Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Wohl ist er toll, wohl ist er schlimm, Ein Tigerthier in seinem Grimm; Und doch so mancher edle Keim, War einst in dieser Brust daheim, Als noch an Vaters Hof den Knaben Sein heimlich Sinnen durfte laben, Wenn er, dem Zwange schlau entzogen, In seinem Mark die junge Glut, Von der Gefährten Schaar umflogen Die höchsten Zweige klimmend bog, Des Sturmes Odem gierig sog, Und dann ertappt, o schnöde Pein! Die Strafe willig trug allein. Für einen Freund gäb' er sein Blut! Es war ein stolzer, frischer Stamm, Der siechte in des Hofes Schlamm; Denn damals man wie heute that, Und zog nicht die Natur zu Rath: Man heischte von der Ceder Wein. Fest stand der Schluß, und schon genannt Das Bisthum ward, das zuerkannt Dem Knaben, wenn der Jahre Lauf Die reife Stunde trüg' herauf. So konnt' es wohl nicht anders seyn, Die edlen Säfte mußten gähren, Zum Mark die Thräne siedend kehren, Und Keinem trauend, Keinem hold, Der junge Prinz des Herzens Gold Zu schnöden Schlacken ließ verglimmen. Doch weiß die Sitte er zu stimmen, Wohl iſt er toll, wohl iſt er ſchlimm, Ein Tigerthier in ſeinem Grimm; Und doch ſo mancher edle Keim, War einſt in dieſer Bruſt daheim, Als noch an Vaters Hof den Knaben Sein heimlich Sinnen durfte laben, Wenn er, dem Zwange ſchlau entzogen, In ſeinem Mark die junge Glut, Von der Gefährten Schaar umflogen Die höchſten Zweige klimmend bog, Des Sturmes Odem gierig ſog, Und dann ertappt, o ſchnöde Pein! Die Strafe willig trug allein. Für einen Freund gäb' er ſein Blut! Es war ein ſtolzer, friſcher Stamm, Der ſiechte in des Hofes Schlamm; Denn damals man wie heute that, Und zog nicht die Natur zu Rath: Man heiſchte von der Ceder Wein. Feſt ſtand der Schluß, und ſchon genannt Das Bisthum ward, das zuerkannt Dem Knaben, wenn der Jahre Lauf Die reife Stunde trüg' herauf. So konnt' es wohl nicht anders ſeyn, Die edlen Säfte mußten gähren, Zum Mark die Thräne ſiedend kehren, Und Keinem trauend, Keinem hold, Der junge Prinz des Herzens Gold Zu ſchnöden Schlacken ließ verglimmen. Doch weiß die Sitte er zu ſtimmen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0513" n="499"/> <lg n="6"> <l>Wohl iſt er toll, wohl iſt er ſchlimm,</l><lb/> <l>Ein Tigerthier in ſeinem Grimm;</l><lb/> <l>Und doch ſo mancher edle Keim,</l><lb/> <l>War einſt in dieſer Bruſt daheim,</l><lb/> <l>Als noch an Vaters Hof den Knaben</l><lb/> <l>Sein heimlich Sinnen durfte laben,</l><lb/> <l>Wenn er, dem Zwange ſchlau entzogen,</l><lb/> <l>In ſeinem Mark die junge Glut,</l><lb/> <l>Von der Gefährten Schaar umflogen</l><lb/> <l>Die höchſten Zweige klimmend bog,</l><lb/> <l>Des Sturmes Odem gierig ſog,</l><lb/> <l>Und dann ertappt, o ſchnöde Pein!</l><lb/> <l>Die Strafe willig trug allein.</l><lb/> <l>Für einen Freund gäb' er ſein Blut!</l><lb/> <l>Es war ein ſtolzer, friſcher Stamm,</l><lb/> <l>Der ſiechte in des Hofes Schlamm;</l><lb/> <l>Denn damals man wie heute that,</l><lb/> <l>Und zog nicht die Natur zu Rath:</l><lb/> <l>Man heiſchte von der Ceder Wein.</l><lb/> <l>Feſt ſtand der Schluß, und ſchon genannt</l><lb/> <l>Das Bisthum ward, das zuerkannt</l><lb/> <l>Dem Knaben, wenn der Jahre Lauf</l><lb/> <l>Die reife Stunde trüg' herauf.</l><lb/> <l>So konnt' es wohl nicht anders ſeyn,</l><lb/> <l>Die edlen Säfte mußten gähren,</l><lb/> <l>Zum Mark die Thräne ſiedend kehren,</l><lb/> <l>Und Keinem trauend, Keinem hold,</l><lb/> <l>Der junge Prinz des Herzens Gold</l><lb/> <l>Zu ſchnöden Schlacken ließ verglimmen.</l><lb/> <l>Doch weiß die Sitte er zu ſtimmen,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [499/0513]
Wohl iſt er toll, wohl iſt er ſchlimm,
Ein Tigerthier in ſeinem Grimm;
Und doch ſo mancher edle Keim,
War einſt in dieſer Bruſt daheim,
Als noch an Vaters Hof den Knaben
Sein heimlich Sinnen durfte laben,
Wenn er, dem Zwange ſchlau entzogen,
In ſeinem Mark die junge Glut,
Von der Gefährten Schaar umflogen
Die höchſten Zweige klimmend bog,
Des Sturmes Odem gierig ſog,
Und dann ertappt, o ſchnöde Pein!
Die Strafe willig trug allein.
Für einen Freund gäb' er ſein Blut!
Es war ein ſtolzer, friſcher Stamm,
Der ſiechte in des Hofes Schlamm;
Denn damals man wie heute that,
Und zog nicht die Natur zu Rath:
Man heiſchte von der Ceder Wein.
Feſt ſtand der Schluß, und ſchon genannt
Das Bisthum ward, das zuerkannt
Dem Knaben, wenn der Jahre Lauf
Die reife Stunde trüg' herauf.
So konnt' es wohl nicht anders ſeyn,
Die edlen Säfte mußten gähren,
Zum Mark die Thräne ſiedend kehren,
Und Keinem trauend, Keinem hold,
Der junge Prinz des Herzens Gold
Zu ſchnöden Schlacken ließ verglimmen.
Doch weiß die Sitte er zu ſtimmen,
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