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Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe.

Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging's ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den östreichischen Dienst und die See.

Der Johannes könnte viel erzählen, sagte er zu seiner Frau, wenn er nicht so grundeinfältig wäre. -- Mehr tiefsinnig als einfältig, versetzte sie; ich fürchte immer, er schnappt noch über. -- Ei bewahre! antwortete der Baron, er war sein Lebenlang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt.

Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte.

Du bist lange ausgeblieben, Johannes, sagte sie; ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt.

Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.

Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz?

Er sah trübe zu ihr auf: Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig, fügte er langsam hinzu. -- Sahst du wohl, sagte Frau von S.

Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe.

Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging's ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den östreichischen Dienst und die See.

Der Johannes könnte viel erzählen, sagte er zu seiner Frau, wenn er nicht so grundeinfältig wäre. — Mehr tiefsinnig als einfältig, versetzte sie; ich fürchte immer, er schnappt noch über. — Ei bewahre! antwortete der Baron, er war sein Lebenlang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt.

Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte.

Du bist lange ausgeblieben, Johannes, sagte sie; ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt.

Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.

Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz?

Er sah trübe zu ihr auf: Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig, fügte er langsam hinzu. — Sahst du wohl, sagte Frau von S.

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[0075] Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe. Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging's ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den östreichischen Dienst und die See. Der Johannes könnte viel erzählen, sagte er zu seiner Frau, wenn er nicht so grundeinfältig wäre. — Mehr tiefsinnig als einfältig, versetzte sie; ich fürchte immer, er schnappt noch über. — Ei bewahre! antwortete der Baron, er war sein Lebenlang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt. Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte. Du bist lange ausgeblieben, Johannes, sagte sie; ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt. Ich bin durch den Föhrengrund gegangen. Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz? Er sah trübe zu ihr auf: Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig, fügte er langsam hinzu. — Sahst du wohl, sagte Frau von S.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:10:05Z)

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/75>, abgerufen am 21.11.2024.