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Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876.

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Stumpf- oder Kartoffelnase mit der Funktion eines
Petroleumriechers betrauen. Und der Duft von
Schnaps und Kartoffeln, den Fütterungsgegenständen
seiner Geburtsgenossen wird nicht, wie der Kuhreigen
in der Seele des Schweizers, sehnsüchtige Heimaths-
gefühle in ihm wachrufen nach der Proletarierhütte
seiner Väter.

Brüder des Bluts werden nur Brüder im Geiste
sein, wenn sie in derselben geistigen und physischen
Atmosphäre großgezogen sind. "Macht denn das Blut
den Vater?" sagt der weise Nathan. Viel weniger
macht das Blut, außer in Novellen und Balladen, den
Aristokraten oder den Proletarier. Nicht die Geburt,
die Lebensatmosphäre ist es fast allein, die den Jndi-
viduen ihr unvertilgbares Gepräge aufdrückt.

Wohlverstanden - ich spreche hier nur von Stan-
des- oder Klasseneigenthümlichkeiten, nicht von indivi-
duellen Eigenschaften, wie Verstand und Dummheit,
Gemeinheit und Edelsinn, Melancholie und Lustigkeit,
die zum Theil auf Vererbung beruhen, und die wir
auf der Höhe und in der Tiefe der menschlichen Ge-
sellschaft so ziemlich gleichmäßig vertheilt finden, unter
Geheimräthen und Kutschern, unter Tugendspiegeln und
Dirnen, unter Gottesfürchtigen und Atheisten u.s.w.

Wie nun die Volksseele, wie die charakteristische

Stumpf- oder Kartoffelnase mit der Funktion eines
Petroleumriechers betrauen. Und der Duft von
Schnaps und Kartoffeln, den Fütterungsgegenständen
seiner Geburtsgenossen wird nicht, wie der Kuhreigen
in der Seele des Schweizers, sehnsüchtige Heimaths-
gefühle in ihm wachrufen nach der Proletarierhütte
seiner Väter.

Brüder des Bluts werden nur Brüder im Geiste
sein, wenn sie in derselben geistigen und physischen
Atmosphäre großgezogen sind. „Macht denn das Blut
den Vater?‟ sagt der weise Nathan. Viel weniger
macht das Blut, außer in Novellen und Balladen, den
Aristokraten oder den Proletarier. Nicht die Geburt,
die Lebensatmosphäre ist es fast allein, die den Jndi-
viduen ihr unvertilgbares Gepräge aufdrückt.

Wohlverstanden – ich spreche hier nur von Stan-
des- oder Klasseneigenthümlichkeiten, nicht von indivi-
duellen Eigenschaften, wie Verstand und Dummheit,
Gemeinheit und Edelsinn, Melancholie und Lustigkeit,
die zum Theil auf Vererbung beruhen, und die wir
auf der Höhe und in der Tiefe der menschlichen Ge-
sellschaft so ziemlich gleichmäßig vertheilt finden, unter
Geheimräthen und Kutschern, unter Tugendspiegeln und
Dirnen, unter Gottesfürchtigen und Atheisten u.s.w.

Wie nun die Volksseele, wie die charakteristische

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[8/0016] Stumpf- oder Kartoffelnase mit der Funktion eines Petroleumriechers betrauen. Und der Duft von Schnaps und Kartoffeln, den Fütterungsgegenständen seiner Geburtsgenossen wird nicht, wie der Kuhreigen in der Seele des Schweizers, sehnsüchtige Heimaths- gefühle in ihm wachrufen nach der Proletarierhütte seiner Väter. Brüder des Bluts werden nur Brüder im Geiste sein, wenn sie in derselben geistigen und physischen Atmosphäre großgezogen sind. „Macht denn das Blut den Vater?‟ sagt der weise Nathan. Viel weniger macht das Blut, außer in Novellen und Balladen, den Aristokraten oder den Proletarier. Nicht die Geburt, die Lebensatmosphäre ist es fast allein, die den Jndi- viduen ihr unvertilgbares Gepräge aufdrückt. Wohlverstanden – ich spreche hier nur von Stan- des- oder Klasseneigenthümlichkeiten, nicht von indivi- duellen Eigenschaften, wie Verstand und Dummheit, Gemeinheit und Edelsinn, Melancholie und Lustigkeit, die zum Theil auf Vererbung beruhen, und die wir auf der Höhe und in der Tiefe der menschlichen Ge- sellschaft so ziemlich gleichmäßig vertheilt finden, unter Geheimräthen und Kutschern, unter Tugendspiegeln und Dirnen, unter Gottesfürchtigen und Atheisten u.s.w. Wie nun die Volksseele, wie die charakteristische  

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/16>, abgerufen am 26.11.2024.