Ration. Theol. a. erster Bestandth. d. Begründ. d. transscendent. Welt.
2. Die verstandesmäßige Begründung der trans- scendenten Welt.
Da im Gottesbewußtsein der Mittelpunkt der mittelalterlichen Metaphysik lag und man von Gott aus die Welt und den Menschen erblickte, hat diese Vernunftwissenschaft während des zweiten Zeit- raums der abendländischen Philosophie, ihrem Streben gemäß, Alles der Denknothwendigkeit zu unterwerfen, das Dasein Gottes zu- nächst festzustellen versucht, Gottes Eigenschaften entwickelt und von ihm aus sich über die geschaffenen geistigen Wesen verbreitet. Dies hatte zur Folge, daß Einzelbeweise für das Dasein Gottes an die Spitze der Metaphysik traten und solche für den Bestand eines Geisterreiches, welchem auch die Menschen angehören, fest- gestellt wurden. Die abstrakte Metaphysik der wolffischen Schule hat auf der Basis der Ontologie die rationale Theologie, Kosmo- logie und Psychologie als die drei Theile der metaphysischen Wissen- schaft gleichwerthig behandelt, und Kant hat entsprechend aus dem einen Wesen der Vernunft die Ideen auf diesen drei Gebieten abzuleiten unternommen. Die geschichtliche Betrachtung des Mittel- alters zeigt, daß die rationale Theologie und Psychologie, als in eine transscendente Welt des Glaubens mit ihren Schlüssen zurückgreifend, eine ganz andere Stelle im menschlichen Denkzu- sammenhang einnehmen wie die Kosmologie, welche nur die Be- griffe von der Wirklichkeit zu vollenden strebt.
Wir betrachten zunächst die Beweise für das Dasein Gottes, die rationale Theologie.
Das Christenthum hatte in dem monotheistischen Ergebniß der antiken Wissenschaft des Kosmos seine geschichtliche Voraus- setzung 1), und die Väter haben den Schluß auf Gott aus dem Charakter der Welt, welcher zweckmäßige Schönheit und doch zugleich Veränderlichkeit ist, als bindend betrachtet. Während der langen Jahrhunderte des Mittelalters ist die Zurück- führung der Welt auf Gott, besonders der Schluß von der
Ration. Theol. a. erſter Beſtandth. d. Begründ. d. transſcendent. Welt.
2. Die verſtandesmäßige Begründung der trans- ſcendenten Welt.
Da im Gottesbewußtſein der Mittelpunkt der mittelalterlichen Metaphyſik lag und man von Gott aus die Welt und den Menſchen erblickte, hat dieſe Vernunftwiſſenſchaft während des zweiten Zeit- raums der abendländiſchen Philoſophie, ihrem Streben gemäß, Alles der Denknothwendigkeit zu unterwerfen, das Daſein Gottes zu- nächſt feſtzuſtellen verſucht, Gottes Eigenſchaften entwickelt und von ihm aus ſich über die geſchaffenen geiſtigen Weſen verbreitet. Dies hatte zur Folge, daß Einzelbeweiſe für das Daſein Gottes an die Spitze der Metaphyſik traten und ſolche für den Beſtand eines Geiſterreiches, welchem auch die Menſchen angehören, feſt- geſtellt wurden. Die abſtrakte Metaphyſik der wolffiſchen Schule hat auf der Baſis der Ontologie die rationale Theologie, Kosmo- logie und Pſychologie als die drei Theile der metaphyſiſchen Wiſſen- ſchaft gleichwerthig behandelt, und Kant hat entſprechend aus dem einen Weſen der Vernunft die Ideen auf dieſen drei Gebieten abzuleiten unternommen. Die geſchichtliche Betrachtung des Mittel- alters zeigt, daß die rationale Theologie und Pſychologie, als in eine transſcendente Welt des Glaubens mit ihren Schlüſſen zurückgreifend, eine ganz andere Stelle im menſchlichen Denkzu- ſammenhang einnehmen wie die Kosmologie, welche nur die Be- griffe von der Wirklichkeit zu vollenden ſtrebt.
Wir betrachten zunächſt die Beweiſe für das Daſein Gottes, die rationale Theologie.
Das Chriſtenthum hatte in dem monotheiſtiſchen Ergebniß der antiken Wiſſenſchaft des Kosmos ſeine geſchichtliche Voraus- ſetzung 1), und die Väter haben den Schluß auf Gott aus dem Charakter der Welt, welcher zweckmäßige Schönheit und doch zugleich Veränderlichkeit iſt, als bindend betrachtet. Während der langen Jahrhunderte des Mittelalters iſt die Zurück- führung der Welt auf Gott, beſonders der Schluß von der
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Ration. Theol. a. erſter Beſtandth. d. Begründ. d. transſcendent. Welt.
2. Die verſtandesmäßige Begründung der trans-
ſcendenten Welt.
Da im Gottesbewußtſein der Mittelpunkt der mittelalterlichen
Metaphyſik lag und man von Gott aus die Welt und den Menſchen
erblickte, hat dieſe Vernunftwiſſenſchaft während des zweiten Zeit-
raums der abendländiſchen Philoſophie, ihrem Streben gemäß, Alles
der Denknothwendigkeit zu unterwerfen, das Daſein Gottes zu-
nächſt feſtzuſtellen verſucht, Gottes Eigenſchaften entwickelt und
von ihm aus ſich über die geſchaffenen geiſtigen Weſen verbreitet.
Dies hatte zur Folge, daß Einzelbeweiſe für das Daſein Gottes
an die Spitze der Metaphyſik traten und ſolche für den Beſtand
eines Geiſterreiches, welchem auch die Menſchen angehören, feſt-
geſtellt wurden. Die abſtrakte Metaphyſik der wolffiſchen Schule
hat auf der Baſis der Ontologie die rationale Theologie, Kosmo-
logie und Pſychologie als die drei Theile der metaphyſiſchen Wiſſen-
ſchaft gleichwerthig behandelt, und Kant hat entſprechend aus dem
einen Weſen der Vernunft die Ideen auf dieſen drei Gebieten
abzuleiten unternommen. Die geſchichtliche Betrachtung des Mittel-
alters zeigt, daß die rationale Theologie und Pſychologie, als
in eine transſcendente Welt des Glaubens mit ihren Schlüſſen
zurückgreifend, eine ganz andere Stelle im menſchlichen Denkzu-
ſammenhang einnehmen wie die Kosmologie, welche nur die Be-
griffe von der Wirklichkeit zu vollenden ſtrebt.
Wir betrachten zunächſt die Beweiſe für das Daſein Gottes,
die rationale Theologie.
Das Chriſtenthum hatte in dem monotheiſtiſchen Ergebniß
der antiken Wiſſenſchaft des Kosmos ſeine geſchichtliche Voraus-
ſetzung 1), und die Väter haben den Schluß auf Gott aus dem
Charakter der Welt, welcher zweckmäßige Schönheit und doch
zugleich Veränderlichkeit iſt, als bindend betrachtet. Während
der langen Jahrhunderte des Mittelalters iſt die Zurück-
führung der Welt auf Gott, beſonders der Schluß von der
1) Römerbrief 1, 19 ff. Apoſtelgeſchichte 14, 15 ff. 17, 22 ff.
Dilthey, Einleitung. 25
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/408>, abgerufen am 22.11.2024.
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