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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit, und vor
Allem ein grenzenloser Hochmuth, der nicht immer
den Schein verschmähte, und dann Alles daran
setzte, durch Wahrmachung des Usurpirten möglicher
Beschämung zu entgehen. Seine Natur war nicht
unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande
der äußern vorzuziehen. Man darf nur sagen, er
gewöhnte sich zu prunken, während seine Mutter
darbte.

Diese unglückliche Wendung seines Charakters
war indessen das Werk mehrerer Jahre, in denen
man bemerkte, daß Margreth immer stiller über ihren
Sohn ward und allmählich in einen Zustand der
Verkommenheit versank, den man früher bei ihr für
unmöglich gehalten hätte. Sie wurde scheu, saum-
selig, sogar unordentlich, und Manche meinten, ihr
Kopf habe gelitten. Friedrich ward desto lauter; er
versäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein
sehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß-
billigung Mancher nicht übersehen ließ, war er gleich-
sam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht
sowohl Trotz zu bieten, als sie den Weg zu leiten,
der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch-
tern, anscheinend treuherzig, aber listig, prahlerisch
und oft roh, ein Mensch, an dem Niemand Freude
haben konnte, am wenigsten seine Mutter, und der
dennoch durch seine gefürchtete Kühnheit und noch

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ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor
Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer
den Schein verſchmähte, und dann Alles daran
ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher
Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht
unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande
der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er
gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter
darbte.

Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters
war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen
man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren
Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der
Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für
unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum-
ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr
Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er
verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein
ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß-
billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich-
ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht
ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten,
der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch-
tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch
und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude
haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der
dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch

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[193/0209] ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer den Schein verſchmähte, und dann Alles daran ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter darbte. Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum- ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß- billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich- ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch- tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch 13

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/209>, abgerufen am 23.11.2024.