Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Einst war er arm, hat kümmerlich gezehrt, Wohl kümmerlicher noch als Andre eben; Da, heißt es, hab' um eines Thalers Werth Er einen Dieb dem Galgen übergeben. Jung sei der Dieb gewesen, hungerbleich, Und seine Mutter krank, man glaubt es gleich; Dies folgt dem Reichen; sieh die Hütten drüben! Dort wohnt die Noth, sein ist ihr Gut geblieben. Man kann ihn fleißig in der Kirche sehn, Und seine Sitten dürfte Keiner rügen; Doch seit des Körpers Kräfte ihm vergehn, Muß einem schweren Siechthum er erliegen; So oft der Vollmond senkt den blassen Schein, Hüllt er sich schaudernd in das Lailach ein, Und kömmt vom Bett, das Kerzenstümpflein tragend, Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend. Durch jene Hüttenfenster sieht man dann Am langen Tisch ihn emsig wieder zählen, Am Golde schaben, und mit raschem Spann Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen; Schon ist auch wohl ein Schrei hinausgeschallt, Als thue einer Seele man Gewalt, Bis ihm die Arme sinken wie verwittert, Und weiter er mit seinem Stümpfchen zittert. Einſt war er arm, hat kümmerlich gezehrt, Wohl kümmerlicher noch als Andre eben; Da, heißt es, hab’ um eines Thalers Werth Er einen Dieb dem Galgen übergeben. Jung ſei der Dieb geweſen, hungerbleich, Und ſeine Mutter krank, man glaubt es gleich; Dies folgt dem Reichen; ſieh die Hütten drüben! Dort wohnt die Noth, ſein iſt ihr Gut geblieben. Man kann ihn fleißig in der Kirche ſehn, Und ſeine Sitten dürfte Keiner rügen; Doch ſeit des Körpers Kräfte ihm vergehn, Muß einem ſchweren Siechthum er erliegen; So oft der Vollmond ſenkt den blaſſen Schein, Hüllt er ſich ſchaudernd in das Lailach ein, Und kömmt vom Bett, das Kerzenſtümpflein tragend, Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend. Durch jene Hüttenfenſter ſieht man dann Am langen Tiſch ihn emſig wieder zählen, Am Golde ſchaben, und mit raſchem Spann Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen; Schon iſt auch wohl ein Schrei hinausgeſchallt, Als thue einer Seele man Gewalt, Bis ihm die Arme ſinken wie verwittert, Und weiter er mit ſeinem Stümpfchen zittert. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0089" n="73"/> <lg n="3"> <l>Einſt war er arm, hat kümmerlich gezehrt,</l><lb/> <l>Wohl kümmerlicher noch als Andre eben;</l><lb/> <l>Da, heißt es, hab’ um eines Thalers Werth</l><lb/> <l>Er einen Dieb dem Galgen übergeben.</l><lb/> <l>Jung ſei der Dieb geweſen, hungerbleich,</l><lb/> <l>Und ſeine Mutter krank, man glaubt es gleich;</l><lb/> <l>Dies folgt dem Reichen; ſieh die Hütten drüben!</l><lb/> <l>Dort wohnt die Noth, ſein iſt ihr Gut geblieben.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Man kann ihn fleißig in der Kirche ſehn,</l><lb/> <l>Und ſeine Sitten dürfte Keiner rügen;</l><lb/> <l>Doch ſeit des Körpers Kräfte ihm vergehn,</l><lb/> <l>Muß einem ſchweren Siechthum er erliegen;</l><lb/> <l>So oft der Vollmond ſenkt den blaſſen Schein,</l><lb/> <l>Hüllt er ſich ſchaudernd in das Lailach ein,</l><lb/> <l>Und kömmt vom Bett, das Kerzenſtümpflein tragend,</l><lb/> <l>Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Durch jene Hüttenfenſter ſieht man dann</l><lb/> <l>Am langen Tiſch ihn emſig wieder zählen,</l><lb/> <l>Am Golde ſchaben, und mit raſchem Spann</l><lb/> <l>Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen;</l><lb/> <l>Schon iſt auch wohl ein Schrei hinausgeſchallt,</l><lb/> <l>Als thue einer Seele man Gewalt,</l><lb/> <l>Bis ihm die Arme ſinken wie verwittert,</l><lb/> <l>Und weiter er mit ſeinem Stümpfchen zittert.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0089]
Einſt war er arm, hat kümmerlich gezehrt,
Wohl kümmerlicher noch als Andre eben;
Da, heißt es, hab’ um eines Thalers Werth
Er einen Dieb dem Galgen übergeben.
Jung ſei der Dieb geweſen, hungerbleich,
Und ſeine Mutter krank, man glaubt es gleich;
Dies folgt dem Reichen; ſieh die Hütten drüben!
Dort wohnt die Noth, ſein iſt ihr Gut geblieben.
Man kann ihn fleißig in der Kirche ſehn,
Und ſeine Sitten dürfte Keiner rügen;
Doch ſeit des Körpers Kräfte ihm vergehn,
Muß einem ſchweren Siechthum er erliegen;
So oft der Vollmond ſenkt den blaſſen Schein,
Hüllt er ſich ſchaudernd in das Lailach ein,
Und kömmt vom Bett, das Kerzenſtümpflein tragend,
Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend.
Durch jene Hüttenfenſter ſieht man dann
Am langen Tiſch ihn emſig wieder zählen,
Am Golde ſchaben, und mit raſchem Spann
Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen;
Schon iſt auch wohl ein Schrei hinausgeſchallt,
Als thue einer Seele man Gewalt,
Bis ihm die Arme ſinken wie verwittert,
Und weiter er mit ſeinem Stümpfchen zittert.
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