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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Wo könnte jemals wohl des Glückes Born
Aus anderm als aus eignem Herzen fließen?
Aus welcher Schaale wohl des Himmels Zorn
Als aus der selbstgebotnen sich ergießen?
O glücklich sein, geliebt und glücklich sein!
Möge mein Engel mir die Pfade deuten!
Da schrillt des Tempels Vorhang, zart und rein
Hör' ich's, wie Echo durch die Falten gleiten.
Standest an einem Krankenbett du je,
Nach wochenlangen selbstvergessnen Sorgen?
Hobst deine schweren Wimper in die Höh',
Gerührt zum heißen Dankgebet am Morgen,
Und sah'st auf des Genesenden Gesicht
Ein neuerwachtes Seelenleben schweben,
Und einen Liebesblick auf dich, wie nicht
Ihn Freund und nicht Geliebte können geben:
Hieltest du je den Griffel in der Hand
Und rechnetest mit frohem Geiz zusammen
Die Groschen, die du selber dir entwandt;
Schien jeder Heller dir wie Gold zu flammen,
Des Preises für den fremden Sorgenpfühl,
Um den du deine Freuden schlau betrogen,
Und hast in deines Reichthums Vollgefühl
Tief, tief den Odem in die Brust gesogen:
Wo könnte jemals wohl des Glückes Born
Aus anderm als aus eignem Herzen fließen?
Aus welcher Schaale wohl des Himmels Zorn
Als aus der ſelbſtgebotnen ſich ergießen?
O glücklich ſein, geliebt und glücklich ſein!
Möge mein Engel mir die Pfade deuten!
Da ſchrillt des Tempels Vorhang, zart und rein
Hör’ ich’s, wie Echo durch die Falten gleiten.
Standeſt an einem Krankenbett du je,
Nach wochenlangen ſelbſtvergeſſnen Sorgen?
Hobſt deine ſchweren Wimper in die Höh’,
Gerührt zum heißen Dankgebet am Morgen,
Und ſah’ſt auf des Geneſenden Geſicht
Ein neuerwachtes Seelenleben ſchweben,
Und einen Liebesblick auf dich, wie nicht
Ihn Freund und nicht Geliebte können geben:
Hielteſt du je den Griffel in der Hand
Und rechneteſt mit frohem Geiz zuſammen
Die Groſchen, die du ſelber dir entwandt;
Schien jeder Heller dir wie Gold zu flammen,
Des Preiſes für den fremden Sorgenpfühl,
Um den du deine Freuden ſchlau betrogen,
Und haſt in deines Reichthums Vollgefühl
Tief, tief den Odem in die Bruſt geſogen:
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[13/0029] Wo könnte jemals wohl des Glückes Born Aus anderm als aus eignem Herzen fließen? Aus welcher Schaale wohl des Himmels Zorn Als aus der ſelbſtgebotnen ſich ergießen? O glücklich ſein, geliebt und glücklich ſein! Möge mein Engel mir die Pfade deuten! Da ſchrillt des Tempels Vorhang, zart und rein Hör’ ich’s, wie Echo durch die Falten gleiten. Standeſt an einem Krankenbett du je, Nach wochenlangen ſelbſtvergeſſnen Sorgen? Hobſt deine ſchweren Wimper in die Höh’, Gerührt zum heißen Dankgebet am Morgen, Und ſah’ſt auf des Geneſenden Geſicht Ein neuerwachtes Seelenleben ſchweben, Und einen Liebesblick auf dich, wie nicht Ihn Freund und nicht Geliebte können geben: Hielteſt du je den Griffel in der Hand Und rechneteſt mit frohem Geiz zuſammen Die Groſchen, die du ſelber dir entwandt; Schien jeder Heller dir wie Gold zu flammen, Des Preiſes für den fremden Sorgenpfühl, Um den du deine Freuden ſchlau betrogen, Und haſt in deines Reichthums Vollgefühl Tief, tief den Odem in die Bruſt geſogen:

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/29>, abgerufen am 03.05.2024.