Gräbt Zeichen er mit spitzem Stein, Und löst gedankenvoll das Band Am Blatt, wo, regelloser Spur, Ach! eine Hand, zu theuer nur, Vertraut gestörter Seele Leiden, Die Wahr und Falsch nicht konnte scheiden. Und will er -- soll er -- dringen ein In ein Geheimniß das nicht sein? Es sey! es sey! die Hand ist Staub, Und ein Vermächtniß ja kein Raub! Dann -- Wasser, Felsen, Alles schwand.
"Ich war noch jung; o Zeit, entfloh'ne Zeit! Wohl vierzig Jahre hin, mir ist's wie heut. Ein frisches Wasserreis war ich, im Traume Von Blüthe, Frucht und tausendjähr'gem Baume. Ein Flämmchen war ich, lustig angebrannt, Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt. Ach! damals hatte fremde Sünde nicht Gelegt auf meinen Nacken ihr Gewicht. Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn: So war's, so war's, und anders ist es nun. Der dunkle Mann -- das Bild das mich umkreist -- Ich sage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt. Zu Nacht mein Auge fand das deine offen, Dein sorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen, Wenn Mißgeschick in Sünde mir zerfleußt, Zur Gegenwart wird die Erinnerung. Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein Geist, Das kennst du nicht, du bist gesund und jung.
Gräbt Zeichen er mit ſpitzem Stein, Und löſt gedankenvoll das Band Am Blatt, wo, regelloſer Spur, Ach! eine Hand, zu theuer nur, Vertraut geſtörter Seele Leiden, Die Wahr und Falſch nicht konnte ſcheiden. Und will er — ſoll er — dringen ein In ein Geheimniß das nicht ſein? Es ſey! es ſey! die Hand iſt Staub, Und ein Vermächtniß ja kein Raub! Dann — Waſſer, Felſen, Alles ſchwand.
„Ich war noch jung; o Zeit, entfloh'ne Zeit! Wohl vierzig Jahre hin, mir iſt's wie heut. Ein friſches Waſſerreis war ich, im Traume Von Blüthe, Frucht und tauſendjähr'gem Baume. Ein Flämmchen war ich, luſtig angebrannt, Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt. Ach! damals hatte fremde Sünde nicht Gelegt auf meinen Nacken ihr Gewicht. Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn: So war's, ſo war's, und anders iſt es nun. Der dunkle Mann — das Bild das mich umkreist — Ich ſage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt. Zu Nacht mein Auge fand das deine offen, Dein ſorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen, Wenn Mißgeſchick in Sünde mir zerfleußt, Zur Gegenwart wird die Erinnerung. Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein Geiſt, Das kennſt du nicht, du biſt geſund und jung.
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Gräbt Zeichen er mit ſpitzem Stein,
Und löſt gedankenvoll das Band
Am Blatt, wo, regelloſer Spur,
Ach! eine Hand, zu theuer nur,
Vertraut geſtörter Seele Leiden,
Die Wahr und Falſch nicht konnte ſcheiden.
Und will er — ſoll er — dringen ein
In ein Geheimniß das nicht ſein?
Es ſey! es ſey! die Hand iſt Staub,
Und ein Vermächtniß ja kein Raub!
Dann — Waſſer, Felſen, Alles ſchwand.
„Ich war noch jung; o Zeit, entfloh'ne Zeit!
Wohl vierzig Jahre hin, mir iſt's wie heut.
Ein friſches Waſſerreis war ich, im Traume
Von Blüthe, Frucht und tauſendjähr'gem Baume.
Ein Flämmchen war ich, luſtig angebrannt,
Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt.
Ach! damals hatte fremde Sünde nicht
Gelegt auf meinen Nacken ihr Gewicht.
Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn:
So war's, ſo war's, und anders iſt es nun.
Der dunkle Mann — das Bild das mich umkreist —
Ich ſage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt.
Zu Nacht mein Auge fand das deine offen,
Dein ſorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen,
Wenn Mißgeſchick in Sünde mir zerfleußt,
Zur Gegenwart wird die Erinnerung.
Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein Geiſt,
Das kennſt du nicht, du biſt geſund und jung.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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