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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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soll deine Mutter, die alte Hexe, keine verschimmelte
Brodrinde bekommen. Aber vorher sollt ihr mir
noch Beide in's Hundeloch." Friedrich griff krampf-
haft nach einem Aste. Er war todtenbleich und
seine Augen schienen wie Krystallkugeln aus dem
Kopfe schießen zu wollen. Doch nur einen Augen-
blick. Dann kehrte die größte, an Erschlaffung
grenzende Ruhe zurück. "Herr," sagte er fest, mit
fast sanfter Stimme, "Ihr habt gesagt, was Ihr
nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch.
Wir wollen es gegen einander aufgehen lassen, und
nun will ich Euch sagen, was Ihr verlangt. Wenn
Ihr die Holzfäller nicht selbst bestellt habt, so
müssen es die Blaukittel sein; denn aus dem Dorfe
ist kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja
vor mir, und vier Wagen sind es. Ich habe sie
nicht gesehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören."
Er stockte einen Augenblick. --

"Könnt Ihr sagen, daß ich je einen Baum
in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich
je anderwärts gehauen habe, als auf Bestellung?
Denkt nach, ob Ihr das sagen könnt?"

Ein verlegenes Murmeln war die ganze Ant-
wort des Försters, der nach Art der meisten rauhen
Menschen leicht bereute. Er wandte sich unwirsch
und schritt dem Gebüsche zu. -- "Nein Herr,"
rief Friedrich, "wenn Ihr zu den andern Förstern

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ſoll deine Mutter, die alte Hexe, keine verſchimmelte
Brodrinde bekommen. Aber vorher ſollt ihr mir
noch Beide in’s Hundeloch.“ Friedrich griff krampf-
haft nach einem Aſte. Er war todtenbleich und
ſeine Augen ſchienen wie Kryſtallkugeln aus dem
Kopfe ſchießen zu wollen. Doch nur einen Augen-
blick. Dann kehrte die größte, an Erſchlaffung
grenzende Ruhe zurück. „Herr,“ ſagte er feſt, mit
faſt ſanfter Stimme, „Ihr habt geſagt, was Ihr
nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch.
Wir wollen es gegen einander aufgehen laſſen, und
nun will ich Euch ſagen, was Ihr verlangt. Wenn
Ihr die Holzfäller nicht ſelbſt beſtellt habt, ſo
müſſen es die Blaukittel ſein; denn aus dem Dorfe
iſt kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja
vor mir, und vier Wagen ſind es. Ich habe ſie
nicht geſehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören.“
Er ſtockte einen Augenblick. —

„Könnt Ihr ſagen, daß ich je einen Baum
in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich
je anderwärts gehauen habe, als auf Beſtellung?
Denkt nach, ob Ihr das ſagen könnt?“

Ein verlegenes Murmeln war die ganze Ant-
wort des Förſters, der nach Art der meiſten rauhen
Menſchen leicht bereute. Er wandte ſich unwirſch
und ſchritt dem Gebüſche zu. — „Nein Herr,“
rief Friedrich, „wenn Ihr zu den andern Förſtern

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[179/0195] ſoll deine Mutter, die alte Hexe, keine verſchimmelte Brodrinde bekommen. Aber vorher ſollt ihr mir noch Beide in’s Hundeloch.“ Friedrich griff krampf- haft nach einem Aſte. Er war todtenbleich und ſeine Augen ſchienen wie Kryſtallkugeln aus dem Kopfe ſchießen zu wollen. Doch nur einen Augen- blick. Dann kehrte die größte, an Erſchlaffung grenzende Ruhe zurück. „Herr,“ ſagte er feſt, mit faſt ſanfter Stimme, „Ihr habt geſagt, was Ihr nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegen einander aufgehen laſſen, und nun will ich Euch ſagen, was Ihr verlangt. Wenn Ihr die Holzfäller nicht ſelbſt beſtellt habt, ſo müſſen es die Blaukittel ſein; denn aus dem Dorfe iſt kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja vor mir, und vier Wagen ſind es. Ich habe ſie nicht geſehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören.“ Er ſtockte einen Augenblick. — „Könnt Ihr ſagen, daß ich je einen Baum in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich je anderwärts gehauen habe, als auf Beſtellung? Denkt nach, ob Ihr das ſagen könnt?“ Ein verlegenes Murmeln war die ganze Ant- wort des Förſters, der nach Art der meiſten rauhen Menſchen leicht bereute. Er wandte ſich unwirſch und ſchritt dem Gebüſche zu. — „Nein Herr,“ rief Friedrich, „wenn Ihr zu den andern Förſtern 12*

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/195>, abgerufen am 17.05.2024.