doch noch durchgängig einen scharfen, festen Strich zeichnet, wie der Rhein durch den Bodensee. Der Sauerländer ist ungemein groß und wohlgebaut, vielleicht der größte Menschenschlag in Deutschland, aber von wenig geschmeidigen Formen; kolossale Körperkraft ist bei ihm gewöhnlicher, als Behendig- keit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit und verflacht, sind sehr angenehm, und bei vor- herrschend lichtbraunem oder blondem Haare haben doch seine langbewimperten blauen Augen alle den Glanz und den dunkeln Blick der schwarzen. -- Seine Physionogmie ist kühn und offen, sein An- stand ungezwungen, so daß man geneigt ist, ihn für ein argloseres Naturkind zu halten, als irgend einen seiner Mitwestphalen; dennoch ist nicht leicht ein Sauerländer ohne einen starken Zusatz von Schlauheit, Verschlossenheit und praktischer Ver- standesschärfe und selbst der sonst Beschränkteste unter ihnen wird gegen den gescheidtesten Münster- länder fast immer praktisch im Vortheil stehen. -- Er ist sehr entschlossen, stößt sich dann nicht an Kleinigkeiten, und scheint eher zum Handel und gutem Fortkommen geboren, als dadurch und dazu herangebildet. Seine Neigungen sind heftig, aber wechselnd, und so wenig er sie Jemandes Wunsch zu Liebe aufgiebt, so leicht entschließt er sich aus eigener Einsicht oder Grille hierzu. -- Er ist ein
doch noch durchgängig einen ſcharfen, feſten Strich zeichnet, wie der Rhein durch den Bodenſee. Der Sauerländer iſt ungemein groß und wohlgebaut, vielleicht der größte Menſchenſchlag in Deutſchland, aber von wenig geſchmeidigen Formen; koloſſale Körperkraft iſt bei ihm gewöhnlicher, als Behendig- keit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit und verflacht, ſind ſehr angenehm, und bei vor- herrſchend lichtbraunem oder blondem Haare haben doch ſeine langbewimperten blauen Augen alle den Glanz und den dunkeln Blick der ſchwarzen. — Seine Phyſionogmie iſt kühn und offen, ſein An- ſtand ungezwungen, ſo daß man geneigt iſt, ihn für ein argloſeres Naturkind zu halten, als irgend einen ſeiner Mitweſtphalen; dennoch iſt nicht leicht ein Sauerländer ohne einen ſtarken Zuſatz von Schlauheit, Verſchloſſenheit und praktiſcher Ver- ſtandesſchärfe und ſelbſt der ſonſt Beſchränkteſte unter ihnen wird gegen den geſcheidteſten Münſter- länder faſt immer praktiſch im Vortheil ſtehen. — Er iſt ſehr entſchloſſen, ſtößt ſich dann nicht an Kleinigkeiten, und ſcheint eher zum Handel und gutem Fortkommen geboren, als dadurch und dazu herangebildet. Seine Neigungen ſind heftig, aber wechſelnd, und ſo wenig er ſie Jemandes Wunſch zu Liebe aufgiebt, ſo leicht entſchließt er ſich aus eigener Einſicht oder Grille hierzu. — Er iſt ein
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[247/0263]
doch noch durchgängig einen ſcharfen, feſten Strich
zeichnet, wie der Rhein durch den Bodenſee. Der
Sauerländer iſt ungemein groß und wohlgebaut,
vielleicht der größte Menſchenſchlag in Deutſchland,
aber von wenig geſchmeidigen Formen; koloſſale
Körperkraft iſt bei ihm gewöhnlicher, als Behendig-
keit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit
und verflacht, ſind ſehr angenehm, und bei vor-
herrſchend lichtbraunem oder blondem Haare haben
doch ſeine langbewimperten blauen Augen alle den
Glanz und den dunkeln Blick der ſchwarzen. —
Seine Phyſionogmie iſt kühn und offen, ſein An-
ſtand ungezwungen, ſo daß man geneigt iſt, ihn
für ein argloſeres Naturkind zu halten, als irgend
einen ſeiner Mitweſtphalen; dennoch iſt nicht leicht
ein Sauerländer ohne einen ſtarken Zuſatz von
Schlauheit, Verſchloſſenheit und praktiſcher Ver-
ſtandesſchärfe und ſelbſt der ſonſt Beſchränkteſte
unter ihnen wird gegen den geſcheidteſten Münſter-
länder faſt immer praktiſch im Vortheil ſtehen. —
Er iſt ſehr entſchloſſen, ſtößt ſich dann nicht an
Kleinigkeiten, und ſcheint eher zum Handel und
gutem Fortkommen geboren, als dadurch und dazu
herangebildet. Seine Neigungen ſind heftig, aber
wechſelnd, und ſo wenig er ſie Jemandes Wunſch
zu Liebe aufgiebt, ſo leicht entſchließt er ſich aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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