Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Vierter Abschnitt. bereiten sie die Einsicht vor, daß in der Welt mehr und anderesals dieser enthalten ist. Darin allein lag die vorübergehende Bedeutung der Metaphysik Schopenhauers und ihm verwandter Schriftsteller. Sie ist im Grunde eine Mystik des neunzehnten Jahrhunderts und ein lebens-, willenskräftiger Protest gegen alle Metaphysik als folgerichtige Wissenschaft. Wann dagegen das Er- kennen nach dem Satze vom Grunde sich des Subjektes des Welt- laufs zu bemächtigen entschlossen ist, entdeckt es nur Denknoth- wendigkeit als den Kern der Welt, daher besteht für dasselbe weder der Gott der Religion noch die Erfahrung der Freiheit. Die Bänder des metaphysischen Weltzusammen- hangs können von dem Verstande nicht eindeutig bestimmt werden. Wir gehen weiter. Die Metaphysik vermag die Verkettung Der Differenzirungsproceß, in welchem die Wissenschaft sich Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. bereiten ſie die Einſicht vor, daß in der Welt mehr und anderesals dieſer enthalten iſt. Darin allein lag die vorübergehende Bedeutung der Metaphyſik Schopenhauers und ihm verwandter Schriftſteller. Sie iſt im Grunde eine Myſtik des neunzehnten Jahrhunderts und ein lebens-, willenskräftiger Proteſt gegen alle Metaphyſik als folgerichtige Wiſſenſchaft. Wann dagegen das Er- kennen nach dem Satze vom Grunde ſich des Subjektes des Welt- laufs zu bemächtigen entſchloſſen iſt, entdeckt es nur Denknoth- wendigkeit als den Kern der Welt, daher beſteht für daſſelbe weder der Gott der Religion noch die Erfahrung der Freiheit. Die Bänder des metaphyſiſchen Weltzuſammen- hangs können von dem Verſtande nicht eindeutig beſtimmt werden. Wir gehen weiter. Die Metaphyſik vermag die Verkettung Der Differenzirungsproceß, in welchem die Wiſſenſchaft ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0529" n="506"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.</fw><lb/> bereiten ſie die Einſicht vor, daß in der Welt mehr und anderes<lb/> als dieſer enthalten iſt. Darin allein lag die vorübergehende<lb/> Bedeutung der Metaphyſik Schopenhauers und ihm verwandter<lb/> Schriftſteller. Sie iſt im Grunde eine Myſtik des neunzehnten<lb/> Jahrhunderts und ein lebens-, willenskräftiger Proteſt gegen alle<lb/> Metaphyſik als folgerichtige Wiſſenſchaft. Wann dagegen das Er-<lb/> kennen nach dem Satze vom Grunde ſich des Subjektes des Welt-<lb/> laufs zu bemächtigen entſchloſſen iſt, entdeckt es nur Denknoth-<lb/> wendigkeit als den Kern der Welt, daher beſteht für daſſelbe<lb/> weder der Gott der Religion noch die Erfahrung der Freiheit.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#g">Die Bänder des metaphyſiſchen Weltzuſammen-<lb/> hangs können von dem Verſtande nicht eindeutig<lb/> beſtimmt werden.</hi> </head><lb/> <p>Wir gehen weiter. Die Metaphyſik vermag die Verkettung<lb/> der inneren und äußeren Erfahrungen nur durch Vorſtellungen<lb/> über einen inneren inhaltlichen Zuſammenhang herzuſtellen. Und<lb/> wenn wir dieſe Vorſtellungen in’s Auge faſſen, ergiebt ſich die<lb/> Unmöglichkeit der Metaphyſik. Denn dieſe Vorſtellungen ſind einer<lb/> klaren eindeutigen Beſtimmung unzugänglich.</p><lb/> <p>Der Differenzirungsproceß, in welchem die Wiſſenſchaft ſich<lb/> von den anderen Syſtemen der Kultur ſondert, zeigte ſich uns als<lb/> beſtändig fortſchreitend. Nicht mit einem Male löſte ſich aus der<lb/> Gebundenheit aller Gemüthskräfte der Zweckzuſammenhang der<lb/> Erkenntniß. Wie viel Aehnlichkeit hatte doch noch die Natur,<lb/> welche aus einem inneren Zuſtand in den anderen nach einer<lb/> inneren Lebendigkeit übergeht, oder das begrenzende Princip im<lb/> Mittelpunkt der Welt, das die Materie an ſich zieht und geſtaltet,<lb/> mit den göttlichen Kräften der heſiodeiſchen Theogonie. Und wie<lb/> lange blieb dann die Anſicht herrſchend, welche die gedankenmäßige<lb/> Ordnung des Weltalls auf ein Syſtem pſychiſcher Weſenheiten<lb/> zurückführte. Mühſam löſte ſich der Intellekt von dieſem inneren<lb/> Zuſammen los. Allmälich gewöhnte er ſich, mit immer weniger<lb/> Leben und Seele in der Natur hauszuhalten und auf immer<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [506/0529]
Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
bereiten ſie die Einſicht vor, daß in der Welt mehr und anderes
als dieſer enthalten iſt. Darin allein lag die vorübergehende
Bedeutung der Metaphyſik Schopenhauers und ihm verwandter
Schriftſteller. Sie iſt im Grunde eine Myſtik des neunzehnten
Jahrhunderts und ein lebens-, willenskräftiger Proteſt gegen alle
Metaphyſik als folgerichtige Wiſſenſchaft. Wann dagegen das Er-
kennen nach dem Satze vom Grunde ſich des Subjektes des Welt-
laufs zu bemächtigen entſchloſſen iſt, entdeckt es nur Denknoth-
wendigkeit als den Kern der Welt, daher beſteht für daſſelbe
weder der Gott der Religion noch die Erfahrung der Freiheit.
Die Bänder des metaphyſiſchen Weltzuſammen-
hangs können von dem Verſtande nicht eindeutig
beſtimmt werden.
Wir gehen weiter. Die Metaphyſik vermag die Verkettung
der inneren und äußeren Erfahrungen nur durch Vorſtellungen
über einen inneren inhaltlichen Zuſammenhang herzuſtellen. Und
wenn wir dieſe Vorſtellungen in’s Auge faſſen, ergiebt ſich die
Unmöglichkeit der Metaphyſik. Denn dieſe Vorſtellungen ſind einer
klaren eindeutigen Beſtimmung unzugänglich.
Der Differenzirungsproceß, in welchem die Wiſſenſchaft ſich
von den anderen Syſtemen der Kultur ſondert, zeigte ſich uns als
beſtändig fortſchreitend. Nicht mit einem Male löſte ſich aus der
Gebundenheit aller Gemüthskräfte der Zweckzuſammenhang der
Erkenntniß. Wie viel Aehnlichkeit hatte doch noch die Natur,
welche aus einem inneren Zuſtand in den anderen nach einer
inneren Lebendigkeit übergeht, oder das begrenzende Princip im
Mittelpunkt der Welt, das die Materie an ſich zieht und geſtaltet,
mit den göttlichen Kräften der heſiodeiſchen Theogonie. Und wie
lange blieb dann die Anſicht herrſchend, welche die gedankenmäßige
Ordnung des Weltalls auf ein Syſtem pſychiſcher Weſenheiten
zurückführte. Mühſam löſte ſich der Intellekt von dieſem inneren
Zuſammen los. Allmälich gewöhnte er ſich, mit immer weniger
Leben und Seele in der Natur hauszuhalten und auf immer
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