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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Wissenschaften der äußeren Organisation der Gesellschaft.
welche in den Staatswissenschaften ihren Mittelpunkt hat. Die regellose
Gewalt seiner Leidenschaften so gut als sein inniges Bedürfniß und
Gefühl von Gemeinschaft machen den Menschen, wie er Bestandtheil
in dem Gefüge dieser Systeme ist, so zu einem Glied in deräußeren
Organisation
der Menschheit. Von der Struktur, welche ein
Zusammenhang psychischer Elemente in dem Zweckganzen eines
Systems zeigt, von der Analysis derselben, welche die Beziehungen
in einem solchen System untersucht, unterscheiden wir die Struktur,
welche in dem Verbande von Willenseinheiten entsteht, und die
Analysis der Eigenschaften der äußeren Organisation der Gesell-
schaft, der Gemeinsamkeiten, der Verbände, des Gefüges, das in
Herrschaftsverhältnissen und äußerer Bindung vom Willen entsteht.

Die Grundlage, auf welcher diese andere Form dauernder
Beziehungen in der Wechselwirkung beruht, reicht eben so tief, als
die, welche die Thatsache der Systeme hervorbringt. Sie liegt zu-
nächst in der Eigenschaft des Menschen, vermöge deren er ein ge-
selliges Wesen ist. Mit dem Naturzusammenhang, in welchem der
Mensch steht, den Gleichartigkeiten, die so entspringen, den dauern-
den Beziehungen von psychischen Akten in Einem Menschenwesen
auf solche in einem anderen sind dauernde Gefühle von Zusammen-
gehörigkeit verbunden, nicht nur ein kaltes Vorstellen dieser Ver-
hältnisse. Andere gewaltsamer wirkende Kräfte nöthigen die Willen
zum Verbande zusammen: Interesse und Zwang. Wirken diese
beiden Arten von Kräften nebeneinander: so kann die uralte
Streitfrage, welchen Antheil jede von ihnen an der Ent-
stehung des Verbands, des Staates habe, nur durch historische
Analysis von Fall zu Fall aufgelöst werden.

Natur und Umfang der Wissenschaften, welche so ent-
stehen, ergiebt sich erst näher aus der Erörterung der Kultursysteme
und ihrer Wissenschaften. Bevor wir in diese eintreten, ziehen wir
zwei weitere Folgerungen in dem Zusammenhang der Beweisführung,
welche durch diese Analyse der Geisteswissenschaften hindurch geht.

Augenscheinlich besteht dasselbe Verhältniß, vermöge dessen
Begriffe und Sätze der Wissenschaften der Kultur von denen der
Anthropologie abhängig waren, auch auf diesem Gebiet der

Wiſſenſchaften der äußeren Organiſation der Geſellſchaft.
welche in den Staatswiſſenſchaften ihren Mittelpunkt hat. Die regelloſe
Gewalt ſeiner Leidenſchaften ſo gut als ſein inniges Bedürfniß und
Gefühl von Gemeinſchaft machen den Menſchen, wie er Beſtandtheil
in dem Gefüge dieſer Syſteme iſt, ſo zu einem Glied in deräußeren
Organiſation
der Menſchheit. Von der Struktur, welche ein
Zuſammenhang pſychiſcher Elemente in dem Zweckganzen eines
Syſtems zeigt, von der Analyſis derſelben, welche die Beziehungen
in einem ſolchen Syſtem unterſucht, unterſcheiden wir die Struktur,
welche in dem Verbande von Willenseinheiten entſteht, und die
Analyſis der Eigenſchaften der äußeren Organiſation der Geſell-
ſchaft, der Gemeinſamkeiten, der Verbände, des Gefüges, das in
Herrſchaftsverhältniſſen und äußerer Bindung vom Willen entſteht.

Die Grundlage, auf welcher dieſe andere Form dauernder
Beziehungen in der Wechſelwirkung beruht, reicht eben ſo tief, als
die, welche die Thatſache der Syſteme hervorbringt. Sie liegt zu-
nächſt in der Eigenſchaft des Menſchen, vermöge deren er ein ge-
ſelliges Weſen iſt. Mit dem Naturzuſammenhang, in welchem der
Menſch ſteht, den Gleichartigkeiten, die ſo entſpringen, den dauern-
den Beziehungen von pſychiſchen Akten in Einem Menſchenweſen
auf ſolche in einem anderen ſind dauernde Gefühle von Zuſammen-
gehörigkeit verbunden, nicht nur ein kaltes Vorſtellen dieſer Ver-
hältniſſe. Andere gewaltſamer wirkende Kräfte nöthigen die Willen
zum Verbande zuſammen: Intereſſe und Zwang. Wirken dieſe
beiden Arten von Kräften nebeneinander: ſo kann die uralte
Streitfrage, welchen Antheil jede von ihnen an der Ent-
ſtehung des Verbands, des Staates habe, nur durch hiſtoriſche
Analyſis von Fall zu Fall aufgelöſt werden.

Natur und Umfang der Wiſſenſchaften, welche ſo ent-
ſtehen, ergiebt ſich erſt näher aus der Erörterung der Kulturſyſteme
und ihrer Wiſſenſchaften. Bevor wir in dieſe eintreten, ziehen wir
zwei weitere Folgerungen in dem Zuſammenhang der Beweisführung,
welche durch dieſe Analyſe der Geiſteswiſſenſchaften hindurch geht.

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Begriffe und Sätze der Wiſſenſchaften der Kultur von denen der
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[59/0082] Wiſſenſchaften der äußeren Organiſation der Geſellſchaft. welche in den Staatswiſſenſchaften ihren Mittelpunkt hat. Die regelloſe Gewalt ſeiner Leidenſchaften ſo gut als ſein inniges Bedürfniß und Gefühl von Gemeinſchaft machen den Menſchen, wie er Beſtandtheil in dem Gefüge dieſer Syſteme iſt, ſo zu einem Glied in deräußeren Organiſation der Menſchheit. Von der Struktur, welche ein Zuſammenhang pſychiſcher Elemente in dem Zweckganzen eines Syſtems zeigt, von der Analyſis derſelben, welche die Beziehungen in einem ſolchen Syſtem unterſucht, unterſcheiden wir die Struktur, welche in dem Verbande von Willenseinheiten entſteht, und die Analyſis der Eigenſchaften der äußeren Organiſation der Geſell- ſchaft, der Gemeinſamkeiten, der Verbände, des Gefüges, das in Herrſchaftsverhältniſſen und äußerer Bindung vom Willen entſteht. Die Grundlage, auf welcher dieſe andere Form dauernder Beziehungen in der Wechſelwirkung beruht, reicht eben ſo tief, als die, welche die Thatſache der Syſteme hervorbringt. Sie liegt zu- nächſt in der Eigenſchaft des Menſchen, vermöge deren er ein ge- ſelliges Weſen iſt. Mit dem Naturzuſammenhang, in welchem der Menſch ſteht, den Gleichartigkeiten, die ſo entſpringen, den dauern- den Beziehungen von pſychiſchen Akten in Einem Menſchenweſen auf ſolche in einem anderen ſind dauernde Gefühle von Zuſammen- gehörigkeit verbunden, nicht nur ein kaltes Vorſtellen dieſer Ver- hältniſſe. Andere gewaltſamer wirkende Kräfte nöthigen die Willen zum Verbande zuſammen: Intereſſe und Zwang. Wirken dieſe beiden Arten von Kräften nebeneinander: ſo kann die uralte Streitfrage, welchen Antheil jede von ihnen an der Ent- ſtehung des Verbands, des Staates habe, nur durch hiſtoriſche Analyſis von Fall zu Fall aufgelöſt werden. Natur und Umfang der Wiſſenſchaften, welche ſo ent- ſtehen, ergiebt ſich erſt näher aus der Erörterung der Kulturſyſteme und ihrer Wiſſenſchaften. Bevor wir in dieſe eintreten, ziehen wir zwei weitere Folgerungen in dem Zuſammenhang der Beweisführung, welche durch dieſe Analyſe der Geiſteswiſſenſchaften hindurch geht. Augenſcheinlich beſteht daſſelbe Verhältniß, vermöge deſſen Begriffe und Sätze der Wiſſenſchaften der Kultur von denen der Anthropologie abhängig waren, auch auf dieſem Gebiet der

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/82>, abgerufen am 24.11.2024.