Menschen bleiben in allen Jahrhunderten dieselben. So lange ihr Interesse verschieden ist, ihre Leiden- schaften an einander stoßen, werden deren thätliche Aus- brüche unvermeidlich seyn. Die weichlichen Asiater haben Kriege geführt wie die stärkern Nordländer. So lange es Schwächere giebt, wird keine Cultur bey den Stärkern die Begierde jene zu unterdrücken, ganz abschleifen. Auch keine Heiligkeit der Verträge wird je ein Gleichgewicht der Staaten gründen kön- nen, das länger bestünde, bis einer unter ihnen sich die Kräfte fühlt, es umzustürzen. Der Friede ist meistens nur Waffenstillstand, Ausnahme von der Regel, die nicht länger dauert, bis die Erschöpfung ersetzt ist, die sie hervorbrachte. Aber läßt sich nicht ein Zustand denken, in welchem alle Staaten ihre Kräfte so erhöhten, so klug benutzten, daß Jeder im Stande wäre, mit Hülfe anderer, die mit ihm gleiches Interesse haben, sich zu vertheidigen, aber nicht hoffen dürfte, einen Nachbar der gleich ihm ge- waffnet wäre zu unterdrücken? Mich dünkt, dieser Zustand lasse sich denken, und wir nähern uns ihm merklich. Jeder europäische Staat wünscht zwar auf Kosten anderer sich zu vergrößern, aber noch mehr als dieses, die Vergrößerung jedes andern zu verhindern. Natürliche Alliirte
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Menſchen bleiben in allen Jahrhunderten dieſelben. So lange ihr Intereſſe verſchieden iſt, ihre Leiden- ſchaften an einander ſtoßen, werden deren thaͤtliche Aus- bruͤche unvermeidlich ſeyn. Die weichlichen Aſiater haben Kriege gefuͤhrt wie die ſtaͤrkern Nordlaͤnder. So lange es Schwaͤchere giebt, wird keine Cultur bey den Staͤrkern die Begierde jene zu unterdruͤcken, ganz abſchleifen. Auch keine Heiligkeit der Vertraͤge wird je ein Gleichgewicht der Staaten gruͤnden koͤn- nen, das laͤnger beſtuͤnde, bis einer unter ihnen ſich die Kraͤfte fuͤhlt, es umzuſtuͤrzen. Der Friede iſt meiſtens nur Waffenſtillſtand, Ausnahme von der Regel, die nicht laͤnger dauert, bis die Erſchoͤpfung erſetzt iſt, die ſie hervorbrachte. Aber laͤßt ſich nicht ein Zuſtand denken, in welchem alle Staaten ihre Kraͤfte ſo erhoͤhten, ſo klug benutzten, daß Jeder im Stande waͤre, mit Huͤlfe anderer, die mit ihm gleiches Intereſſe haben, ſich zu vertheidigen, aber nicht hoffen duͤrfte, einen Nachbar der gleich ihm ge- waffnet waͤre zu unterdruͤcken? Mich duͤnkt, dieſer Zuſtand laſſe ſich denken, und wir naͤhern uns ihm merklich. Jeder europaͤiſche Staat wuͤnſcht zwar auf Koſten anderer ſich zu vergroͤßern, aber noch mehr als dieſes, die Vergroͤßerung jedes andern zu verhindern. Natuͤrliche Alliirte
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Menſchen bleiben in allen Jahrhunderten dieſelben.
So lange ihr Intereſſe verſchieden iſt, ihre Leiden-
ſchaften an einander ſtoßen, werden deren thaͤtliche Aus-
bruͤche unvermeidlich ſeyn. Die weichlichen Aſiater
haben Kriege gefuͤhrt wie die ſtaͤrkern Nordlaͤnder.
So lange es Schwaͤchere giebt, wird keine Cultur
bey den Staͤrkern die Begierde jene zu unterdruͤcken,
ganz abſchleifen. Auch keine Heiligkeit der Vertraͤge
wird je ein Gleichgewicht der Staaten gruͤnden koͤn-
nen, das laͤnger beſtuͤnde, bis einer unter ihnen ſich
die Kraͤfte fuͤhlt, es umzuſtuͤrzen. Der Friede iſt
meiſtens nur Waffenſtillſtand, Ausnahme von der
Regel, die nicht laͤnger dauert, bis die Erſchoͤpfung
erſetzt iſt, die ſie hervorbrachte. Aber laͤßt ſich nicht
ein Zuſtand denken, in welchem alle Staaten ihre
Kraͤfte ſo erhoͤhten, ſo klug benutzten, daß Jeder im
Stande waͤre, mit Huͤlfe anderer, die mit ihm
gleiches Intereſſe haben, ſich zu vertheidigen, aber
nicht hoffen duͤrfte, einen Nachbar der gleich ihm ge-
waffnet waͤre zu unterdruͤcken? Mich duͤnkt, dieſer
Zuſtand laſſe ſich denken, und wir naͤhern uns
ihm merklich. Jeder europaͤiſche Staat wuͤnſcht
zwar auf Koſten anderer ſich zu vergroͤßern,
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/233>, abgerufen am 21.11.2024.
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