Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Und an einer andern Stelle: "Die Japaner sind
durchgängig hohe Meister in der Kunst der Lüge. Ver-
stellung und Heuchelei sind ihnen zur zweiten Natur
geworden."

Ja, Lüge ist das Erbtheil der Frauen. Wahr-
haftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen.
Die Sitte zwängt die Frauen in ein geistiges Mode-
costüm. Sie muß die einmal acceptirten Attribute
ihres Geschlechts zur Schau stellen, ob die Natur sie
damit ausgerüstet hat oder nicht. "Scheine," ruft die
Gesellschaft ihr zu, "wie du bist, ist gleichgültig". Und
so krümmt und verzerrt die Frau, dieser arme mora-
lische Clown, ihre Seele nach Möglichkeit.

Und dieses chronische Heuchlerthum, zu dem die
Frauen verdammt sind, das ist die Hieroglyphenschrift
des weiblichen Herzens, über die so viel gefabelt worden
ist, darauf lassen sich zurückführen alle die dichterischen
Anspielungen auf die Sphynxnatur des Weibes. Nein,
die Frau ist keine Sphynx, kein Mysterium, keine Hiero-
glyphe, kein Chamäleon - (wenigstens nicht mehr, als
der Mensch es im allgemeinen ist) sie lügt blos und
heuchelt, und sie lügt, weil sie lügen muß. Man
könnte es auch höflicher ausdrücken und sagen: sie paßt
sich den Verhältnissen an, sie arrangirt sich; es arran-

Und an einer andern Stelle: „Die Japaner sind
durchgängig hohe Meister in der Kunst der Lüge. Ver-
stellung und Heuchelei sind ihnen zur zweiten Natur
geworden.‟

Ja, Lüge ist das Erbtheil der Frauen. Wahr-
haftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen.
Die Sitte zwängt die Frauen in ein geistiges Mode-
costüm. Sie muß die einmal acceptirten Attribute
ihres Geschlechts zur Schau stellen, ob die Natur sie
damit ausgerüstet hat oder nicht. „Scheine,‟ ruft die
Gesellschaft ihr zu, „wie du bist, ist gleichgültig‟. Und
so krümmt und verzerrt die Frau, dieser arme mora-
lische Clown, ihre Seele nach Möglichkeit.

Und dieses chronische Heuchlerthum, zu dem die
Frauen verdammt sind, das ist die Hieroglyphenschrift
des weiblichen Herzens, über die so viel gefabelt worden
ist, darauf lassen sich zurückführen alle die dichterischen
Anspielungen auf die Sphynxnatur des Weibes. Nein,
die Frau ist keine Sphynx, kein Mysterium, keine Hiero-
glyphe, kein Chamäleon – (wenigstens nicht mehr, als
der Mensch es im allgemeinen ist) sie lügt blos und
heuchelt, und sie lügt, weil sie lügen muß. Man
könnte es auch höflicher ausdrücken und sagen: sie paßt
sich den Verhältnissen an, sie arrangirt sich; es arran-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0054" n="46"/>
          <p>Und an einer andern Stelle: &#x201E;Die Japaner sind<lb/>
durchgängig hohe Meister in der Kunst der Lüge. Ver-<lb/>
stellung und Heuchelei sind ihnen zur zweiten Natur<lb/>
geworden.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Ja, Lüge ist das Erbtheil der Frauen. Wahr-<lb/>
haftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen.<lb/>
Die Sitte zwängt die Frauen in ein geistiges Mode-<lb/>
costüm. Sie muß die einmal acceptirten Attribute<lb/>
ihres Geschlechts zur Schau stellen, ob die Natur sie<lb/>
damit ausgerüstet hat oder nicht. &#x201E;Scheine,&#x201F; ruft die<lb/>
Gesellschaft ihr zu, &#x201E;wie du bist, ist gleichgültig&#x201F;. Und<lb/>
so krümmt und verzerrt die Frau, dieser arme mora-<lb/>
lische Clown, ihre Seele nach Möglichkeit.</p><lb/>
          <p>Und dieses chronische Heuchlerthum, zu dem die<lb/>
Frauen verdammt sind, das ist die Hieroglyphenschrift<lb/>
des weiblichen Herzens, über die so viel gefabelt worden<lb/>
ist, darauf lassen sich zurückführen alle die dichterischen<lb/>
Anspielungen auf die Sphynxnatur des Weibes. Nein,<lb/>
die Frau ist keine Sphynx, kein Mysterium, keine Hiero-<lb/>
glyphe, kein Chamäleon &#x2013; (wenigstens nicht mehr, als<lb/>
der Mensch es im allgemeinen ist) sie lügt blos und<lb/>
heuchelt, und sie lügt, weil sie lügen muß. Man<lb/>
könnte es auch höflicher ausdrücken und sagen: sie paßt<lb/>
sich den Verhältnissen an, sie arrangirt sich; es arran-<lb/>
&#x2003;
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0054] Und an einer andern Stelle: „Die Japaner sind durchgängig hohe Meister in der Kunst der Lüge. Ver- stellung und Heuchelei sind ihnen zur zweiten Natur geworden.‟ Ja, Lüge ist das Erbtheil der Frauen. Wahr- haftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen. Die Sitte zwängt die Frauen in ein geistiges Mode- costüm. Sie muß die einmal acceptirten Attribute ihres Geschlechts zur Schau stellen, ob die Natur sie damit ausgerüstet hat oder nicht. „Scheine,‟ ruft die Gesellschaft ihr zu, „wie du bist, ist gleichgültig‟. Und so krümmt und verzerrt die Frau, dieser arme mora- lische Clown, ihre Seele nach Möglichkeit. Und dieses chronische Heuchlerthum, zu dem die Frauen verdammt sind, das ist die Hieroglyphenschrift des weiblichen Herzens, über die so viel gefabelt worden ist, darauf lassen sich zurückführen alle die dichterischen Anspielungen auf die Sphynxnatur des Weibes. Nein, die Frau ist keine Sphynx, kein Mysterium, keine Hiero- glyphe, kein Chamäleon – (wenigstens nicht mehr, als der Mensch es im allgemeinen ist) sie lügt blos und heuchelt, und sie lügt, weil sie lügen muß. Man könnte es auch höflicher ausdrücken und sagen: sie paßt sich den Verhältnissen an, sie arrangirt sich; es arran-  

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-07T16:13:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-07T16:13:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/54
Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/54>, abgerufen am 05.05.2024.