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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Ihr seyd der Rüstigste von Allen."
Dann steht er, streicht mit flacher Hand
Die Falten von der Stirne Rand:
"Nehmt's, Vater, heut nicht so genau,
Die Nacht war gar zu wüst und rauh,
Mir friert das Hirn am Schädel an."
"Schlaf wohl!" versetzt der alte Mann.
Sein Lämpchen zündet Eleuthere,
Zupft an dem Dochte mit Bedacht,
Und nickt und murmelt drüber her:
"Hab' ich mich je dem Dienst entzogen,
Wenn Schnee die Pässe gleich gemacht,
Und jede alte Spur getrogen?
Allein, was in der Jahre Lauf,
Uns reibt am allermeisten auf,
Dies Läuten, Läuten durch die Nacht,
Wo nicht das Schneehuhn kommt hervor,
Wo nicht der Uhu selber wacht,
Wo auf dem Bernhard klimmt kein Thor;
Und wir!" Er hebt die Lamp' empor.
An dem Gemäuer, überall,
Steigt glitzernd auf der Eiskristall,
Daß klar, wie in polirtem Stahl,
Steht geisterhaft der kleine Strahl.
"'S ist eben eine hies'ge Nacht,"
Versetzt Denis, "doch kannst du sagen,
Dich habe Trug hieher gebracht
Zu Ruhe und bequemen Tagen?
Und, Eleuthere, wie magst du wissen,
Daß Niemand in der Steppe wacht?

Ihr ſeyd der Rüſtigſte von Allen.“
Dann ſteht er, ſtreicht mit flacher Hand
Die Falten von der Stirne Rand:
„Nehmt's, Vater, heut nicht ſo genau,
Die Nacht war gar zu wüſt und rauh,
Mir friert das Hirn am Schädel an.“
„Schlaf wohl!“ verſetzt der alte Mann.
Sein Lämpchen zündet Eleuthère,
Zupft an dem Dochte mit Bedacht,
Und nickt und murmelt drüber her:
„Hab' ich mich je dem Dienſt entzogen,
Wenn Schnee die Päſſe gleich gemacht,
Und jede alte Spur getrogen?
Allein, was in der Jahre Lauf,
Uns reibt am allermeiſten auf,
Dies Läuten, Läuten durch die Nacht,
Wo nicht das Schneehuhn kommt hervor,
Wo nicht der Uhu ſelber wacht,
Wo auf dem Bernhard klimmt kein Thor;
Und wir!“ Er hebt die Lamp' empor.
An dem Gemäuer, überall,
Steigt glitzernd auf der Eiskriſtall,
Daß klar, wie in polirtem Stahl,
Steht geiſterhaft der kleine Strahl.
„'S iſt eben eine hieſ'ge Nacht,“
Verſetzt Denis, „doch kannſt du ſagen,
Dich habe Trug hieher gebracht
Zu Ruhe und bequemen Tagen?
Und, Eleuthère, wie magſt du wiſſen,
Daß Niemand in der Steppe wacht?

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[431/0445] Ihr ſeyd der Rüſtigſte von Allen.“ Dann ſteht er, ſtreicht mit flacher Hand Die Falten von der Stirne Rand: „Nehmt's, Vater, heut nicht ſo genau, Die Nacht war gar zu wüſt und rauh, Mir friert das Hirn am Schädel an.“ „Schlaf wohl!“ verſetzt der alte Mann. Sein Lämpchen zündet Eleuthère, Zupft an dem Dochte mit Bedacht, Und nickt und murmelt drüber her: „Hab' ich mich je dem Dienſt entzogen, Wenn Schnee die Päſſe gleich gemacht, Und jede alte Spur getrogen? Allein, was in der Jahre Lauf, Uns reibt am allermeiſten auf, Dies Läuten, Läuten durch die Nacht, Wo nicht das Schneehuhn kommt hervor, Wo nicht der Uhu ſelber wacht, Wo auf dem Bernhard klimmt kein Thor; Und wir!“ Er hebt die Lamp' empor. An dem Gemäuer, überall, Steigt glitzernd auf der Eiskriſtall, Daß klar, wie in polirtem Stahl, Steht geiſterhaft der kleine Strahl. „'S iſt eben eine hieſ'ge Nacht,“ Verſetzt Denis, „doch kannſt du ſagen, Dich habe Trug hieher gebracht Zu Ruhe und bequemen Tagen? Und, Eleuthère, wie magſt du wiſſen, Daß Niemand in der Steppe wacht?

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/445>, abgerufen am 22.11.2024.