Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

andern stellte, wenn er dachte, dieser werde den
Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem
Leben davonkommen. -- Kurz der Münsterländer
besitzt den Muth der Liebe, und einer unter dem
Schein des Phlegmas versteckten schwärmerischen
Religiösität, so wie er überhaupt durch Eigenschaften
des Herzens ersetzt, was ihm an Geistesschärfe ab-
geht, und der Fremde verläßt mit Theilnahme ein
Volk, das ihn zwar mitunter langweilte, dessen
häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung ein-
flößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. --
Müssen wir noch hinzufügen, daß alles bisher
Gesagte nur das Landvolk angeht? -- ich glaube
"nein", Städter sind ja überall gleich, Kleinstädter
wie Großstädter. -- Oder, daß alle diese Zustände
am Verlöschen sind, und nach vierzig Jahren viel-
leicht wenig mehr davon anzutreffen sein möchte?
-- Auch leider "nein," es geht ja überall so!


andern ſtellte, wenn er dachte, dieſer werde den
Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem
Leben davonkommen. — Kurz der Münſterländer
beſitzt den Muth der Liebe, und einer unter dem
Schein des Phlegmas verſteckten ſchwärmeriſchen
Religiöſität, ſo wie er überhaupt durch Eigenſchaften
des Herzens erſetzt, was ihm an Geiſtesſchärfe ab-
geht, und der Fremde verläßt mit Theilnahme ein
Volk, das ihn zwar mitunter langweilte, deſſen
häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung ein-
flößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. —
Müſſen wir noch hinzufügen, daß alles bisher
Geſagte nur das Landvolk angeht? — ich glaube
„nein“, Städter ſind ja überall gleich, Kleinſtädter
wie Großſtädter. — Oder, daß alle dieſe Zuſtände
am Verlöſchen ſind, und nach vierzig Jahren viel-
leicht wenig mehr davon anzutreffen ſein möchte?
— Auch leider „nein,“ es geht ja überall ſo!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0308" n="292"/>
andern &#x017F;tellte, wenn er dachte, die&#x017F;er werde den<lb/>
Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem<lb/>
Leben davonkommen. &#x2014; Kurz der Mün&#x017F;terländer<lb/>
be&#x017F;itzt den Muth der Liebe, und einer unter dem<lb/>
Schein des Phlegmas ver&#x017F;teckten &#x017F;chwärmeri&#x017F;chen<lb/>
Religiö&#x017F;ität, &#x017F;o wie er überhaupt durch Eigen&#x017F;chaften<lb/>
des Herzens er&#x017F;etzt, was ihm an Gei&#x017F;tes&#x017F;chärfe ab-<lb/>
geht, und der Fremde verläßt mit Theilnahme ein<lb/>
Volk, das ihn zwar mitunter langweilte, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung ein-<lb/>
flößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. &#x2014;<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir noch hinzufügen, daß alles bisher<lb/>
Ge&#x017F;agte nur das Landvolk angeht? &#x2014; ich glaube<lb/>
&#x201E;nein&#x201C;, Städter &#x017F;ind ja überall gleich, Klein&#x017F;tädter<lb/>
wie Groß&#x017F;tädter. &#x2014; Oder, daß alle die&#x017F;e Zu&#x017F;tände<lb/>
am Verlö&#x017F;chen &#x017F;ind, und nach vierzig Jahren viel-<lb/>
leicht wenig mehr davon anzutreffen &#x017F;ein möchte?<lb/>
&#x2014; Auch leider &#x201E;nein,&#x201C; es geht ja überall &#x017F;o!</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
    <back>
</back>
  </text>
</TEI>
[292/0308] andern ſtellte, wenn er dachte, dieſer werde den Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem Leben davonkommen. — Kurz der Münſterländer beſitzt den Muth der Liebe, und einer unter dem Schein des Phlegmas verſteckten ſchwärmeriſchen Religiöſität, ſo wie er überhaupt durch Eigenſchaften des Herzens erſetzt, was ihm an Geiſtesſchärfe ab- geht, und der Fremde verläßt mit Theilnahme ein Volk, das ihn zwar mitunter langweilte, deſſen häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung ein- flößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. — Müſſen wir noch hinzufügen, daß alles bisher Geſagte nur das Landvolk angeht? — ich glaube „nein“, Städter ſind ja überall gleich, Kleinſtädter wie Großſtädter. — Oder, daß alle dieſe Zuſtände am Verlöſchen ſind, und nach vierzig Jahren viel- leicht wenig mehr davon anzutreffen ſein möchte? — Auch leider „nein,“ es geht ja überall ſo!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/308
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/308>, abgerufen am 23.11.2024.