Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Des Arztes Vermächtniß. So mild die Landschaft und so kühn, Aus Felsenritzen Ranken blühn; So wild das Wasser stürmt und rauscht, Und drüber Soldanella * lauscht! Nichts was ein wundes Herz so kühlt Als Bergesluft die einsam spielt, Wenn Maienmorgens frische Rosen Mit Fichtendunkel flüsternd kosen. Wo über'm Wipfelmeer das Riff Im Aether steht, ein flaggend Schiff, Um seinen Mast der Geier schweift: Tief im Gebüsch das Berghuhn läuft, Es stutzt -- es kauert sich -- es pfeift Und flattert auf; -- ein Blättchen streift Die Rolle in des Jünglings Hand. Der schaut, versunken, über Land, Wie Einer, so in Stromes Rauschen Will längst verklungner Stimme lauschen. Er ruht am feuchten Uferrand. -- In seinem Auge Einklang liegt Mit dem, was über ihm sich wiegt, Mit Windgestöhn' und linden Zweigen: Was ist ihm fremd, und was sein eigen? Gedankenvoll dem Boden ein * Soldanella alpina, Alpendrottelblume.
Des Arztes Vermächtniß. So mild die Landſchaft und ſo kühn, Aus Felſenritzen Ranken blühn; So wild das Waſſer ſtürmt und rauſcht, Und drüber Soldanella * lauſcht! Nichts was ein wundes Herz ſo kühlt Als Bergesluft die einſam ſpielt, Wenn Maienmorgens friſche Roſen Mit Fichtendunkel flüſternd koſen. Wo über'm Wipfelmeer das Riff Im Aether ſteht, ein flaggend Schiff, Um ſeinen Maſt der Geier ſchweift: Tief im Gebüſch das Berghuhn läuft, Es ſtutzt — es kauert ſich — es pfeift Und flattert auf; — ein Blättchen ſtreift Die Rolle in des Jünglings Hand. Der ſchaut, verſunken, über Land, Wie Einer, ſo in Stromes Rauſchen Will längſt verklungner Stimme lauſchen. Er ruht am feuchten Uferrand. — In ſeinem Auge Einklang liegt Mit dem, was über ihm ſich wiegt, Mit Windgeſtöhn' und linden Zweigen: Was iſt ihm fremd, und was ſein eigen? Gedankenvoll dem Boden ein * Soldanella alpina, Alpendrottelblume.
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Des Arztes Vermächtniß.
So mild die Landſchaft und ſo kühn,
Aus Felſenritzen Ranken blühn;
So wild das Waſſer ſtürmt und rauſcht,
Und drüber Soldanella * lauſcht!
Nichts was ein wundes Herz ſo kühlt
Als Bergesluft die einſam ſpielt,
Wenn Maienmorgens friſche Roſen
Mit Fichtendunkel flüſternd koſen.
Wo über'm Wipfelmeer das Riff
Im Aether ſteht, ein flaggend Schiff,
Um ſeinen Maſt der Geier ſchweift:
Tief im Gebüſch das Berghuhn läuft,
Es ſtutzt — es kauert ſich — es pfeift
Und flattert auf; — ein Blättchen ſtreift
Die Rolle in des Jünglings Hand.
Der ſchaut, verſunken, über Land,
Wie Einer, ſo in Stromes Rauſchen
Will längſt verklungner Stimme lauſchen.
Er ruht am feuchten Uferrand. —
In ſeinem Auge Einklang liegt
Mit dem, was über ihm ſich wiegt,
Mit Windgeſtöhn' und linden Zweigen:
Was iſt ihm fremd, und was ſein eigen?
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