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Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Pilze. - Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog selbst mit hinaus.

Sie waren unter der Buche angelangt. Ich sehe nichts, sagte Herr von S. - Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle! - Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe.

Gott, es ist Johannes! -- Setzt die Leiter an! -- so -- nun herunter! -- sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! -- Lieber Himmel, die Würmer sind schon dran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde. Eine breite Narbe ward sichtbar; der Gutsherr fuhr zurück.

Mein Gott! sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile mit tiefer Erschütterung.

Dann wandte er sich zu dem Förster: Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schuldigen leide; sage es nur allen Leuten: Der da -- er deutete auf den Todten -- war Friedrich Mergel.

Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt.

Dies hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahres 1788.

Die hebräische Schrift an dem Baume heißt:

Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast.

Pilze. - Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog selbst mit hinaus.

Sie waren unter der Buche angelangt. Ich sehe nichts, sagte Herr von S. - Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle! - Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe.

Gott, es ist Johannes! — Setzt die Leiter an! — so — nun herunter! — sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! — Lieber Himmel, die Würmer sind schon dran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde. Eine breite Narbe ward sichtbar; der Gutsherr fuhr zurück.

Mein Gott! sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile mit tiefer Erschütterung.

Dann wandte er sich zu dem Förster: Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schuldigen leide; sage es nur allen Leuten: Der da — er deutete auf den Todten — war Friedrich Mergel.

Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt.

Dies hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahres 1788.

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[0080] Pilze. - Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog selbst mit hinaus. Sie waren unter der Buche angelangt. Ich sehe nichts, sagte Herr von S. - Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle! - Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe. Gott, es ist Johannes! — Setzt die Leiter an! — so — nun herunter! — sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! — Lieber Himmel, die Würmer sind schon dran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde. Eine breite Narbe ward sichtbar; der Gutsherr fuhr zurück. Mein Gott! sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile mit tiefer Erschütterung. Dann wandte er sich zu dem Förster: Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schuldigen leide; sage es nur allen Leuten: Der da — er deutete auf den Todten — war Friedrich Mergel. Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt. Dies hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahres 1788. Die hebräische Schrift an dem Baume heißt: Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:10:05Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/80>, abgerufen am 24.11.2024.