Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Vierter Abschnitt. metaphysischer Erkenntnisse zerstört und überall lebensvolles, wir-kungskräftiges Wissen an ihre Stelle zu setzen begonnen haben. Der Analysis der menschlichen Gesellschaft ist der Mensch Die neuere Psychologie strebte also, die Gleichförmigkeiten Spinozas Satz: mens conatur in suo esse perseverare 1) S. 18 ff. 35 ff. 44 ff. 2) S. 35 ff. 3) Diesen Ursprung von Eth. III prop. 6--9 zeigt deutlich die Be-
gründung in prop. 4: nulla res nisi a causa externa potest destrui, ein Satz der nur von Einfachen gelten kann, sonach nicht ohne Weiteres auf die mens übertragbar ist und nur durch Uebertragung von dem Logischen auf das Metaphysische gemäß Spinozas falscher Grundvoraussetzung be- wiesen ist. Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. metaphyſiſcher Erkenntniſſe zerſtört und überall lebensvolles, wir-kungskräftiges Wiſſen an ihre Stelle zu ſetzen begonnen haben. Der Analyſis der menſchlichen Geſellſchaft iſt der Menſch Die neuere Pſychologie ſtrebte alſo, die Gleichförmigkeiten Spinozas Satz: mens conatur in suo esse perseverare 1) S. 18 ff. 35 ff. 44 ff. 2) S. 35 ff. 3) Dieſen Urſprung von Eth. III prop. 6—9 zeigt deutlich die Be-
gründung in prop. 4: nulla res nisi a causa externa potest destrui, ein Satz der nur von Einfachen gelten kann, ſonach nicht ohne Weiteres auf die mens übertragbar iſt und nur durch Uebertragung von dem Logiſchen auf das Metaphyſiſche gemäß Spinozas falſcher Grundvorausſetzung be- wieſen iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0501" n="478"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.</fw><lb/> metaphyſiſcher Erkenntniſſe zerſtört und überall lebensvolles, wir-<lb/> kungskräftiges Wiſſen an ihre Stelle zu ſetzen begonnen haben.</p><lb/> <p>Der Analyſis der menſchlichen Geſellſchaft iſt <hi rendition="#g">der Menſch</hi><lb/> ſelber als lebendige Einheit gegeben <note place="foot" n="1)">S. 18 ff. 35 ff. 44 ff.</note>, und die <hi rendition="#g">Zergliederung</hi><lb/> dieſer <hi rendition="#g">Lebenseinheit</hi> bildet daher ihr <hi rendition="#g">fundamentales<lb/> Problem</hi> <note place="foot" n="2)">S. 35 ff.</note>. Die Betrachtungsweiſe der älteren Metaphyſik<lb/> wird zunächſt auf dieſem Gebiet dadurch beſeitigt, daß hinter<lb/> die teleologiſche Gruppirung allgemeiner Formen des geiſtigen<lb/> Lebens zurückgegangen wird auf <hi rendition="#g">erklärende Geſetze</hi>.</p><lb/> <p>Die neuere Pſychologie ſtrebte alſo, die Gleichförmigkeiten<lb/> zu erkennen, nach welchen ein Vorgang im pſychiſchen Leben<lb/> von anderen bedingt iſt. Hierdurch erwies ſie die untergeordnete<lb/> Bedeutung der in der metaphyſiſchen Epoche ausgebildeten Pſy-<lb/> chologie, welche für die einzelnen Vorgänge Klaſſenbegriffe auf-<lb/> geſucht, und dieſen Vermögen oder Kräfte untergelegt hatte.<lb/> Es iſt höchſt intereſſant, in dem zweiten Drittel des ſiebzehnten<lb/> Jahrhunderts zwiſchen den unzähligen klaſſificirenden Werken dieſe<lb/> neue Pſychologie ſich erheben zu ſehen. Und zwar ſtand ſie<lb/> naturgemäß zunächſt unter dem Einfluß der herrſchenden Natur-<lb/> erklärung, innerhalb deren eine fruchtbare Methode zuerſt durchge-<lb/> führt worden war. Der Einführung der <hi rendition="#g">mechaniſchen Natur-<lb/> erklärung</hi> durch Galilei und Descartes folgte daher unmittelbar<lb/> die <hi rendition="#g">Ausdehnung</hi> dieſer <hi rendition="#g">Erklärungsweiſe</hi> auf den <hi rendition="#g">Men-<lb/> ſchen</hi> und den <hi rendition="#g">Staat</hi> durch Hobbes und danach durch Spinoza.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Spinozas Satz:</hi><hi rendition="#aq">mens conatur in suo esse perseverare<lb/> indefinita quadam duratione et hujus sui conatus est conscia</hi><note place="foot" n="3)">Dieſen Urſprung von <hi rendition="#aq">Eth. III prop. 6—9</hi> zeigt deutlich die Be-<lb/> gründung in <hi rendition="#aq">prop. 4: nulla res nisi a causa externa potest destrui,</hi> ein<lb/> Satz der nur von Einfachen gelten kann, ſonach nicht ohne Weiteres auf<lb/> die <hi rendition="#aq">mens</hi> übertragbar iſt und nur durch Uebertragung von dem Logiſchen<lb/> auf das Metaphyſiſche gemäß Spinozas falſcher Grundvorausſetzung be-<lb/> wieſen iſt.</note><lb/> ſtammt aus den Prinzipien der mechaniſchen Schule; er ordnet<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [478/0501]
Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
metaphyſiſcher Erkenntniſſe zerſtört und überall lebensvolles, wir-
kungskräftiges Wiſſen an ihre Stelle zu ſetzen begonnen haben.
Der Analyſis der menſchlichen Geſellſchaft iſt der Menſch
ſelber als lebendige Einheit gegeben 1), und die Zergliederung
dieſer Lebenseinheit bildet daher ihr fundamentales
Problem 2). Die Betrachtungsweiſe der älteren Metaphyſik
wird zunächſt auf dieſem Gebiet dadurch beſeitigt, daß hinter
die teleologiſche Gruppirung allgemeiner Formen des geiſtigen
Lebens zurückgegangen wird auf erklärende Geſetze.
Die neuere Pſychologie ſtrebte alſo, die Gleichförmigkeiten
zu erkennen, nach welchen ein Vorgang im pſychiſchen Leben
von anderen bedingt iſt. Hierdurch erwies ſie die untergeordnete
Bedeutung der in der metaphyſiſchen Epoche ausgebildeten Pſy-
chologie, welche für die einzelnen Vorgänge Klaſſenbegriffe auf-
geſucht, und dieſen Vermögen oder Kräfte untergelegt hatte.
Es iſt höchſt intereſſant, in dem zweiten Drittel des ſiebzehnten
Jahrhunderts zwiſchen den unzähligen klaſſificirenden Werken dieſe
neue Pſychologie ſich erheben zu ſehen. Und zwar ſtand ſie
naturgemäß zunächſt unter dem Einfluß der herrſchenden Natur-
erklärung, innerhalb deren eine fruchtbare Methode zuerſt durchge-
führt worden war. Der Einführung der mechaniſchen Natur-
erklärung durch Galilei und Descartes folgte daher unmittelbar
die Ausdehnung dieſer Erklärungsweiſe auf den Men-
ſchen und den Staat durch Hobbes und danach durch Spinoza.
Spinozas Satz: mens conatur in suo esse perseverare
indefinita quadam duratione et hujus sui conatus est conscia 3)
ſtammt aus den Prinzipien der mechaniſchen Schule; er ordnet
1) S. 18 ff. 35 ff. 44 ff.
2) S. 35 ff.
3) Dieſen Urſprung von Eth. III prop. 6—9 zeigt deutlich die Be-
gründung in prop. 4: nulla res nisi a causa externa potest destrui, ein
Satz der nur von Einfachen gelten kann, ſonach nicht ohne Weiteres auf
die mens übertragbar iſt und nur durch Uebertragung von dem Logiſchen
auf das Metaphyſiſche gemäß Spinozas falſcher Grundvorausſetzung be-
wieſen iſt.
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Zitationshilfe: | Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/501>, abgerufen am 16.02.2025. |