So schleicht kein Trinker schweren Hirns und freudesatt sich vom Gelage, So grüßt kein freies Herz, nicht steht auf offner Stirn so trübe Frage; Man meint, das Thor gewinne jetzt Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erst als die Fichte ihn umstarrt, an seiner Sohle Nadeln rauschen, Hat er den Schritt gehemmt und steht, in sich gebeugt, zu lauschen -- lauschen -- So lauscht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur Minne ladet, Kein Kranker so des Priesters Schritt, der mit dem Heil¬ thum ihn begnadet: Ein Delinquent so lauschen mag Der letzten Stunde Pendelschlag.
Am Sonnenbrande schlummernd liegt der Wald in des Aroma Wellen, Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern Thränen quellen, Die sonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von Gesange, In sich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬ hange, An jeder Nadel weißer Rauch Verdunstet Terpentines Hauch.
So ſchleicht kein Trinker ſchweren Hirns und freudeſatt ſich vom Gelage, So grüßt kein freies Herz, nicht ſteht auf offner Stirn ſo trübe Frage; Man meint, das Thor gewinne jetzt Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erſt als die Fichte ihn umſtarrt, an ſeiner Sohle Nadeln rauſchen, Hat er den Schritt gehemmt und ſteht, in ſich gebeugt, zu lauſchen — lauſchen — So lauſcht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur Minne ladet, Kein Kranker ſo des Prieſters Schritt, der mit dem Heil¬ thum ihn begnadet: Ein Delinquent ſo lauſchen mag Der letzten Stunde Pendelſchlag.
Am Sonnenbrande ſchlummernd liegt der Wald in des Aroma Wellen, Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern Thränen quellen, Die ſonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von Geſange, In ſich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬ hange, An jeder Nadel weißer Rauch Verdunſtet Terpentines Hauch.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="5"><pbfacs="#f0397"n="383"/><l>So ſchleicht kein Trinker ſchweren Hirns und freudeſatt ſich</l><lb/><l>vom Gelage,</l><lb/><l>So grüßt kein freies Herz, nicht ſteht auf offner Stirn ſo</l><lb/><l>trübe Frage;</l><lb/><l>Man meint, das Thor gewinne jetzt</l><lb/><l>Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.</l><lb/></lg><lgn="6"><l>Erſt als die Fichte ihn umſtarrt, an ſeiner Sohle Nadeln</l><lb/><l>rauſchen,</l><lb/><l>Hat er den Schritt gehemmt und ſteht, in ſich gebeugt, zu</l><lb/><l>lauſchen — lauſchen —</l><lb/><l>So lauſcht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur</l><lb/><l>Minne ladet,</l><lb/><l>Kein Kranker ſo des Prieſters Schritt, der mit dem Heil¬</l><lb/><l>thum ihn begnadet:</l><lb/><l>Ein Delinquent ſo lauſchen mag</l><lb/><l>Der letzten Stunde Pendelſchlag.</l><lb/></lg><lgn="7"><l>Am Sonnenbrande ſchlummernd liegt der Wald in des Aroma</l><lb/><l>Wellen,</l><lb/><l>Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern</l><lb/><l>Thränen quellen,</l><lb/><l>Die ſonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von</l><lb/><l>Geſange,</l><lb/><l>In ſich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬</l><lb/><l>hange,</l><lb/><l>An jeder Nadel weißer Rauch</l><lb/><l>Verdunſtet Terpentines Hauch.</l><lb/></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[383/0397]
So ſchleicht kein Trinker ſchweren Hirns und freudeſatt ſich
vom Gelage,
So grüßt kein freies Herz, nicht ſteht auf offner Stirn ſo
trübe Frage;
Man meint, das Thor gewinne jetzt
Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erſt als die Fichte ihn umſtarrt, an ſeiner Sohle Nadeln
rauſchen,
Hat er den Schritt gehemmt und ſteht, in ſich gebeugt, zu
lauſchen — lauſchen —
So lauſcht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur
Minne ladet,
Kein Kranker ſo des Prieſters Schritt, der mit dem Heil¬
thum ihn begnadet:
Ein Delinquent ſo lauſchen mag
Der letzten Stunde Pendelſchlag.
Am Sonnenbrande ſchlummernd liegt der Wald in des Aroma
Wellen,
Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern
Thränen quellen,
Die ſonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von
Geſange,
In ſich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬
hange,
An jeder Nadel weißer Rauch
Verdunſtet Terpentines Hauch.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/397>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.