Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_399.001 Wir nennen das gesetzliche Verhältniss, nach welchem an pdi_399.021 pdi_399.001 Wir nennen das gesetzliche Verhältniss, nach welchem an pdi_399.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="399"/><lb n="pdi_399.001"/> diese Gebilde nur in einer Zeitreihe hervorzubringen. In <lb n="pdi_399.002"/> dieser verknüpft es bekannte Elemente, aber in der Art, wie es <lb n="pdi_399.003"/> sie fügt, die gesuchten festhält und neue anschliesst, liegt das <lb n="pdi_399.004"/> Constructive, das dem Künstler, wie dem Mathematiker eigen <lb n="pdi_399.005"/> ist. Da nun im Künstler diese Construction von der Stimmung, <lb n="pdi_399.006"/> der Gefühlslage ausgeht, hat der Vorgang in ihm etwas Triebartiges; <lb n="pdi_399.007"/> die Art und Weise, in welcher die Veränderungen stattfinden, <lb n="pdi_399.008"/> ist <hi rendition="#g">Entfaltung.</hi> Trieb und Entfaltung entsprechen einander. <lb n="pdi_399.009"/> An dieser Stelle erkennen wir, dass nicht todte Verhältnisse <lb n="pdi_399.010"/> von Association und Reproduction das ganze geistige <lb n="pdi_399.011"/> Leben beherrschen. Das Auftreten eines Bildes ist lebendiger <lb n="pdi_399.012"/> Vorgang; Bilder kehren nicht einfach wieder. Es giebt ferner <lb n="pdi_399.013"/> eine Eingewöhnung in bestimmte Beziehungen zwischen Vorgängen. <lb n="pdi_399.014"/> Wie Bilder die Leichtigkeit der Reproduction gewinnen, <lb n="pdi_399.015"/> so entstehen auch Gewöhnungen an gewisse Beziehungen, an den <lb n="pdi_399.016"/> Fortgang von einem Element zum andern. Der Styl eines Künstlers <lb n="pdi_399.017"/> ist eine solche, in seinem Wesen gegründete Gewöhnung, Gewänder <lb n="pdi_399.018"/> in Holz oder anderem Material sich vorzustellen und <lb n="pdi_399.019"/> danach zu bilden, die Körper in das Schlanke zu strecken.</p> <lb n="pdi_399.020"/> <p> Wir nennen das gesetzliche Verhältniss, nach welchem an <lb n="pdi_399.021"/> einen Thatbestand eine befriedigende Erregung des Gefühls oder <lb n="pdi_399.022"/> ein Bestandtheil einer solchen gebunden ist und entsprechend <lb n="pdi_399.023"/> das künstlerische Schaffen in der Herstellung eines solchen Thatbestandes <lb n="pdi_399.024"/> Befriedigung sucht, ein ästhetisches <hi rendition="#g">Princip.</hi> Ein <lb n="pdi_399.025"/> solches Princip wirkt im inneren Bilden einer künstlerischen, <lb n="pdi_399.026"/> einer dichterischen Seele zunächst schon unwillkürlich, ohne die <lb n="pdi_399.027"/> Absicht, Anderen einen Eindruck zu machen. Sofern ein solches <lb n="pdi_399.028"/> Princip, wie wir später näher sehen werden, zugleich als Grund <lb n="pdi_399.029"/> eines befriedigenden Eindruckes auf Andere erscheint, welchem <lb n="pdi_399.030"/> sich kein Leser oder Hörer zu entziehen vermag, kann die <lb n="pdi_399.031"/> Formel desselben auch die Gestalt einer <hi rendition="#g">Regel</hi> annehmen, an <lb n="pdi_399.032"/> welche allgemein der Eindruck geknüpft ist. So kann das Princip <lb n="pdi_399.033"/> als allgemeingültige <hi rendition="#g">Norm</hi> bezeichnet werden. Indem die dargelegten <lb n="pdi_399.034"/> Principien nun von dem erworbenen Zusammenhang des <lb n="pdi_399.035"/> Seelenlebens aus in einer dichterischen Seele Transformationen <lb n="pdi_399.036"/> der Bilder erwirken, welche den Gefühlen eine Befriedigung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [399/0101]
pdi_399.001
diese Gebilde nur in einer Zeitreihe hervorzubringen. In pdi_399.002
dieser verknüpft es bekannte Elemente, aber in der Art, wie es pdi_399.003
sie fügt, die gesuchten festhält und neue anschliesst, liegt das pdi_399.004
Constructive, das dem Künstler, wie dem Mathematiker eigen pdi_399.005
ist. Da nun im Künstler diese Construction von der Stimmung, pdi_399.006
der Gefühlslage ausgeht, hat der Vorgang in ihm etwas Triebartiges; pdi_399.007
die Art und Weise, in welcher die Veränderungen stattfinden, pdi_399.008
ist Entfaltung. Trieb und Entfaltung entsprechen einander. pdi_399.009
An dieser Stelle erkennen wir, dass nicht todte Verhältnisse pdi_399.010
von Association und Reproduction das ganze geistige pdi_399.011
Leben beherrschen. Das Auftreten eines Bildes ist lebendiger pdi_399.012
Vorgang; Bilder kehren nicht einfach wieder. Es giebt ferner pdi_399.013
eine Eingewöhnung in bestimmte Beziehungen zwischen Vorgängen. pdi_399.014
Wie Bilder die Leichtigkeit der Reproduction gewinnen, pdi_399.015
so entstehen auch Gewöhnungen an gewisse Beziehungen, an den pdi_399.016
Fortgang von einem Element zum andern. Der Styl eines Künstlers pdi_399.017
ist eine solche, in seinem Wesen gegründete Gewöhnung, Gewänder pdi_399.018
in Holz oder anderem Material sich vorzustellen und pdi_399.019
danach zu bilden, die Körper in das Schlanke zu strecken.
pdi_399.020
Wir nennen das gesetzliche Verhältniss, nach welchem an pdi_399.021
einen Thatbestand eine befriedigende Erregung des Gefühls oder pdi_399.022
ein Bestandtheil einer solchen gebunden ist und entsprechend pdi_399.023
das künstlerische Schaffen in der Herstellung eines solchen Thatbestandes pdi_399.024
Befriedigung sucht, ein ästhetisches Princip. Ein pdi_399.025
solches Princip wirkt im inneren Bilden einer künstlerischen, pdi_399.026
einer dichterischen Seele zunächst schon unwillkürlich, ohne die pdi_399.027
Absicht, Anderen einen Eindruck zu machen. Sofern ein solches pdi_399.028
Princip, wie wir später näher sehen werden, zugleich als Grund pdi_399.029
eines befriedigenden Eindruckes auf Andere erscheint, welchem pdi_399.030
sich kein Leser oder Hörer zu entziehen vermag, kann die pdi_399.031
Formel desselben auch die Gestalt einer Regel annehmen, an pdi_399.032
welche allgemein der Eindruck geknüpft ist. So kann das Princip pdi_399.033
als allgemeingültige Norm bezeichnet werden. Indem die dargelegten pdi_399.034
Principien nun von dem erworbenen Zusammenhang des pdi_399.035
Seelenlebens aus in einer dichterischen Seele Transformationen pdi_399.036
der Bilder erwirken, welche den Gefühlen eine Befriedigung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |