accidenzen von ſich ausſchließt, alſo Gott begrenzt; da ſie aus Begriffen zuſammenſetzen würde, Gott aber einfach iſt; da ſie 1) So berichtet mit lebhaftem Ausdruck der Mißbilligung Schahraſtani I, 69 f. 2) Vgl. die Auseinanderſetzung des Ibn Roſchd mit den Mutazila hierüber in der „Abhandlung über die Gegend“ in ſeiner ſpekulativen Dog- matik, Philoſophie und Theologie S. 62 ff. und Schahraſtani I 43. 3) Averroes’ Philoſophie und Theologie S. 53 f. Die entſprechende Darlegung Maimunis bei Kaufmann, Geſchichte der Attributenlehre S. 431 ff., nach dieſer kann nur Gottes Exiſtenz erkannt werden, aber nicht ſeine Eſſenz, da ſich der Begriff jedes Gegenſtandes aus Gattung und artbilden- dem Unterſchied zuſammenſetzt, dieſe aber für Gott nicht exiſtiren; ebenſo ſind Accidenzen von Gott ausgeſchloſſen.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/388>, abgerufen am 22.11.2024.