Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Zog von der Schenke aus, in jeder Hand 'Ne Flasche, die man auch noch beide fand. Doch wo die Wangen sonst, da waren Knochen, Und wo die Augen, blut'ge Höhlen nur; Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen, Da sah man deutlich auch der Zähne Spur. Wie am Giebel es knarrt und kracht? Caton, schau auf, die Bühne droben! -- Aber nimm mir die Lamp' in Acht -- Ob vor die Lucke der Riegel geschoben. Pierrot, Schlingel, das rutscht herab Von der Bank, ohne Strümpf' und Schuh! Willst du bleiben, tapp, tipp, tapp, Geht auf dem Söller der Loup Garou. Und meine Mutter hat mir oft gesagt Von einem tauben Manne, hochbetagt, Fast hundertjährig, dem es noch geschehen Als Kind, daß er das Scheuel hat gesehen, Recht wie 'nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz, Und spannenlang die Zunge aus dem Schlunde, So mit der Kette weg an Waldes Bord, Dann wieder sah er ihn im Tobelgrunde, Und wieder sah er hin, -- da war er fort. Zog von der Schenke aus, in jeder Hand ’Ne Flaſche, die man auch noch beide fand. Doch wo die Wangen ſonſt, da waren Knochen, Und wo die Augen, blut’ge Höhlen nur; Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen, Da ſah man deutlich auch der Zähne Spur. Wie am Giebel es knarrt und kracht? Caton, ſchau auf, die Bühne droben! — Aber nimm mir die Lamp’ in Acht — Ob vor die Lucke der Riegel geſchoben. Pierrot, Schlingel, das rutſcht herab Von der Bank, ohne Strümpf’ und Schuh! Willſt du bleiben, tapp, tipp, tapp, Geht auf dem Söller der Loup Garou. Und meine Mutter hat mir oft geſagt Von einem tauben Manne, hochbetagt, Faſt hundertjährig, dem es noch geſchehen Als Kind, daß er das Scheuel hat geſehen, Recht wie ’nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz, Und ſpannenlang die Zunge aus dem Schlunde, So mit der Kette weg an Waldes Bord, Dann wieder ſah er ihn im Tobelgrunde, Und wieder ſah er hin, — da war er fort. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0107" n="91"/> <lg n="7"> <l>Zog von der Schenke aus, in jeder Hand</l><lb/> <l>’Ne Flaſche, die man auch noch beide fand.</l><lb/> <l>Doch wo die Wangen ſonſt, da waren Knochen,</l><lb/> <l>Und wo die Augen, blut’ge Höhlen nur;</l><lb/> <l>Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen,</l><lb/> <l>Da ſah man deutlich auch der Zähne Spur.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Wie am Giebel es knarrt und kracht?</l><lb/> <l>Caton, ſchau auf, die Bühne droben! —</l><lb/> <l>Aber nimm mir die Lamp’ in Acht —</l><lb/> <l>Ob vor die Lucke der Riegel geſchoben.</l><lb/> <l>Pierrot, Schlingel, das rutſcht herab</l><lb/> <l>Von der Bank, ohne Strümpf’ und Schuh!</l><lb/> <l>Willſt du bleiben, tapp, tipp, tapp,</l><lb/> <l>Geht auf dem Söller der Loup Garou.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Und meine Mutter hat mir oft geſagt</l><lb/> <l>Von einem tauben Manne, hochbetagt,</l><lb/> <l>Faſt hundertjährig, dem es noch geſchehen</l><lb/> <l>Als Kind, daß er das Scheuel hat geſehen,</l><lb/> <l>Recht wie ’nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz</l><lb/> <l>Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz,</l><lb/> <l>Und ſpannenlang die Zunge aus dem Schlunde,</l><lb/> <l>So mit der Kette weg an Waldes Bord,</l><lb/> <l>Dann wieder ſah er ihn im Tobelgrunde,</l><lb/> <l>Und wieder ſah er hin, — da war er fort.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0107]
Zog von der Schenke aus, in jeder Hand
’Ne Flaſche, die man auch noch beide fand.
Doch wo die Wangen ſonſt, da waren Knochen,
Und wo die Augen, blut’ge Höhlen nur;
Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen,
Da ſah man deutlich auch der Zähne Spur.
Wie am Giebel es knarrt und kracht?
Caton, ſchau auf, die Bühne droben! —
Aber nimm mir die Lamp’ in Acht —
Ob vor die Lucke der Riegel geſchoben.
Pierrot, Schlingel, das rutſcht herab
Von der Bank, ohne Strümpf’ und Schuh!
Willſt du bleiben, tapp, tipp, tapp,
Geht auf dem Söller der Loup Garou.
Und meine Mutter hat mir oft geſagt
Von einem tauben Manne, hochbetagt,
Faſt hundertjährig, dem es noch geſchehen
Als Kind, daß er das Scheuel hat geſehen,
Recht wie ’nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz
Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz,
Und ſpannenlang die Zunge aus dem Schlunde,
So mit der Kette weg an Waldes Bord,
Dann wieder ſah er ihn im Tobelgrunde,
Und wieder ſah er hin, — da war er fort.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |