Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Die Encyklopädien der Berufswissenschaften. Denkens auf Grund klarer Begriffe und Sätze. Der Grundgedanke,welchem gemäß die Freiheit des Individuums in seinem Antheil an der politischen Gewalt gelegen ist, dieser Antheil aber gemäß der Leistung des Individuums für das Ganze durch die staatliche Ordnung geregelt wird, ist zuerst für die politische Kunst selber leitend gewesen, danach von den großen Theoretikern der sokratischen Schule nur in wissenschaftlichem Zusammenhang entwickelt wor- den. Der Fortgang zu umfassenden wissenschaftlichen Theorien lehnte sich dann vorwiegend an das Bedürfniß einer Berufsbildung der leitenden Stände an. So entsprangen schon in Griechenland aus den Aufgaben eines höheren politischen Unterrichts in dem Zeit- alter der Sophisten Rhetorik und Politik, und die Geschichte der meisten Geisteswissenschaften bei den neueren Völkern zeigt den herrschenden Einfluß desselben Grundverhältnisses. Die Literatur der Römer über ihr Gemeinwesen empfing ihre älteste Gliederung dadurch, daß sie in Instruktionen für die Priesterthümer und die einzelnen Magistrate sich entwickelte1). Daher ist schließlich die Systematik derjenigen Wissenschaften des Geistes, welche die Grund- lage der Berufsbildung der leitenden Organe der Gesellschaft ent- halten, sowie die Darstellung dieser Systematik in Encyklopädien aus dem Bedürfniß der Uebersicht über das für solche Vorbildung Erforderliche hervorgegangen, und die natürlichste Form dieser Encyklopädien wird, wie Schleiermacher meisterhaft an der Theo- logie gezeigt hat, immer die sein, welche mit Bewußtsein von diesem Zwecke aus den Zusammenhang gliedert. Unter diesen ein- schränkenden Bedingungen wird der in die Geisteswissenschaften Eintretende in solchen encyklopädischen Werken einen Ueberblick über einzelne hervorragende Gruppen dieser Wissenschaften finden2). 1) Mommsen, röm. Staatsrecht I, 3 ff. 2) Für den Zweck einer so bedingten Uebersicht über einzelne Gebiete
der Geisteswissenschaften kann auf folgende Encyklopädien verwiesen werden: Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, Tübingen 1859. Zweite um- gearbeitete Aufl. 1872 (dritte 1881 Titelaufl.). Vergl. dazu Uebersicht und Beurtheilung anderer Encyklopädien in seiner Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften Bd. I, 111--164. Warnkönig, juristische Encyklopädie oder organische Darstellung der Rechtswissenschaft. 1853. Schleiermacher, Die Encyklopädien der Berufswiſſenſchaften. Denkens auf Grund klarer Begriffe und Sätze. Der Grundgedanke,welchem gemäß die Freiheit des Individuums in ſeinem Antheil an der politiſchen Gewalt gelegen iſt, dieſer Antheil aber gemäß der Leiſtung des Individuums für das Ganze durch die ſtaatliche Ordnung geregelt wird, iſt zuerſt für die politiſche Kunſt ſelber leitend geweſen, danach von den großen Theoretikern der ſokratiſchen Schule nur in wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang entwickelt wor- den. Der Fortgang zu umfaſſenden wiſſenſchaftlichen Theorien lehnte ſich dann vorwiegend an das Bedürfniß einer Berufsbildung der leitenden Stände an. So entſprangen ſchon in Griechenland aus den Aufgaben eines höheren politiſchen Unterrichts in dem Zeit- alter der Sophiſten Rhetorik und Politik, und die Geſchichte der meiſten Geiſteswiſſenſchaften bei den neueren Völkern zeigt den herrſchenden Einfluß deſſelben Grundverhältniſſes. Die Literatur der Römer über ihr Gemeinweſen empfing ihre älteſte Gliederung dadurch, daß ſie in Inſtruktionen für die Prieſterthümer und die einzelnen Magiſtrate ſich entwickelte1). Daher iſt ſchließlich die Syſtematik derjenigen Wiſſenſchaften des Geiſtes, welche die Grund- lage der Berufsbildung der leitenden Organe der Geſellſchaft ent- halten, ſowie die Darſtellung dieſer Syſtematik in Encyklopädien aus dem Bedürfniß der Ueberſicht über das für ſolche Vorbildung Erforderliche hervorgegangen, und die natürlichſte Form dieſer Encyklopädien wird, wie Schleiermacher meiſterhaft an der Theo- logie gezeigt hat, immer die ſein, welche mit Bewußtſein von dieſem Zwecke aus den Zuſammenhang gliedert. Unter dieſen ein- ſchränkenden Bedingungen wird der in die Geiſteswiſſenſchaften Eintretende in ſolchen encyklopädiſchen Werken einen Ueberblick über einzelne hervorragende Gruppen dieſer Wiſſenſchaften finden2). 1) Mommſen, röm. Staatsrecht I, 3 ff. 2) Für den Zweck einer ſo bedingten Ueberſicht über einzelne Gebiete
der Geiſteswiſſenſchaften kann auf folgende Encyklopädien verwieſen werden: Mohl, Encyklopädie der Staatswiſſenſchaften, Tübingen 1859. Zweite um- gearbeitete Aufl. 1872 (dritte 1881 Titelaufl.). Vergl. dazu Ueberſicht und Beurtheilung anderer Encyklopädien in ſeiner Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaften Bd. I, 111—164. Warnkönig, juriſtiſche Encyklopädie oder organiſche Darſtellung der Rechtswiſſenſchaft. 1853. Schleiermacher, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0050" n="27"/><fw place="top" type="header">Die Encyklopädien der Berufswiſſenſchaften.</fw><lb/> Denkens auf Grund klarer Begriffe und Sätze. Der Grundgedanke,<lb/> welchem gemäß die Freiheit des Individuums in ſeinem Antheil<lb/> an der politiſchen Gewalt gelegen iſt, dieſer Antheil aber gemäß<lb/> der Leiſtung des Individuums für das Ganze durch die ſtaatliche<lb/> Ordnung geregelt wird, iſt zuerſt für die politiſche Kunſt ſelber<lb/> leitend geweſen, danach von den großen Theoretikern der ſokratiſchen<lb/> Schule nur in wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang entwickelt wor-<lb/> den. Der Fortgang zu umfaſſenden wiſſenſchaftlichen Theorien<lb/> lehnte ſich dann vorwiegend an das Bedürfniß einer Berufsbildung<lb/> der leitenden Stände an. So entſprangen ſchon in Griechenland aus<lb/> den Aufgaben eines höheren politiſchen Unterrichts in dem Zeit-<lb/> alter der Sophiſten Rhetorik und Politik, und die Geſchichte der<lb/> meiſten Geiſteswiſſenſchaften bei den neueren Völkern zeigt den<lb/> herrſchenden Einfluß deſſelben Grundverhältniſſes. Die Literatur<lb/> der Römer über ihr Gemeinweſen empfing ihre älteſte Gliederung<lb/> dadurch, daß ſie in Inſtruktionen für die Prieſterthümer und die<lb/> einzelnen Magiſtrate ſich entwickelte<note place="foot" n="1)">Mommſen, röm. Staatsrecht <hi rendition="#aq">I</hi>, 3 ff.</note>. Daher iſt ſchließlich die<lb/> Syſtematik derjenigen Wiſſenſchaften des Geiſtes, welche die Grund-<lb/> lage der Berufsbildung der leitenden Organe der Geſellſchaft ent-<lb/> halten, ſowie die Darſtellung dieſer Syſtematik in Encyklopädien<lb/> aus dem Bedürfniß der Ueberſicht über das für ſolche Vorbildung<lb/> Erforderliche hervorgegangen, und die natürlichſte Form dieſer<lb/> Encyklopädien wird, wie Schleiermacher meiſterhaft an der Theo-<lb/> logie gezeigt hat, immer die ſein, welche mit Bewußtſein von<lb/> dieſem Zwecke aus den Zuſammenhang gliedert. Unter dieſen ein-<lb/> ſchränkenden Bedingungen wird der in die Geiſteswiſſenſchaften<lb/> Eintretende in ſolchen encyklopädiſchen Werken einen Ueberblick über<lb/> einzelne hervorragende Gruppen dieſer Wiſſenſchaften finden<note xml:id="note-0050" next="#note-0051" place="foot" n="2)">Für den Zweck einer ſo bedingten Ueberſicht über einzelne Gebiete<lb/> der Geiſteswiſſenſchaften kann auf folgende Encyklopädien verwieſen werden:<lb/> Mohl, Encyklopädie der Staatswiſſenſchaften, Tübingen 1859. Zweite um-<lb/> gearbeitete Aufl. 1872 (dritte 1881 Titelaufl.). Vergl. dazu Ueberſicht und<lb/> Beurtheilung anderer Encyklopädien in ſeiner Geſchichte und Literatur der<lb/> Staatswiſſenſchaften Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>, 111—164. Warnkönig, juriſtiſche Encyklopädie<lb/> oder organiſche Darſtellung der Rechtswiſſenſchaft. 1853. Schleiermacher,</note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0050]
Die Encyklopädien der Berufswiſſenſchaften.
Denkens auf Grund klarer Begriffe und Sätze. Der Grundgedanke,
welchem gemäß die Freiheit des Individuums in ſeinem Antheil
an der politiſchen Gewalt gelegen iſt, dieſer Antheil aber gemäß
der Leiſtung des Individuums für das Ganze durch die ſtaatliche
Ordnung geregelt wird, iſt zuerſt für die politiſche Kunſt ſelber
leitend geweſen, danach von den großen Theoretikern der ſokratiſchen
Schule nur in wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang entwickelt wor-
den. Der Fortgang zu umfaſſenden wiſſenſchaftlichen Theorien
lehnte ſich dann vorwiegend an das Bedürfniß einer Berufsbildung
der leitenden Stände an. So entſprangen ſchon in Griechenland aus
den Aufgaben eines höheren politiſchen Unterrichts in dem Zeit-
alter der Sophiſten Rhetorik und Politik, und die Geſchichte der
meiſten Geiſteswiſſenſchaften bei den neueren Völkern zeigt den
herrſchenden Einfluß deſſelben Grundverhältniſſes. Die Literatur
der Römer über ihr Gemeinweſen empfing ihre älteſte Gliederung
dadurch, daß ſie in Inſtruktionen für die Prieſterthümer und die
einzelnen Magiſtrate ſich entwickelte 1). Daher iſt ſchließlich die
Syſtematik derjenigen Wiſſenſchaften des Geiſtes, welche die Grund-
lage der Berufsbildung der leitenden Organe der Geſellſchaft ent-
halten, ſowie die Darſtellung dieſer Syſtematik in Encyklopädien
aus dem Bedürfniß der Ueberſicht über das für ſolche Vorbildung
Erforderliche hervorgegangen, und die natürlichſte Form dieſer
Encyklopädien wird, wie Schleiermacher meiſterhaft an der Theo-
logie gezeigt hat, immer die ſein, welche mit Bewußtſein von
dieſem Zwecke aus den Zuſammenhang gliedert. Unter dieſen ein-
ſchränkenden Bedingungen wird der in die Geiſteswiſſenſchaften
Eintretende in ſolchen encyklopädiſchen Werken einen Ueberblick über
einzelne hervorragende Gruppen dieſer Wiſſenſchaften finden 2).
1) Mommſen, röm. Staatsrecht I, 3 ff.
2) Für den Zweck einer ſo bedingten Ueberſicht über einzelne Gebiete
der Geiſteswiſſenſchaften kann auf folgende Encyklopädien verwieſen werden:
Mohl, Encyklopädie der Staatswiſſenſchaften, Tübingen 1859. Zweite um-
gearbeitete Aufl. 1872 (dritte 1881 Titelaufl.). Vergl. dazu Ueberſicht und
Beurtheilung anderer Encyklopädien in ſeiner Geſchichte und Literatur der
Staatswiſſenſchaften Bd. I, 111—164. Warnkönig, juriſtiſche Encyklopädie
oder organiſche Darſtellung der Rechtswiſſenſchaft. 1853. Schleiermacher,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDarüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |