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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Wie sich der Tropfstein bildet leis'
In feuchter Grottenwölbung Hallen.
Und drunten das Gewässer schäumt,
Sich sprühend an der Scholle bäumt,
Wirft Perlen auf, in Bogen springt
Und tiefe heis're Weisen singt,
Bis, nicht zu fern, des Winters Macht
Auf's neu' in Fesseln es gebracht,
Wo pfeilgeschwinder Wellen Zug
Des Strudels Macht verräth genug.

Die Brüder stehn und sehn sich an. --
Der Marronier der feste Mann
Streicht mit den Fingern bald die Sohlen,
Bald prüfend auf den Steg sie reibt
Und in die Tiefe blickt verstohlen.
Kopfschüttelnd spricht er: "Brüder, bleibt!
Hier ist nur sichrer Tod zu holen;
Der Wildbach hat den Steg beschwemmt,
Seht, wie das blanke Eis sich dämmt:
So sey die Leiche Gott befohlen!
Was für den Lebenden uns Pflicht,
Das bleibt es für den Todten nicht.
He, Barry! Barry!" Aber dicht
Von drüben Wind und Stromes Rauschen
Ein wohlbekannter Ruf durchbricht,
Erst kurz, gestoßen -- Alles still --
Dann folgt ein ungeduldig Heulen,
Man hört ihn hin und wieder eilen;
Nun scheint er an der Kluft zu lauschen,

Wie ſich der Tropfſtein bildet leiſ'
In feuchter Grottenwölbung Hallen.
Und drunten das Gewäſſer ſchäumt,
Sich ſprühend an der Scholle bäumt,
Wirft Perlen auf, in Bogen ſpringt
Und tiefe heiſ're Weiſen ſingt,
Bis, nicht zu fern, des Winters Macht
Auf's neu' in Feſſeln es gebracht,
Wo pfeilgeſchwinder Wellen Zug
Des Strudels Macht verräth genug.

Die Brüder ſtehn und ſehn ſich an. —
Der Marronier der feſte Mann
Streicht mit den Fingern bald die Sohlen,
Bald prüfend auf den Steg ſie reibt
Und in die Tiefe blickt verſtohlen.
Kopfſchüttelnd ſpricht er: „Brüder, bleibt!
Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen;
Der Wildbach hat den Steg beſchwemmt,
Seht, wie das blanke Eis ſich dämmt:
So ſey die Leiche Gott befohlen!
Was für den Lebenden uns Pflicht,
Das bleibt es für den Todten nicht.
He, Barry! Barry!“ Aber dicht
Von drüben Wind und Stromes Rauſchen
Ein wohlbekannter Ruf durchbricht,
Erſt kurz, geſtoßen — Alles ſtill —
Dann folgt ein ungeduldig Heulen,
Man hört ihn hin und wieder eilen;
Nun ſcheint er an der Kluft zu lauſchen,
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[442/0456] Wie ſich der Tropfſtein bildet leiſ' In feuchter Grottenwölbung Hallen. Und drunten das Gewäſſer ſchäumt, Sich ſprühend an der Scholle bäumt, Wirft Perlen auf, in Bogen ſpringt Und tiefe heiſ're Weiſen ſingt, Bis, nicht zu fern, des Winters Macht Auf's neu' in Feſſeln es gebracht, Wo pfeilgeſchwinder Wellen Zug Des Strudels Macht verräth genug. Die Brüder ſtehn und ſehn ſich an. — Der Marronier der feſte Mann Streicht mit den Fingern bald die Sohlen, Bald prüfend auf den Steg ſie reibt Und in die Tiefe blickt verſtohlen. Kopfſchüttelnd ſpricht er: „Brüder, bleibt! Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen; Der Wildbach hat den Steg beſchwemmt, Seht, wie das blanke Eis ſich dämmt: So ſey die Leiche Gott befohlen! Was für den Lebenden uns Pflicht, Das bleibt es für den Todten nicht. He, Barry! Barry!“ Aber dicht Von drüben Wind und Stromes Rauſchen Ein wohlbekannter Ruf durchbricht, Erſt kurz, geſtoßen — Alles ſtill — Dann folgt ein ungeduldig Heulen, Man hört ihn hin und wieder eilen; Nun ſcheint er an der Kluft zu lauſchen,

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/456>, abgerufen am 22.11.2024.