Der dritte Sohn des Polizeidirektors hatte während Arthurs Gefangenschaft seine Studien angetreten und vollendet, und stand als Praktikant beim Landgericht in ***. Er war überdies seit Kurzem mit einem lie¬ benswürdigen Mädchen aus einer der angesehensten und reichsten Familien der Universitätsstadt verlobt, und ar¬ beitete mit um so größerer Energie zu seinem letzten Examen.
Eines Tages kam Heinrich, so hieß der junge W., in einer ungewöhnlichen Stimmung zu Tisch. Er war zerstreut und nachdenkend, und antwortete mehrmals auf die Fragen seines Vaters in ganz verkehrter Weise. Als der letztere ihn darauf aufmerksam machte, nahm er sich zwar zusammen und sprach eine Zeitlang mit großer Lebendigkeit über gleichgültige Dinge, aber man konnte doch das Gewaltsame, Gezwungene seiner Weise wohl bemerken, und bald versank er auch wieder in seine frü¬ here Starrheit. Auf das eindringliche Befragen seines Vaters erzählte er denn, daß er am gestrigen Abend, als er seine Braut ins Theater geführt, im Gedränge mit dem jungen Arthur zusammengetroffen und von diesem im Beisein mehrerer Offiziere und jüngeren Beamten beleidigt worden sei. Die gesellschaftlichen Ansichten er¬
Das Unvermeidliche.
Der dritte Sohn des Polizeidirektors hatte waͤhrend Arthurs Gefangenſchaft ſeine Studien angetreten und vollendet, und ſtand als Praktikant beim Landgericht in ***. Er war uͤberdies ſeit Kurzem mit einem lie¬ benswuͤrdigen Maͤdchen aus einer der angeſehenſten und reichſten Familien der Univerſitaͤtsſtadt verlobt, und ar¬ beitete mit um ſo groͤßerer Energie zu ſeinem letzten Examen.
Eines Tages kam Heinrich, ſo hieß der junge W., in einer ungewoͤhnlichen Stimmung zu Tiſch. Er war zerſtreut und nachdenkend, und antwortete mehrmals auf die Fragen ſeines Vaters in ganz verkehrter Weiſe. Als der letztere ihn darauf aufmerkſam machte, nahm er ſich zwar zuſammen und ſprach eine Zeitlang mit großer Lebendigkeit uͤber gleichguͤltige Dinge, aber man konnte doch das Gewaltſame, Gezwungene ſeiner Weiſe wohl bemerken, und bald verſank er auch wieder in ſeine fruͤ¬ here Starrheit. Auf das eindringliche Befragen ſeines Vaters erzaͤhlte er denn, daß er am geſtrigen Abend, als er ſeine Braut ins Theater gefuͤhrt, im Gedraͤnge mit dem jungen Arthur zuſammengetroffen und von dieſem im Beiſein mehrerer Offiziere und juͤngeren Beamten beleidigt worden ſei. Die geſellſchaftlichen Anſichten er¬
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Das Unvermeidliche.
Der dritte Sohn des Polizeidirektors hatte waͤhrend
Arthurs Gefangenſchaft ſeine Studien angetreten und
vollendet, und ſtand als Praktikant beim Landgericht
in ***. Er war uͤberdies ſeit Kurzem mit einem lie¬
benswuͤrdigen Maͤdchen aus einer der angeſehenſten und
reichſten Familien der Univerſitaͤtsſtadt verlobt, und ar¬
beitete mit um ſo groͤßerer Energie zu ſeinem letzten
Examen.
Eines Tages kam Heinrich, ſo hieß der junge W.,
in einer ungewoͤhnlichen Stimmung zu Tiſch. Er war
zerſtreut und nachdenkend, und antwortete mehrmals auf
die Fragen ſeines Vaters in ganz verkehrter Weiſe. Als
der letztere ihn darauf aufmerkſam machte, nahm er ſich
zwar zuſammen und ſprach eine Zeitlang mit großer
Lebendigkeit uͤber gleichguͤltige Dinge, aber man konnte
doch das Gewaltſame, Gezwungene ſeiner Weiſe wohl
bemerken, und bald verſank er auch wieder in ſeine fruͤ¬
here Starrheit. Auf das eindringliche Befragen ſeines
Vaters erzaͤhlte er denn, daß er am geſtrigen Abend, als
er ſeine Braut ins Theater gefuͤhrt, im Gedraͤnge mit
dem jungen Arthur zuſammengetroffen und von dieſem
im Beiſein mehrerer Offiziere und juͤngeren Beamten
beleidigt worden ſei. Die geſellſchaftlichen Anſichten er¬
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/195>, abgerufen am 16.07.2024.
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