schränktheit menschlicher Kräfte und Einsichten, von reinem Wahrheitseifer durchdrungen; so würde ein solcher nie zu hindernder, nützlicher Streit ohne alle Bitterkeit, vielmehr mit innigster gegenseitiger Bru- derliebe, geführt werden müssen. Der, welcher seine Wahrheit aus einer noch höhern Quelle zu schöpsen glaubt, würde den nicht hassen, der nun einmal nach seiner Lage und Fähigkeiten sich von der Aechtheit einer solchen Quelle nicht versichern kann, und dieser würde jenen nicht anfeinden, weil er für die ihm auch so theure Wahrheit, noch neue und stärkere Be- weise zu sehen glaubt. Die Wichtigkeit dieser Wahr- heit für jeden denkenden Menschen, und die Kennt- niß der für viele unüberwindlichen Schwürigkeiten, sich von den Eindrücken der Erziehung ganz zu be- freyen, müssen nothwendig einen treuen Verehrer der reinen Vernunftreligion duldend und nachsichts- voll gegen den, wie es ihm scheint, irrenden Bru- der machen. Intoleranz und natürliche Religion sind ihrem Wesen nach unvereinbare Begriffe. Zu dieser Intoleranz muß aber auch schon beleidigender Tadel und kränkende Verhöhnung der Meynungen eines Andern allerdings gerechnet werden. Wenn sich Naturalisten desselben zuweilen schuldig ge- macht, so beweißt dieses, daß auch sie, wie andere
Men-
ſchraͤnktheit menſchlicher Kraͤfte und Einſichten, von reinem Wahrheitseifer durchdrungen; ſo wuͤrde ein ſolcher nie zu hindernder, nuͤtzlicher Streit ohne alle Bitterkeit, vielmehr mit innigſter gegenſeitiger Bru- derliebe, gefuͤhrt werden muͤſſen. Der, welcher ſeine Wahrheit aus einer noch hoͤhern Quelle zu ſchoͤpſen glaubt, wuͤrde den nicht haſſen, der nun einmal nach ſeiner Lage und Faͤhigkeiten ſich von der Aechtheit einer ſolchen Quelle nicht verſichern kann, und dieſer wuͤrde jenen nicht anfeinden, weil er fuͤr die ihm auch ſo theure Wahrheit, noch neue und ſtaͤrkere Be- weiſe zu ſehen glaubt. Die Wichtigkeit dieſer Wahr- heit fuͤr jeden denkenden Menſchen, und die Kennt- niß der fuͤr viele unuͤberwindlichen Schwuͤrigkeiten, ſich von den Eindruͤcken der Erziehung ganz zu be- freyen, muͤſſen nothwendig einen treuen Verehrer der reinen Vernunftreligion duldend und nachſichts- voll gegen den, wie es ihm ſcheint, irrenden Bru- der machen. Intoleranz und natuͤrliche Religion ſind ihrem Weſen nach unvereinbare Begriffe. Zu dieſer Intoleranz muß aber auch ſchon beleidigender Tadel und kraͤnkende Verhoͤhnung der Meynungen eines Andern allerdings gerechnet werden. Wenn ſich Naturaliſten deſſelben zuweilen ſchuldig ge- macht, ſo beweißt dieſes, daß auch ſie, wie andere
Men-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0194"n="186"/>ſchraͤnktheit menſchlicher Kraͤfte und Einſichten, von<lb/>
reinem Wahrheitseifer durchdrungen; ſo wuͤrde ein<lb/>ſolcher nie zu hindernder, nuͤtzlicher Streit ohne alle<lb/>
Bitterkeit, vielmehr mit innigſter gegenſeitiger Bru-<lb/>
derliebe, gefuͤhrt werden muͤſſen. <hirendition="#fr">Der</hi>, welcher ſeine<lb/>
Wahrheit aus einer noch hoͤhern Quelle zu ſchoͤpſen<lb/>
glaubt, wuͤrde <hirendition="#fr">den</hi> nicht haſſen, der nun einmal nach<lb/>ſeiner Lage und Faͤhigkeiten ſich von der Aechtheit<lb/>
einer ſolchen Quelle nicht verſichern kann, und <hirendition="#fr">dieſer</hi><lb/>
wuͤrde jenen nicht anfeinden, weil er fuͤr die ihm<lb/>
auch ſo theure Wahrheit, noch neue und ſtaͤrkere Be-<lb/>
weiſe zu ſehen glaubt. Die Wichtigkeit dieſer Wahr-<lb/>
heit fuͤr jeden denkenden Menſchen, und die Kennt-<lb/>
niß der fuͤr viele unuͤberwindlichen Schwuͤrigkeiten,<lb/>ſich von den Eindruͤcken der Erziehung ganz zu be-<lb/>
freyen, muͤſſen nothwendig einen treuen Verehrer<lb/>
der reinen Vernunftreligion duldend und nachſichts-<lb/>
voll gegen den, wie es ihm ſcheint, irrenden Bru-<lb/>
der machen. Intoleranz und natuͤrliche Religion<lb/>ſind ihrem Weſen nach unvereinbare Begriffe. Zu<lb/>
dieſer Intoleranz muß aber auch ſchon beleidigender<lb/>
Tadel und kraͤnkende Verhoͤhnung der Meynungen<lb/>
eines Andern allerdings gerechnet werden. Wenn<lb/>ſich <hirendition="#fr">Naturaliſten</hi> deſſelben zuweilen ſchuldig ge-<lb/>
macht, ſo beweißt dieſes, daß auch ſie, wie andere<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Men-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[186/0194]
ſchraͤnktheit menſchlicher Kraͤfte und Einſichten, von
reinem Wahrheitseifer durchdrungen; ſo wuͤrde ein
ſolcher nie zu hindernder, nuͤtzlicher Streit ohne alle
Bitterkeit, vielmehr mit innigſter gegenſeitiger Bru-
derliebe, gefuͤhrt werden muͤſſen. Der, welcher ſeine
Wahrheit aus einer noch hoͤhern Quelle zu ſchoͤpſen
glaubt, wuͤrde den nicht haſſen, der nun einmal nach
ſeiner Lage und Faͤhigkeiten ſich von der Aechtheit
einer ſolchen Quelle nicht verſichern kann, und dieſer
wuͤrde jenen nicht anfeinden, weil er fuͤr die ihm
auch ſo theure Wahrheit, noch neue und ſtaͤrkere Be-
weiſe zu ſehen glaubt. Die Wichtigkeit dieſer Wahr-
heit fuͤr jeden denkenden Menſchen, und die Kennt-
niß der fuͤr viele unuͤberwindlichen Schwuͤrigkeiten,
ſich von den Eindruͤcken der Erziehung ganz zu be-
freyen, muͤſſen nothwendig einen treuen Verehrer
der reinen Vernunftreligion duldend und nachſichts-
voll gegen den, wie es ihm ſcheint, irrenden Bru-
der machen. Intoleranz und natuͤrliche Religion
ſind ihrem Weſen nach unvereinbare Begriffe. Zu
dieſer Intoleranz muß aber auch ſchon beleidigender
Tadel und kraͤnkende Verhoͤhnung der Meynungen
eines Andern allerdings gerechnet werden. Wenn
ſich Naturaliſten deſſelben zuweilen ſchuldig ge-
macht, ſo beweißt dieſes, daß auch ſie, wie andere
Men-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/194>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.