Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Allgemeinster Gesichtspunkt für die Schwierigkeiten der Metaphysik. durch die Unbegrenztheit des über dasselbe hinausschreitendenWillens der Erkenntniß überall wieder aufgehoben. Dazu treten andere Antinomien, indem das Vorstellen die in den Weltlauf verflochtenen psychischen Lebenseinheiten in seinen Zusammenhang aufnehmen und das Erkennen sie seinem System unterwerfen will. So entstanden zunächst die theologischen und metaphysischen An- tinomien des Mittelalters, und als die neuere Zeit das psychische Geschehen selber in seinem Kausalzusammenhang zu erkennen unter- nahm, traten die Widersprüche zwischen dem rechnenden Denken und der inneren Erfahrung innerhalb der metaphysischen Behand- lung der Psychologie hinzu. Diese Antinomien können nicht auf- gelöst werden. Für die positive Wissenschaft sind sie nicht da, und für die Erkenntnißtheorie ist ihr subjektiver Ursprung durchsichtig. Daher stören sie die Harmonie unseres geistigen Lebens nicht. Aber sie haben die Metaphysik zerrieben. Will das metaphysische Denken, solchen Widersprüchen trotzend, Allgemeinſter Geſichtspunkt für die Schwierigkeiten der Metaphyſik. durch die Unbegrenztheit des über daſſelbe hinausſchreitendenWillens der Erkenntniß überall wieder aufgehoben. Dazu treten andere Antinomien, indem das Vorſtellen die in den Weltlauf verflochtenen pſychiſchen Lebenseinheiten in ſeinen Zuſammenhang aufnehmen und das Erkennen ſie ſeinem Syſtem unterwerfen will. So entſtanden zunächſt die theologiſchen und metaphyſiſchen An- tinomien des Mittelalters, und als die neuere Zeit das pſychiſche Geſchehen ſelber in ſeinem Kauſalzuſammenhang zu erkennen unter- nahm, traten die Widerſprüche zwiſchen dem rechnenden Denken und der inneren Erfahrung innerhalb der metaphyſiſchen Behand- lung der Pſychologie hinzu. Dieſe Antinomien können nicht auf- gelöſt werden. Für die poſitive Wiſſenſchaft ſind ſie nicht da, und für die Erkenntnißtheorie iſt ihr ſubjektiver Urſprung durchſichtig. Daher ſtören ſie die Harmonie unſeres geiſtigen Lebens nicht. Aber ſie haben die Metaphyſik zerrieben. Will das metaphyſiſche Denken, ſolchen Widerſprüchen trotzend, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0528" n="505"/><fw place="top" type="header">Allgemeinſter Geſichtspunkt für die Schwierigkeiten der Metaphyſik.</fw><lb/> durch die Unbegrenztheit des über daſſelbe hinausſchreitenden<lb/> Willens der Erkenntniß überall wieder aufgehoben. Dazu treten<lb/> andere Antinomien, indem das Vorſtellen die in den Weltlauf<lb/> verflochtenen pſychiſchen Lebenseinheiten in ſeinen Zuſammenhang<lb/> aufnehmen und das Erkennen ſie ſeinem Syſtem unterwerfen will.<lb/> So entſtanden zunächſt die theologiſchen und metaphyſiſchen An-<lb/> tinomien des Mittelalters, und als die neuere Zeit das pſychiſche<lb/> Geſchehen ſelber in ſeinem Kauſalzuſammenhang zu erkennen unter-<lb/> nahm, traten die Widerſprüche zwiſchen dem rechnenden Denken<lb/> und der inneren Erfahrung innerhalb der metaphyſiſchen Behand-<lb/> lung der Pſychologie hinzu. Dieſe Antinomien können nicht auf-<lb/> gelöſt werden. Für die poſitive Wiſſenſchaft ſind ſie nicht da, und<lb/> für die Erkenntnißtheorie iſt ihr ſubjektiver Urſprung durchſichtig.<lb/> Daher ſtören ſie die Harmonie unſeres geiſtigen Lebens nicht. Aber<lb/> ſie haben die Metaphyſik zerrieben.</p><lb/> <p>Will das metaphyſiſche Denken, ſolchen Widerſprüchen trotzend,<lb/> das Subjekt der Welt wirklich erkennen: ſo kann dies nichts<lb/> Anderes für es ſein als — Logismus. Jede Metaphyſik, welche<lb/> das Subjekt des Weltlaufs erkennen zu wollen beanſprucht, in<lb/> ihm aber etwas Anderes als Denknothwendigkeit ſucht, geräth in<lb/> einen augenſcheinlichen Widerſpruch zwiſchen ihrem Ziel und<lb/> ihren Hilfsmitteln. Das <hi rendition="#g">Denken</hi> kann <hi rendition="#g">einen anderen</hi> als<lb/><hi rendition="#g">logiſchen Zuſammenhang</hi> in der Wirklichkeit <hi rendition="#g">nicht finden</hi>.<lb/> Denn da uns nur der Befund unſeres Selbſtbewußtſeins unmittel-<lb/> bar gegeben iſt und wir ſonach in das Innere der Natur nicht<lb/> direkt hineinblicken, ſo ſind wir, wenn wir unabhängig vom<lb/> Logismus über dieſes eine Vorſtellung bilden wollen, auf eine<lb/> Uebertragung unſeres eigenen Inneren auf die Natur angewieſen.<lb/> Dieſe kann aber nur ein poetiſches Spiel analogiſchen Vorſtellens<lb/> ſein, welches bald die Abgründe und dunkelen Gewalten unſeres<lb/> Seelenlebens, bald die ruhige Harmonie deſſelben, den hellen<lb/> freien Willen, die bildende Phantaſie in das Subjekt des Natur-<lb/> laufs hineinträgt. Die metaphyſiſchen Syſteme dieſer Richtung<lb/> haben ſonach, ernſtlich wiſſenſchaftlich genommen, nur den Werth<lb/> eines Proteſtes gegen den denknothwendigen Zuſammenhang. So<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [505/0528]
Allgemeinſter Geſichtspunkt für die Schwierigkeiten der Metaphyſik.
durch die Unbegrenztheit des über daſſelbe hinausſchreitenden
Willens der Erkenntniß überall wieder aufgehoben. Dazu treten
andere Antinomien, indem das Vorſtellen die in den Weltlauf
verflochtenen pſychiſchen Lebenseinheiten in ſeinen Zuſammenhang
aufnehmen und das Erkennen ſie ſeinem Syſtem unterwerfen will.
So entſtanden zunächſt die theologiſchen und metaphyſiſchen An-
tinomien des Mittelalters, und als die neuere Zeit das pſychiſche
Geſchehen ſelber in ſeinem Kauſalzuſammenhang zu erkennen unter-
nahm, traten die Widerſprüche zwiſchen dem rechnenden Denken
und der inneren Erfahrung innerhalb der metaphyſiſchen Behand-
lung der Pſychologie hinzu. Dieſe Antinomien können nicht auf-
gelöſt werden. Für die poſitive Wiſſenſchaft ſind ſie nicht da, und
für die Erkenntnißtheorie iſt ihr ſubjektiver Urſprung durchſichtig.
Daher ſtören ſie die Harmonie unſeres geiſtigen Lebens nicht. Aber
ſie haben die Metaphyſik zerrieben.
Will das metaphyſiſche Denken, ſolchen Widerſprüchen trotzend,
das Subjekt der Welt wirklich erkennen: ſo kann dies nichts
Anderes für es ſein als — Logismus. Jede Metaphyſik, welche
das Subjekt des Weltlaufs erkennen zu wollen beanſprucht, in
ihm aber etwas Anderes als Denknothwendigkeit ſucht, geräth in
einen augenſcheinlichen Widerſpruch zwiſchen ihrem Ziel und
ihren Hilfsmitteln. Das Denken kann einen anderen als
logiſchen Zuſammenhang in der Wirklichkeit nicht finden.
Denn da uns nur der Befund unſeres Selbſtbewußtſeins unmittel-
bar gegeben iſt und wir ſonach in das Innere der Natur nicht
direkt hineinblicken, ſo ſind wir, wenn wir unabhängig vom
Logismus über dieſes eine Vorſtellung bilden wollen, auf eine
Uebertragung unſeres eigenen Inneren auf die Natur angewieſen.
Dieſe kann aber nur ein poetiſches Spiel analogiſchen Vorſtellens
ſein, welches bald die Abgründe und dunkelen Gewalten unſeres
Seelenlebens, bald die ruhige Harmonie deſſelben, den hellen
freien Willen, die bildende Phantaſie in das Subjekt des Natur-
laufs hineinträgt. Die metaphyſiſchen Syſteme dieſer Richtung
haben ſonach, ernſtlich wiſſenſchaftlich genommen, nur den Werth
eines Proteſtes gegen den denknothwendigen Zuſammenhang. So
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