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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Dem entspricht die Herrschaft der aristotelischen Metaphysik.
fragen, ob dieser äußere Umstand über das Studium des
Aristoteles bei ihnen entschied 1), in der Stufe ihres Naturwissens
lagen die positiven Ursachen, welche ihnen das System des
Aristoteles als die angemessenste Form der Wissenschaft vom Kosmos
erscheinen ließen. Wol war die positive Naturwissenschaft der
Alexandriner und Araber nicht überall in Uebereinstimmung mit
dem System des Aristoteles. Wol floß ferner bei den Arabern die
Ueberlieferung der mathematischen Naturwissenschaft keineswegs
überall mit der Entwicklung ihrer peripatetischen Schule zusammen;
Thurot hat die Fortdauer der relativen Sonderung der positiven
Naturwissenschaft von der Metaphysik, wie sie das Ergebniß der
Entwicklung der antiken Wissenschaft gewesen ist, an einem her-
vorragenden Falle nachgewiesen; das hydrostatische Theorem,
welches von seinem Entdecker den Namen Prinzip des Archimedes
führt, ist sowol in der weiteren griechischen als in der arabischen
Geschichte der Wissenschaft den Mathematikern bekannt und bleibt
in ihrer Tradition erhalten, dagegen ist es den Metaphysikern
nicht bekannt 2). Doch tastete auch die positive Wissenschaft noch
nicht die Metaphysik des Aristoteles in ihrem Kern an, vielmehr
bestand zwischen den großen Zügen des Naturwissens und denen
der aristotelischen Metaphysik Uebereinstimmung. Noch hatte das
Fernrohr nicht Veränderungen auf den andern Himmelskörpern
gezeigt, noch bestand kein Anfang einer allgemeinen Physik des
Weltgebäudes, und so erhielt sich die aristotelische Lehre von einer
doppelten Welt: der vollkommenen und unwandelbaren Ordnung
der Gestirne und dem Wechsel des Entstehens und Vergehens
unter dem Monde. Daher wurde die Gedankenmäßigkeit des
Kosmos nicht durch eine pantheistisch vorgestellte Weltvernunft
ausgedrückt, vielmehr blieb die Welt der Gestirne der Sitz einer
bewußten Intelligenz, welche von hier ausstrahlte und in einer
niederen Welt sich kundthat. Ja die theologische Metaphysik, für

1) Ueber diese Frage Renan Averroes3 p. 93.
2) Thurot in der revue archeologique n. s. XIX, 111 ff. (recherches
historiques sur le principe d'Archimede).

Dem entſpricht die Herrſchaft der ariſtoteliſchen Metaphyſik.
fragen, ob dieſer äußere Umſtand über das Studium des
Ariſtoteles bei ihnen entſchied 1), in der Stufe ihres Naturwiſſens
lagen die poſitiven Urſachen, welche ihnen das Syſtem des
Ariſtoteles als die angemeſſenſte Form der Wiſſenſchaft vom Kosmos
erſcheinen ließen. Wol war die poſitive Naturwiſſenſchaft der
Alexandriner und Araber nicht überall in Uebereinſtimmung mit
dem Syſtem des Ariſtoteles. Wol floß ferner bei den Arabern die
Ueberlieferung der mathematiſchen Naturwiſſenſchaft keineswegs
überall mit der Entwicklung ihrer peripatetiſchen Schule zuſammen;
Thurot hat die Fortdauer der relativen Sonderung der poſitiven
Naturwiſſenſchaft von der Metaphyſik, wie ſie das Ergebniß der
Entwicklung der antiken Wiſſenſchaft geweſen iſt, an einem her-
vorragenden Falle nachgewieſen; das hydroſtatiſche Theorem,
welches von ſeinem Entdecker den Namen Prinzip des Archimedes
führt, iſt ſowol in der weiteren griechiſchen als in der arabiſchen
Geſchichte der Wiſſenſchaft den Mathematikern bekannt und bleibt
in ihrer Tradition erhalten, dagegen iſt es den Metaphyſikern
nicht bekannt 2). Doch taſtete auch die poſitive Wiſſenſchaft noch
nicht die Metaphyſik des Ariſtoteles in ihrem Kern an, vielmehr
beſtand zwiſchen den großen Zügen des Naturwiſſens und denen
der ariſtoteliſchen Metaphyſik Uebereinſtimmung. Noch hatte das
Fernrohr nicht Veränderungen auf den andern Himmelskörpern
gezeigt, noch beſtand kein Anfang einer allgemeinen Phyſik des
Weltgebäudes, und ſo erhielt ſich die ariſtoteliſche Lehre von einer
doppelten Welt: der vollkommenen und unwandelbaren Ordnung
der Geſtirne und dem Wechſel des Entſtehens und Vergehens
unter dem Monde. Daher wurde die Gedankenmäßigkeit des
Kosmos nicht durch eine pantheiſtiſch vorgeſtellte Weltvernunft
ausgedrückt, vielmehr blieb die Welt der Geſtirne der Sitz einer
bewußten Intelligenz, welche von hier ausſtrahlte und in einer
niederen Welt ſich kundthat. Ja die theologiſche Metaphyſik, für

1) Ueber dieſe Frage Renan Averroès3 p. 93.
2) Thurot in der revue archéologique n. s. XIX, 111 ff. (recherches
historiques sur le principe d’Archimède).
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[377/0400] Dem entſpricht die Herrſchaft der ariſtoteliſchen Metaphyſik. fragen, ob dieſer äußere Umſtand über das Studium des Ariſtoteles bei ihnen entſchied 1), in der Stufe ihres Naturwiſſens lagen die poſitiven Urſachen, welche ihnen das Syſtem des Ariſtoteles als die angemeſſenſte Form der Wiſſenſchaft vom Kosmos erſcheinen ließen. Wol war die poſitive Naturwiſſenſchaft der Alexandriner und Araber nicht überall in Uebereinſtimmung mit dem Syſtem des Ariſtoteles. Wol floß ferner bei den Arabern die Ueberlieferung der mathematiſchen Naturwiſſenſchaft keineswegs überall mit der Entwicklung ihrer peripatetiſchen Schule zuſammen; Thurot hat die Fortdauer der relativen Sonderung der poſitiven Naturwiſſenſchaft von der Metaphyſik, wie ſie das Ergebniß der Entwicklung der antiken Wiſſenſchaft geweſen iſt, an einem her- vorragenden Falle nachgewieſen; das hydroſtatiſche Theorem, welches von ſeinem Entdecker den Namen Prinzip des Archimedes führt, iſt ſowol in der weiteren griechiſchen als in der arabiſchen Geſchichte der Wiſſenſchaft den Mathematikern bekannt und bleibt in ihrer Tradition erhalten, dagegen iſt es den Metaphyſikern nicht bekannt 2). Doch taſtete auch die poſitive Wiſſenſchaft noch nicht die Metaphyſik des Ariſtoteles in ihrem Kern an, vielmehr beſtand zwiſchen den großen Zügen des Naturwiſſens und denen der ariſtoteliſchen Metaphyſik Uebereinſtimmung. Noch hatte das Fernrohr nicht Veränderungen auf den andern Himmelskörpern gezeigt, noch beſtand kein Anfang einer allgemeinen Phyſik des Weltgebäudes, und ſo erhielt ſich die ariſtoteliſche Lehre von einer doppelten Welt: der vollkommenen und unwandelbaren Ordnung der Geſtirne und dem Wechſel des Entſtehens und Vergehens unter dem Monde. Daher wurde die Gedankenmäßigkeit des Kosmos nicht durch eine pantheiſtiſch vorgeſtellte Weltvernunft ausgedrückt, vielmehr blieb die Welt der Geſtirne der Sitz einer bewußten Intelligenz, welche von hier ausſtrahlte und in einer niederen Welt ſich kundthat. Ja die theologiſche Metaphyſik, für 1) Ueber dieſe Frage Renan Averroès3 p. 93. 2) Thurot in der revue archéologique n. s. XIX, 111 ff. (recherches historiques sur le principe d’Archimède).

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/400>, abgerufen am 22.11.2024.