sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit, und vor Allem ein grenzenloser Hochmuth, der nicht immer den Schein verschmähte, und dann Alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpirten möglicher Beschämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande der äußern vorzuziehen. Man darf nur sagen, er gewöhnte sich zu prunken, während seine Mutter darbte.
Diese unglückliche Wendung seines Charakters war indessen das Werk mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margreth immer stiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen Zustand der Verkommenheit versank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde scheu, saum- selig, sogar unordentlich, und Manche meinten, ihr Kopf habe gelitten. Friedrich ward desto lauter; er versäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein sehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß- billigung Mancher nicht übersehen ließ, war er gleich- sam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht sowohl Trotz zu bieten, als sie den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch- tern, anscheinend treuherzig, aber listig, prahlerisch und oft roh, ein Mensch, an dem Niemand Freude haben konnte, am wenigsten seine Mutter, und der dennoch durch seine gefürchtete Kühnheit und noch
13
ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer den Schein verſchmähte, und dann Alles daran ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter darbte.
Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum- ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß- billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich- ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch- tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch
13
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0209"n="193"/>ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor<lb/>
Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer<lb/>
den Schein verſchmähte, und dann Alles daran<lb/>ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher<lb/>
Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht<lb/>
unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande<lb/>
der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er<lb/>
gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter<lb/>
darbte.</p><lb/><p>Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters<lb/>
war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen<lb/>
man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren<lb/>
Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der<lb/>
Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für<lb/>
unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum-<lb/>ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr<lb/>
Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er<lb/>
verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein<lb/>ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß-<lb/>
billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich-<lb/>ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht<lb/>ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten,<lb/>
der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch-<lb/>
tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch<lb/>
und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude<lb/>
haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der<lb/>
dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[193/0209]
ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor
Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer
den Schein verſchmähte, und dann Alles daran
ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher
Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht
unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande
der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er
gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter
darbte.
Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters
war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen
man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren
Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der
Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für
unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum-
ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr
Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er
verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein
ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß-
billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich-
ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht
ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten,
der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch-
tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch
und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude
haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der
dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch
13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/209>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.