Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Daß er die Sonne sucht um Mitternacht. Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch, So griff ich nach der Binde; hastig doch Mich faßte eine Hand, die war so stark, Der leichte Druck mir rieselte in's Mark. Und weiter, weiter durch bethautes Kraut; Man wandle rechts und links und sucht' zu meiden, Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterscheiden Im Gras verstreuten Schutt, hier ward gebaut. Dann Stufen ging's hinunter, seltsam hallend, Und immer tiefer, eine lange Reih'. Ich stütze mich auf Mauern, morsch, zerfallend, Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei; Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen -- Ich räuspre -- und es schmettert mir entgegen -- Des Kleides Reibung flüstert am Gestein -- Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe seyn. Vor Allem seltsam war's, als, unterm Grund Auftauchend, Schritte rechts sich gaben kund. Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben; Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht, Ich fühlte um Gesicht und Brust sie beben. Daß er die Sonne ſucht um Mitternacht. Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch, So griff ich nach der Binde; haſtig doch Mich faßte eine Hand, die war ſo ſtark, Der leichte Druck mir rieſelte in's Mark. Und weiter, weiter durch bethautes Kraut; Man wandle rechts und links und ſucht' zu meiden, Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterſcheiden Im Gras verſtreuten Schutt, hier ward gebaut. Dann Stufen ging's hinunter, ſeltſam hallend, Und immer tiefer, eine lange Reih'. Ich ſtütze mich auf Mauern, morſch, zerfallend, Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei; Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen — Ich räuſpre — und es ſchmettert mir entgegen — Des Kleides Reibung flüſtert am Geſtein — Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe ſeyn. Vor Allem ſeltſam war's, als, unterm Grund Auftauchend, Schritte rechts ſich gaben kund. Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben; Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht, Ich fühlte um Geſicht und Bruſt ſie beben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="5"> <pb facs="#f0478" n="464"/> <l>Daß er die Sonne ſucht um Mitternacht.</l><lb/> <l>Ja! ſinn' ich was noch all ſich zugetragen</l><lb/> <l>Bevor es tagte, hat die Fahrt wohl kaum</l><lb/> <l>Gefüllt auf's längſte einer Stunde Raum.</l><lb/> <l>Dann ſtand das Thier, und Arme fühlt' ich wieder;</l><lb/> <l>Nun ſchwebt' ich in der Luft, nun ließ mich's nieder;</l><lb/> <l>Und tiefer in die Bruſt der Athem glitt,</l><lb/> <l>Als Grund, als feſten Grund mein Fuß beſchritt.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch,</l><lb/> <l>So griff ich nach der Binde; haſtig doch</l><lb/> <l>Mich faßte eine Hand, die war ſo ſtark,</l><lb/> <l>Der leichte Druck mir rieſelte in's Mark.</l><lb/> <l>Und weiter, weiter durch bethautes Kraut;</l><lb/> <l>Man wandle rechts und links und ſucht' zu meiden,</l><lb/> <l>Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterſcheiden</l><lb/> <l>Im Gras verſtreuten Schutt, hier ward gebaut.</l><lb/> <l>Dann Stufen ging's hinunter, ſeltſam hallend,</l><lb/> <l>Und immer tiefer, eine lange Reih'.</l><lb/> <l>Ich ſtütze mich auf Mauern, morſch, zerfallend,</l><lb/> <l>Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei;</l><lb/> <l>Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen —</l><lb/> <l>Ich räuſpre — und es ſchmettert mir entgegen —</l><lb/> <l>Des Kleides Reibung flüſtert am Geſtein —</l><lb/> <l>Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe ſeyn.</l><lb/> <l>Vor Allem ſeltſam war's, als, unterm Grund</l><lb/> <l>Auftauchend, Schritte rechts ſich gaben kund.</l><lb/> <l>Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben;</l><lb/> <l>Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht,</l><lb/> <l>Ich fühlte um Geſicht und Bruſt ſie beben.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [464/0478]
Daß er die Sonne ſucht um Mitternacht.
Ja! ſinn' ich was noch all ſich zugetragen
Bevor es tagte, hat die Fahrt wohl kaum
Gefüllt auf's längſte einer Stunde Raum.
Dann ſtand das Thier, und Arme fühlt' ich wieder;
Nun ſchwebt' ich in der Luft, nun ließ mich's nieder;
Und tiefer in die Bruſt der Athem glitt,
Als Grund, als feſten Grund mein Fuß beſchritt.
Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch,
So griff ich nach der Binde; haſtig doch
Mich faßte eine Hand, die war ſo ſtark,
Der leichte Druck mir rieſelte in's Mark.
Und weiter, weiter durch bethautes Kraut;
Man wandle rechts und links und ſucht' zu meiden,
Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterſcheiden
Im Gras verſtreuten Schutt, hier ward gebaut.
Dann Stufen ging's hinunter, ſeltſam hallend,
Und immer tiefer, eine lange Reih'.
Ich ſtütze mich auf Mauern, morſch, zerfallend,
Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei;
Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen —
Ich räuſpre — und es ſchmettert mir entgegen —
Des Kleides Reibung flüſtert am Geſtein —
Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe ſeyn.
Vor Allem ſeltſam war's, als, unterm Grund
Auftauchend, Schritte rechts ſich gaben kund.
Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben;
Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht,
Ich fühlte um Geſicht und Bruſt ſie beben.
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