Sogar die Worte frieren ein. Und wieder hört man durch die Stille Der Mäntel Reiben an den Kappen, Des Tritt's Geknarr, des Alpstocks Klappen; Ein Jeder schmiegt sich in die Hülle, Und treibt den Fuß, so sehr er kann, Voran, und immer nur voran. Das Lampenlicht, was hier zuvor Um Vließe duftbestreut geflogen, Trifft sie mit Eise jetzt umzogen, Und ganz von Glas erscheint der Chor. Voran, voran! zieht sacht den Hauch, Und streicht die Kappe dicht an's Aug'! Voran! -- Schaut nicht die Klippe hier Fast wie ein formlos wüstes Thier? Hier ein verstümmelt Riesenhaupt, Das rechte Aug' ist ihm geraubt. Voran, voran! -- Was flattert dort? Ein Lämmergeier, aufgeweckt Aus seinem Lager, flieht erschreckt, Gefangen in des Passes Enge. Seht, wie er angstvoll krallt die Fänge! Zurück! zurück! er naht dem Licht. Und nun er über'm Leilach schwebt, Mit ausgespanntem Fittig bebt. Die Lampe bergt! Da steigt er auf, Um's Riesenhaupt noch einmal kreisend Und pfeifend, daß die Gasse schallt; Und nun verschwimmt er in die Nacht. Noch einmal, sein Gekreisch verhallt.
Sogar die Worte frieren ein. Und wieder hört man durch die Stille Der Mäntel Reiben an den Kappen, Des Tritt's Geknarr, des Alpſtocks Klappen; Ein Jeder ſchmiegt ſich in die Hülle, Und treibt den Fuß, ſo ſehr er kann, Voran, und immer nur voran. Das Lampenlicht, was hier zuvor Um Vließe duftbeſtreut geflogen, Trifft ſie mit Eiſe jetzt umzogen, Und ganz von Glas erſcheint der Chor. Voran, voran! zieht ſacht den Hauch, Und ſtreicht die Kappe dicht an's Aug'! Voran! — Schaut nicht die Klippe hier Faſt wie ein formlos wüſtes Thier? Hier ein verſtümmelt Rieſenhaupt, Das rechte Aug' iſt ihm geraubt. Voran, voran! — Was flattert dort? Ein Lämmergeier, aufgeweckt Aus ſeinem Lager, flieht erſchreckt, Gefangen in des Paſſes Enge. Seht, wie er angſtvoll krallt die Fänge! Zurück! zurück! er naht dem Licht. Und nun er über'm Leilach ſchwebt, Mit ausgeſpanntem Fittig bebt. Die Lampe bergt! Da ſteigt er auf, Um's Rieſenhaupt noch einmal kreiſend Und pfeifend, daß die Gaſſe ſchallt; Und nun verſchwimmt er in die Nacht. Noch einmal, ſein Gekreiſch verhallt.
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Sogar die Worte frieren ein.
Und wieder hört man durch die Stille
Der Mäntel Reiben an den Kappen,
Des Tritt's Geknarr, des Alpſtocks Klappen;
Ein Jeder ſchmiegt ſich in die Hülle,
Und treibt den Fuß, ſo ſehr er kann,
Voran, und immer nur voran.
Das Lampenlicht, was hier zuvor
Um Vließe duftbeſtreut geflogen,
Trifft ſie mit Eiſe jetzt umzogen,
Und ganz von Glas erſcheint der Chor.
Voran, voran! zieht ſacht den Hauch,
Und ſtreicht die Kappe dicht an's Aug'!
Voran! — Schaut nicht die Klippe hier
Faſt wie ein formlos wüſtes Thier?
Hier ein verſtümmelt Rieſenhaupt,
Das rechte Aug' iſt ihm geraubt.
Voran, voran! — Was flattert dort?
Ein Lämmergeier, aufgeweckt
Aus ſeinem Lager, flieht erſchreckt,
Gefangen in des Paſſes Enge.
Seht, wie er angſtvoll krallt die Fänge!
Zurück! zurück! er naht dem Licht.
Und nun er über'm Leilach ſchwebt,
Mit ausgeſpanntem Fittig bebt.
Die Lampe bergt! Da ſteigt er auf,
Um's Rieſenhaupt noch einmal kreiſend
Und pfeifend, daß die Gaſſe ſchallt;
Und nun verſchwimmt er in die Nacht.
Noch einmal, ſein Gekreiſch verhallt.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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