Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_421.001 Dieses Alles wird aber nur dadurch erreicht, dass aus pdi_421.004 Dieser so zusammengesetzte poetische Eindruck muss nun pdi_421.013 pdi_421.001 Dieses Alles wird aber nur dadurch erreicht, dass aus pdi_421.004 Dieser so zusammengesetzte poetische Eindruck muss nun pdi_421.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0123" n="421"/><lb n="pdi_421.001"/> Endzustand herbeigeführt werden. Daher dienen in der <lb n="pdi_421.002"/> Tragödie Schmerz und Tod nur, Seelengrösse zu offenbaren.</p> <lb n="pdi_421.003"/> <p> Dieses Alles wird aber nur dadurch erreicht, dass aus <lb n="pdi_421.004"/> diesen beweglichsten, flüchtigsten, durchsichtigsten Stoffen von <lb n="pdi_421.005"/> Lauten und mit ihnen verknüpften Vorstellungen in der Einbildungskraft <lb n="pdi_421.006"/> des Auffassenden ein Bildzusammenhang <hi rendition="#g">sich aufbaut.</hi> <lb n="pdi_421.007"/> Die grosse Regel des Poeten ist daher, die Einbildungskraft <lb n="pdi_421.008"/> in einer von ihm beabsichtigten Richtung in Thätigkeit <lb n="pdi_421.009"/> zu setzen. Der so entstehende Bildzusammenhang muss aber in <lb n="pdi_421.010"/> seiner Sinnfälligkeit auch Glauben hervorrufen. Denn nur wo <lb n="pdi_421.011"/> wir an die Wirklichkeit desselben glauben, erlebt unsere Seele.</p> <lb n="pdi_421.012"/> <p> Dieser so zusammengesetzte poetische <hi rendition="#g">Eindruck</hi> muss nun <lb n="pdi_421.013"/> mit dem <hi rendition="#g">Schaffen</hi> des Dichters <hi rendition="#g">verglichen</hi> werden, wie <lb n="pdi_421.014"/> wir es analysirt haben. So ergiebt sich folgendes Verhältniss. <lb n="pdi_421.015"/> Der primäre Vorgang ist das Schaffen. Die Poesie entstand aus <lb n="pdi_421.016"/> dem Drang, Erlebniss auszusprechen, nicht aus dem Bedürfniss, den <lb n="pdi_421.017"/> poetischen Eindruck zu ermöglichen. Was nun vom Gefühl aus <lb n="pdi_421.018"/> gestaltet ist, erregt das Gefühl wieder, und zwar in derselben, <lb n="pdi_421.019"/> nur geminderten Weise. So ist der Vorgang im Dichter dem <lb n="pdi_421.020"/> verwandt in seinem Hörer oder Leser. Die Verbindung von <lb n="pdi_421.021"/> einzelnen Seelenvorgängen, in welchen eine Dichtung geboren <lb n="pdi_421.022"/> wurde, ist nach Bestandtheilen und Structur derjenigen ähnlich, <lb n="pdi_421.023"/> welche sie dann bei dem Hören oder Lesen hervorruft. Wer <lb n="pdi_421.024"/> ein Gedicht beurtheilen will, muss nach Voltaire ein starkes <lb n="pdi_421.025"/> Gefühl haben und mit einigen Funken von dem Feuer geboren <lb n="pdi_421.026"/> sein, welches den Dichter belebt hat, dessen Kritiker er sein <lb n="pdi_421.027"/> will. Dieselbe Zusammensetzung von bildlichen Elementen ruft <lb n="pdi_421.028"/> hier wie dort dieselbe Zusammensetzung von Gefühlen hervor. <lb n="pdi_421.029"/> Die Beziehung zwischen dem Sinnfällig-Bildlichen, dem gedankenmässig <lb n="pdi_421.030"/> Allgemeinen und dem Erregungsgehalt bestimmt dort <lb n="pdi_421.031"/> wie hier die Structur, zu welcher die Bestandtheile verbunden sind. <lb n="pdi_421.032"/> Die Unterschiede zwischen Schaffen und Empfangen sind ebenfalls <lb n="pdi_421.033"/> unverkennbar. Das dichterische Schaffen ist viel zusammengesetzter, <lb n="pdi_421.034"/> seine Bestandtheile mächtiger, die Willensbetheiligung <lb n="pdi_421.035"/> stärker, und eine viel längere Zeit wird von ihm ausgefüllt, verglichen <lb n="pdi_421.036"/> mit dem Lesen oder Hören des vollendeten Werkes.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [421/0123]
pdi_421.001
Endzustand herbeigeführt werden. Daher dienen in der pdi_421.002
Tragödie Schmerz und Tod nur, Seelengrösse zu offenbaren.
pdi_421.003
Dieses Alles wird aber nur dadurch erreicht, dass aus pdi_421.004
diesen beweglichsten, flüchtigsten, durchsichtigsten Stoffen von pdi_421.005
Lauten und mit ihnen verknüpften Vorstellungen in der Einbildungskraft pdi_421.006
des Auffassenden ein Bildzusammenhang sich aufbaut. pdi_421.007
Die grosse Regel des Poeten ist daher, die Einbildungskraft pdi_421.008
in einer von ihm beabsichtigten Richtung in Thätigkeit pdi_421.009
zu setzen. Der so entstehende Bildzusammenhang muss aber in pdi_421.010
seiner Sinnfälligkeit auch Glauben hervorrufen. Denn nur wo pdi_421.011
wir an die Wirklichkeit desselben glauben, erlebt unsere Seele.
pdi_421.012
Dieser so zusammengesetzte poetische Eindruck muss nun pdi_421.013
mit dem Schaffen des Dichters verglichen werden, wie pdi_421.014
wir es analysirt haben. So ergiebt sich folgendes Verhältniss. pdi_421.015
Der primäre Vorgang ist das Schaffen. Die Poesie entstand aus pdi_421.016
dem Drang, Erlebniss auszusprechen, nicht aus dem Bedürfniss, den pdi_421.017
poetischen Eindruck zu ermöglichen. Was nun vom Gefühl aus pdi_421.018
gestaltet ist, erregt das Gefühl wieder, und zwar in derselben, pdi_421.019
nur geminderten Weise. So ist der Vorgang im Dichter dem pdi_421.020
verwandt in seinem Hörer oder Leser. Die Verbindung von pdi_421.021
einzelnen Seelenvorgängen, in welchen eine Dichtung geboren pdi_421.022
wurde, ist nach Bestandtheilen und Structur derjenigen ähnlich, pdi_421.023
welche sie dann bei dem Hören oder Lesen hervorruft. Wer pdi_421.024
ein Gedicht beurtheilen will, muss nach Voltaire ein starkes pdi_421.025
Gefühl haben und mit einigen Funken von dem Feuer geboren pdi_421.026
sein, welches den Dichter belebt hat, dessen Kritiker er sein pdi_421.027
will. Dieselbe Zusammensetzung von bildlichen Elementen ruft pdi_421.028
hier wie dort dieselbe Zusammensetzung von Gefühlen hervor. pdi_421.029
Die Beziehung zwischen dem Sinnfällig-Bildlichen, dem gedankenmässig pdi_421.030
Allgemeinen und dem Erregungsgehalt bestimmt dort pdi_421.031
wie hier die Structur, zu welcher die Bestandtheile verbunden sind. pdi_421.032
Die Unterschiede zwischen Schaffen und Empfangen sind ebenfalls pdi_421.033
unverkennbar. Das dichterische Schaffen ist viel zusammengesetzter, pdi_421.034
seine Bestandtheile mächtiger, die Willensbetheiligung pdi_421.035
stärker, und eine viel längere Zeit wird von ihm ausgefüllt, verglichen pdi_421.036
mit dem Lesen oder Hören des vollendeten Werkes.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |