Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.So scheut' ich es, als fromme Schülerin, Dir wieder in das dunkle Aug' zu sehen, Ich wollte nicht vor meiner Meisterin Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, stehen. Auch war ich krank, mein Sinnen sehr verwirrt, Und keinen Namen mocht' ich sehnend nennen; Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt, Du drangst zu mir nach langer Jahre Trennen. Und als du vor mich tratest, fest und klar, Und blicktest tief mir in der Seele Gründe, Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr, Was ich gedacht, das schien mir schwere Sünde. Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand, Stieg wie ein Phönix aus der Asche wieder, Und tief im Herzen hab' ich es erkannt, Wie zehnfach größer du als deine Lieder. Du sahst, Bescheid'ne, nicht, daß damals hier Aus deinem Blick Genesung ich getrunken, Daß deines Mundes Laute damals mir Wie Naphtha in die Seele sind gesunken. Ein jedes Wort, durchsichtig wie Krystall Und kräftig gleich dem edelsten der Weine, Schien mir zu rufen: "Auf! der Launen Ball, Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!" Nun bist du hin! von Gottes reinstem Bild Ist nur ein grüner Hügel uns geblieben, Den heut' umziehn die Winterstürme wild Und die Gedanken derer, die dich lieben. So ſcheut' ich es, als fromme Schülerin, Dir wieder in das dunkle Aug' zu ſehen, Ich wollte nicht vor meiner Meiſterin Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, ſtehen. Auch war ich krank, mein Sinnen ſehr verwirrt, Und keinen Namen mocht' ich ſehnend nennen; Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt, Du drangſt zu mir nach langer Jahre Trennen. Und als du vor mich trateſt, feſt und klar, Und blickteſt tief mir in der Seele Gründe, Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr, Was ich gedacht, das ſchien mir ſchwere Sünde. Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand, Stieg wie ein Phönix aus der Aſche wieder, Und tief im Herzen hab' ich es erkannt, Wie zehnfach größer du als deine Lieder. Du ſahſt, Beſcheid'ne, nicht, daß damals hier Aus deinem Blick Geneſung ich getrunken, Daß deines Mundes Laute damals mir Wie Naphtha in die Seele ſind geſunken. Ein jedes Wort, durchſichtig wie Kryſtall Und kräftig gleich dem edelſten der Weine, Schien mir zu rufen: „Auf! der Launen Ball, Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!“ Nun biſt du hin! von Gottes reinſtem Bild Iſt nur ein grüner Hügel uns geblieben, Den heut' umziehn die Winterſtürme wild Und die Gedanken derer, die dich lieben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0135" n="121"/> <lg n="4"> <l>So ſcheut' ich es, als fromme Schülerin,</l><lb/> <l>Dir wieder in das dunkle Aug' zu ſehen,</l><lb/> <l>Ich wollte nicht vor meiner Meiſterin</l><lb/> <l>Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, ſtehen.</l><lb/> <l>Auch war ich krank, mein Sinnen ſehr verwirrt,</l><lb/> <l>Und keinen Namen mocht' ich ſehnend nennen;</l><lb/> <l>Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,</l><lb/> <l>Du drangſt zu mir nach langer Jahre Trennen.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Und als du vor mich trateſt, feſt und klar,</l><lb/> <l>Und blickteſt tief mir in der Seele Gründe,</l><lb/> <l>Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,</l><lb/> <l>Was ich gedacht, das ſchien mir ſchwere Sünde.</l><lb/> <l>Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,</l><lb/> <l>Stieg wie ein Phönix aus der Aſche wieder,</l><lb/> <l>Und tief im Herzen hab' ich es erkannt,</l><lb/> <l>Wie zehnfach größer du als deine Lieder.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Du ſahſt, Beſcheid'ne, nicht, daß damals hier</l><lb/> <l>Aus deinem Blick Geneſung ich getrunken,</l><lb/> <l>Daß deines Mundes Laute damals mir</l><lb/> <l>Wie Naphtha in die Seele ſind geſunken.</l><lb/> <l>Ein jedes Wort, durchſichtig wie Kryſtall</l><lb/> <l>Und kräftig gleich dem edelſten der Weine,</l><lb/> <l>Schien mir zu rufen: „Auf! der Launen Ball,</l><lb/> <l>Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!“</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Nun biſt du hin! von Gottes reinſtem Bild</l><lb/> <l>Iſt nur ein grüner Hügel uns geblieben,</l><lb/> <l>Den heut' umziehn die Winterſtürme wild</l><lb/> <l>Und die Gedanken derer, die dich lieben.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0135]
So ſcheut' ich es, als fromme Schülerin,
Dir wieder in das dunkle Aug' zu ſehen,
Ich wollte nicht vor meiner Meiſterin
Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, ſtehen.
Auch war ich krank, mein Sinnen ſehr verwirrt,
Und keinen Namen mocht' ich ſehnend nennen;
Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,
Du drangſt zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich trateſt, feſt und klar,
Und blickteſt tief mir in der Seele Gründe,
Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,
Was ich gedacht, das ſchien mir ſchwere Sünde.
Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,
Stieg wie ein Phönix aus der Aſche wieder,
Und tief im Herzen hab' ich es erkannt,
Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du ſahſt, Beſcheid'ne, nicht, daß damals hier
Aus deinem Blick Geneſung ich getrunken,
Daß deines Mundes Laute damals mir
Wie Naphtha in die Seele ſind geſunken.
Ein jedes Wort, durchſichtig wie Kryſtall
Und kräftig gleich dem edelſten der Weine,
Schien mir zu rufen: „Auf! der Launen Ball,
Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!“
Nun biſt du hin! von Gottes reinſtem Bild
Iſt nur ein grüner Hügel uns geblieben,
Den heut' umziehn die Winterſtürme wild
Und die Gedanken derer, die dich lieben.
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