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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Sieht hinter'm Zuge man von weiten?
Denis! Wird ihm der Weg so schwer?
Man ruft und harrt, er schreitet an.
"Reicht mir die Hand!" Ein Bruder spricht:
"Stützt euch auf mich!" Der alte Mann
Erwiedert: "Müde bin ich nicht."
Dann setzt er an mit festem Schritt
Und rüstig in die Reihe tritt.
Was wohl den Mann betroffen hat?
Nicht kraftlos scheint er, in der That!
Und doch ihm in so kurzer Frist
Die Stimme klein geworden ist.
Wie das Gespräch sich wieder rege,
Er wandelt stumm und träumend fort,
Und fällt auch wohl ein schlimmes Wort,
Daß allzuviel in dieser Nacht
Um eine Leiche sey gewagt,
Nur tiefer sich der Alte bückt,
Nur in den Schnee die Ferse drückt,
Und der, so geht zunächst im Wege,
Meint, täusch' ihn nicht des Frostes Knistern,
Er höre schwere Seufzer flüstern.
Was wohl das gute Mönchlein quält?
Dem alten treuen Männchen fehlt?

Indessen, nun zum zweiten Mal,
Hat man die Klippenschlucht betreten;
Hier sind die Sinne all vonnöthen.
Hu, wie der Wirbel streicht durch's Thal!
Die Luft gleich Aether scharf und fein!

Sieht hinter'm Zuge man von weiten?
Denis! Wird ihm der Weg ſo ſchwer?
Man ruft und harrt, er ſchreitet an.
„Reicht mir die Hand!“ Ein Bruder ſpricht:
„Stützt euch auf mich!“ Der alte Mann
Erwiedert: „Müde bin ich nicht.“
Dann ſetzt er an mit feſtem Schritt
Und rüſtig in die Reihe tritt.
Was wohl den Mann betroffen hat?
Nicht kraftlos ſcheint er, in der That!
Und doch ihm in ſo kurzer Friſt
Die Stimme klein geworden iſt.
Wie das Geſpräch ſich wieder rege,
Er wandelt ſtumm und träumend fort,
Und fällt auch wohl ein ſchlimmes Wort,
Daß allzuviel in dieſer Nacht
Um eine Leiche ſey gewagt,
Nur tiefer ſich der Alte bückt,
Nur in den Schnee die Ferſe drückt,
Und der, ſo geht zunächſt im Wege,
Meint, täuſch' ihn nicht des Froſtes Kniſtern,
Er höre ſchwere Seufzer flüſtern.
Was wohl das gute Mönchlein quält?
Dem alten treuen Männchen fehlt?

Indeſſen, nun zum zweiten Mal,
Hat man die Klippenſchlucht betreten;
Hier ſind die Sinne all vonnöthen.
Hu, wie der Wirbel ſtreicht durch's Thal!
Die Luft gleich Aether ſcharf und fein!
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[447/0461] Sieht hinter'm Zuge man von weiten? Denis! Wird ihm der Weg ſo ſchwer? Man ruft und harrt, er ſchreitet an. „Reicht mir die Hand!“ Ein Bruder ſpricht: „Stützt euch auf mich!“ Der alte Mann Erwiedert: „Müde bin ich nicht.“ Dann ſetzt er an mit feſtem Schritt Und rüſtig in die Reihe tritt. Was wohl den Mann betroffen hat? Nicht kraftlos ſcheint er, in der That! Und doch ihm in ſo kurzer Friſt Die Stimme klein geworden iſt. Wie das Geſpräch ſich wieder rege, Er wandelt ſtumm und träumend fort, Und fällt auch wohl ein ſchlimmes Wort, Daß allzuviel in dieſer Nacht Um eine Leiche ſey gewagt, Nur tiefer ſich der Alte bückt, Nur in den Schnee die Ferſe drückt, Und der, ſo geht zunächſt im Wege, Meint, täuſch' ihn nicht des Froſtes Kniſtern, Er höre ſchwere Seufzer flüſtern. Was wohl das gute Mönchlein quält? Dem alten treuen Männchen fehlt? Indeſſen, nun zum zweiten Mal, Hat man die Klippenſchlucht betreten; Hier ſind die Sinne all vonnöthen. Hu, wie der Wirbel ſtreicht durch's Thal! Die Luft gleich Aether ſcharf und fein!

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/461>, abgerufen am 22.11.2024.