Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_397.001 Bilder und ihre Verbindungen ändern sich, indem in pdi_397.008 Eine Phantasie, die nur auslässt, verstärkt oder vermindert, pdi_397.011 Für die Dichtung, die vom Erlebniss ausgeht, ist derjenige pdi_397.032 pdi_397.001 Bilder und ihre Verbindungen ändern sich, indem in pdi_397.008 Eine Phantasie, die nur auslässt, verstärkt oder vermindert, pdi_397.011 Für die Dichtung, die vom Erlebniss ausgeht, ist derjenige pdi_397.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0099" n="397"/><lb n="pdi_397.001"/> Idealisirung der Bilder. Auch in den höchsten Leistungen der <lb n="pdi_397.002"/> Einbildungskraft bewirken diese Ausschaltungen die Harmonie <lb n="pdi_397.003"/> in Charakteren sowie in Handlungen, und die Verstärkungen <lb n="pdi_397.004"/> steigern den Gefühlsgehalt. Doch beide Hilfsmittel würden nicht <lb n="pdi_397.005"/> ausreichen, eine Dichtung mit befriedigendem Leben zu erfüllen: <lb n="pdi_397.006"/> das wichtigste tritt nun hinzu.</p> <lb n="pdi_397.007"/> <p> <hi rendition="#et"> Bilder und ihre Verbindungen ändern sich, indem in <lb n="pdi_397.008"/> ihren innersten Kern neue Bestandtheile und Verbindungen <lb n="pdi_397.009"/> eintreten und so diesen ergänzen.</hi> </p> <lb n="pdi_397.010"/> <p> Eine Phantasie, die nur auslässt, verstärkt oder vermindert, <lb n="pdi_397.011"/> vergrössert oder verkleinert, ist schwächlich und erreicht nur <lb n="pdi_397.012"/> flache Idealität oder Carricatur des Wirklichen. Ueberall wo <lb n="pdi_397.013"/> ein wahres Kunstwerk entsteht, findet eine kernhafte Entfaltung <lb n="pdi_397.014"/> der Bilder durch positive Ergänzung statt. Dieser Vorgang ist <lb n="pdi_397.015"/> sehr schwer verständlich. Zunächst wird nach den Gesetzen <lb n="pdi_397.016"/> der Association und Verschmelzung eine Wahrnehmung <lb n="pdi_397.017"/> oder Vorstellung dadurch umgebildet, dass eine andere in sie <lb n="pdi_397.018"/> eintritt oder mit ihr associirt wird. Aber die Association enthält <lb n="pdi_397.019"/> kein Princip, welches über das Wirken der thatsächlichen <lb n="pdi_397.020"/> Angrenzung hinausführt, und die Verschmelzung stellt nur Ineinssetzung <lb n="pdi_397.021"/> her. <hi rendition="#g">Erst indem der ganze erworbene Zusammenhang <lb n="pdi_397.022"/> des Seelenlebens wirkt,</hi> können nun von <lb n="pdi_397.023"/> ihm aus die Bilder sich umgestalten: <hi rendition="#g">unzählbare, unmessbare, <lb n="pdi_397.024"/> geringmerkliche Veränderungen</hi> in ihrem Kern <lb n="pdi_397.025"/> finden statt, und aus der Fülle des Seelenlebens entspringt so <lb n="pdi_397.026"/> die Ergänzung des Einzelnen. So wird aus Bildern und ihren <lb n="pdi_397.027"/> Verbindungen das Wesenhafte eines Thatbestandes, welches im <lb n="pdi_397.028"/> Zusammenhang der Wirklichkeit demselben seine Bedeutung <lb n="pdi_397.029"/> giebt, gewonnen. Selbst der Styl des Künstlers ist auf diese <lb n="pdi_397.030"/> Weise beeinflusst.</p> <lb n="pdi_397.031"/> <p> Für die Dichtung, die vom Erlebniss ausgeht, ist derjenige <lb n="pdi_397.032"/> Vorgang der Ergänzung besonders wichtig, in welchem ein <lb n="pdi_397.033"/> <hi rendition="#g">Aeusseres durch das Innere beseelt</hi> oder ein <hi rendition="#g">Inneres <lb n="pdi_397.034"/> durch das Aeussere sichtbar</hi> und anschaulich gemacht <lb n="pdi_397.035"/> wird. Inhalte und Beziehungen, die in der inneren Erfahrung erworben <lb n="pdi_397.036"/> sind, werden in die äussere getragen. Hierauf beruht schon </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [397/0099]
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Idealisirung der Bilder. Auch in den höchsten Leistungen der pdi_397.002
Einbildungskraft bewirken diese Ausschaltungen die Harmonie pdi_397.003
in Charakteren sowie in Handlungen, und die Verstärkungen pdi_397.004
steigern den Gefühlsgehalt. Doch beide Hilfsmittel würden nicht pdi_397.005
ausreichen, eine Dichtung mit befriedigendem Leben zu erfüllen: pdi_397.006
das wichtigste tritt nun hinzu.
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Bilder und ihre Verbindungen ändern sich, indem in pdi_397.008
ihren innersten Kern neue Bestandtheile und Verbindungen pdi_397.009
eintreten und so diesen ergänzen.
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Eine Phantasie, die nur auslässt, verstärkt oder vermindert, pdi_397.011
vergrössert oder verkleinert, ist schwächlich und erreicht nur pdi_397.012
flache Idealität oder Carricatur des Wirklichen. Ueberall wo pdi_397.013
ein wahres Kunstwerk entsteht, findet eine kernhafte Entfaltung pdi_397.014
der Bilder durch positive Ergänzung statt. Dieser Vorgang ist pdi_397.015
sehr schwer verständlich. Zunächst wird nach den Gesetzen pdi_397.016
der Association und Verschmelzung eine Wahrnehmung pdi_397.017
oder Vorstellung dadurch umgebildet, dass eine andere in sie pdi_397.018
eintritt oder mit ihr associirt wird. Aber die Association enthält pdi_397.019
kein Princip, welches über das Wirken der thatsächlichen pdi_397.020
Angrenzung hinausführt, und die Verschmelzung stellt nur Ineinssetzung pdi_397.021
her. Erst indem der ganze erworbene Zusammenhang pdi_397.022
des Seelenlebens wirkt, können nun von pdi_397.023
ihm aus die Bilder sich umgestalten: unzählbare, unmessbare, pdi_397.024
geringmerkliche Veränderungen in ihrem Kern pdi_397.025
finden statt, und aus der Fülle des Seelenlebens entspringt so pdi_397.026
die Ergänzung des Einzelnen. So wird aus Bildern und ihren pdi_397.027
Verbindungen das Wesenhafte eines Thatbestandes, welches im pdi_397.028
Zusammenhang der Wirklichkeit demselben seine Bedeutung pdi_397.029
giebt, gewonnen. Selbst der Styl des Künstlers ist auf diese pdi_397.030
Weise beeinflusst.
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Für die Dichtung, die vom Erlebniss ausgeht, ist derjenige pdi_397.032
Vorgang der Ergänzung besonders wichtig, in welchem ein pdi_397.033
Aeusseres durch das Innere beseelt oder ein Inneres pdi_397.034
durch das Aeussere sichtbar und anschaulich gemacht pdi_397.035
wird. Inhalte und Beziehungen, die in der inneren Erfahrung erworben pdi_397.036
sind, werden in die äussere getragen. Hierauf beruht schon
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