dem größten Theile nach, und ein Geist, der so sehr niedergedrückt wird, als der ihrige, ist wohl zum Philosophiren wenig aufgelegt, wenn er nicht aus der höhern Classe menschlicher Seelen ist. Alles, was Seelen täglichen Schlages thun können, ist sich von ih- ren Meynungen zu überzeugen, und da giebts leichte Arbeit, die man noch auf den Feyerabend thun kann. Ein ängstiges Gewissen hält eine unzählbare Menge der Christen von weiterm Forschen zurück, sollten die Juden diesen menschlichen Schwachheiten und Unvollkommenheiten weniger unterworfen seyn? Der größte Theil unserer Religionslehrer hat sich nicht bis zu dieser Prüfung verstiegen, und wir dulden sie doch, ja sie können ein weit ruhigeres Leben füh- ren, als die Prüfer; warum sollten wir denn die Juden über Unterlassuugssünden anfeinden, die wir selbst auf dem Gewissen haben? Zu dem leitet die größere Lebhaftigkeit der Juden eher zum Fanaticis- mus, als zum kalten Nachdenken, und wer mit je- nen bekannt ist, wird sich's leicht erklären können, warum der Jude unsere Gründe nicht prüfen will, die uns freylich nicht einleuchtend sind, aber um kein Haar einleuchtender, als ihm die Seinigen, die ihn bestimmen, unsere Gründe nicht einmal anzuhören Philosophische Ueberzeugung kann ich von wenig
Men-
dem groͤßten Theile nach, und ein Geiſt, der ſo ſehr niedergedruͤckt wird, als der ihrige, iſt wohl zum Philoſophiren wenig aufgelegt, wenn er nicht aus der hoͤhern Claſſe menſchlicher Seelen iſt. Alles, was Seelen taͤglichen Schlages thun koͤnnen, iſt ſich von ih- ren Meynungen zu uͤberzeugen, und da giebts leichte Arbeit, die man noch auf den Feyerabend thun kann. Ein aͤngſtiges Gewiſſen haͤlt eine unzaͤhlbare Menge der Chriſten von weiterm Forſchen zuruͤck, ſollten die Juden dieſen menſchlichen Schwachheiten und Unvollkommenheiten weniger unterworfen ſeyn? Der groͤßte Theil unſerer Religionslehrer hat ſich nicht bis zu dieſer Pruͤfung verſtiegen, und wir dulden ſie doch, ja ſie koͤnnen ein weit ruhigeres Leben fuͤh- ren, als die Pruͤfer; warum ſollten wir denn die Juden uͤber Unterlaſſuugsſuͤnden anfeinden, die wir ſelbſt auf dem Gewiſſen haben? Zu dem leitet die groͤßere Lebhaftigkeit der Juden eher zum Fanaticis- mus, als zum kalten Nachdenken, und wer mit je- nen bekannt iſt, wird ſich’s leicht erklaͤren koͤnnen, warum der Jude unſere Gruͤnde nicht pruͤfen will, die uns freylich nicht einleuchtend ſind, aber um kein Haar einleuchtender, als ihm die Seinigen, die ihn beſtimmen, unſere Gruͤnde nicht einmal anzuhoͤren Philoſophiſche Ueberzeugung kann ich von wenig
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dem groͤßten Theile nach, und ein Geiſt, der ſo ſehr
niedergedruͤckt wird, als der ihrige, iſt wohl zum
Philoſophiren wenig aufgelegt, wenn er nicht aus der
hoͤhern Claſſe menſchlicher Seelen iſt. Alles, was
Seelen taͤglichen Schlages thun koͤnnen, iſt ſich von ih-
ren Meynungen zu uͤberzeugen, und da giebts leichte
Arbeit, die man noch auf den Feyerabend thun kann.
Ein aͤngſtiges Gewiſſen haͤlt eine unzaͤhlbare Menge
der Chriſten von weiterm Forſchen zuruͤck, ſollten
die Juden dieſen menſchlichen Schwachheiten und
Unvollkommenheiten weniger unterworfen ſeyn? Der
groͤßte Theil unſerer Religionslehrer hat ſich nicht
bis zu dieſer Pruͤfung verſtiegen, und wir dulden
ſie doch, ja ſie koͤnnen ein weit ruhigeres Leben fuͤh-
ren, als die Pruͤfer; warum ſollten wir denn die
Juden uͤber Unterlaſſuugsſuͤnden anfeinden, die wir
ſelbſt auf dem Gewiſſen haben? Zu dem leitet die
groͤßere Lebhaftigkeit der Juden eher zum Fanaticis-
mus, als zum kalten Nachdenken, und wer mit je-
nen bekannt iſt, wird ſich’s leicht erklaͤren koͤnnen,
warum der Jude unſere Gruͤnde nicht pruͤfen will,
die uns freylich nicht einleuchtend ſind, aber um kein
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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