sehendes Auge, verflucht sich, sein Geschlecht, seine Stadt, und das Schicksal eilt seinen Spruch zu erfüllen, bis der Bruder den Bru- der erschlagen hat, bis ein Trümmerhaufe die Stätte dreifacher Blutschuld deckt.
Und schon beginnt Frevel und Blutschuld heimisch zu werden unter den Menschen, die Zeit der Heroen eilt ihrem Ende zu; die Fürstensöhne, die um die schöne Helena geworben, sitzen daheim bei Weib und Kind, und kämpfen nicht mehr gegen Riesen und Frevel. Da rufen die Herolde der Atriden zum Heereszuge gen Osten auf; gen Osten ist Helena entführt von dem Gastrechtschänder Paris. Von Aulis aus ziehen die Fürsten Griechenlands gen Asien, und mit den Fürsten ihre Getreuen und ihre Völker. Lange Jahre hindurch kämpfen und dulden sie, und Achilles feiert die Leichenspiele seines Freundes Patroklus; dann trifft ihn selbst der Pfeil des Ver- räthers und des Kampfes Ende ist gekommen; Troja fällt. Wohl haben die Achäer erreicht, was sie wollten, aber die Heimath ist für sie verloren; die einen sterben in den Fluthen des empörten Meers, andere zerstreuen sich in die fernen Länder der Barbaren, oder er- liegen der blutigen Tücke, die am heimathlichen Heerde ihrer harrt. Die Zeit der Heroen ist vorüber, und von dem entarteten Geschlecht wenden die Götter ihr Antlitz.
So die Sagen und die Ahnungen des Volks; und als an den Küsten des Aegäischen Meres die Gesänge der Homeriden verstumm- ten, begannen sie sich zu erfüllen. Aus fernem Osten drangen die Heere der Perser heran, sie kämpften am Halys, bald unter den Mauern von Sardes, und mit dem Lydierreiche fielen die Hellenischen Städte der Küste, die, jetzt in Barbarenhand, den Blick der freiern Hellenen von Neuem gen Osten lenkten und zu unablässigen Kämpfen für die Freiheit aufriefen. Jene Städte empörten sich, von den Athenern unterstützt drangen die Jonier siegreich bis Sardes vor, aber nur um desto tiefer zu fallen. Mit der Einnahme Milets war die ganze Küste geknechtet; die Inseln unterwarfen sich, die See ward von Phönizischen Flotten beherrscht, ihre Nordküste von Persern besetzt, schon kamen Gesandte des großen Königs nach dem Griechischen Festlande und forderten Erde und Wasser. Aber in der Ebene von Marathon retteten die Athener ihre junge Frei- heit, und schützten die Hellenische Heimath vor dem Joche Asiatischer
ſehendes Auge, verflucht ſich, ſein Geſchlecht, ſeine Stadt, und das Schickſal eilt ſeinen Spruch zu erfüllen, bis der Bruder den Bru- der erſchlagen hat, bis ein Trümmerhaufe die Stätte dreifacher Blutſchuld deckt.
Und ſchon beginnt Frevel und Blutſchuld heimiſch zu werden unter den Menſchen, die Zeit der Heroen eilt ihrem Ende zu; die Fürſtenſöhne, die um die ſchöne Helena geworben, ſitzen daheim bei Weib und Kind, und kämpfen nicht mehr gegen Rieſen und Frevel. Da rufen die Herolde der Atriden zum Heereszuge gen Oſten auf; gen Oſten iſt Helena entführt von dem Gaſtrechtſchänder Paris. Von Aulis aus ziehen die Fürſten Griechenlands gen Aſien, und mit den Fürſten ihre Getreuen und ihre Völker. Lange Jahre hindurch kämpfen und dulden ſie, und Achilles feiert die Leichenſpiele ſeines Freundes Patroklus; dann trifft ihn ſelbſt der Pfeil des Ver- räthers und des Kampfes Ende iſt gekommen; Troja fällt. Wohl haben die Achäer erreicht, was ſie wollten, aber die Heimath iſt für ſie verloren; die einen ſterben in den Fluthen des empörten Meers, andere zerſtreuen ſich in die fernen Länder der Barbaren, oder er- liegen der blutigen Tücke, die am heimathlichen Heerde ihrer harrt. Die Zeit der Heroen iſt vorüber, und von dem entarteten Geſchlecht wenden die Götter ihr Antlitz.
So die Sagen und die Ahnungen des Volks; und als an den Küſten des Aegäiſchen Meres die Geſänge der Homeriden verſtumm- ten, begannen ſie ſich zu erfüllen. Aus fernem Oſten drangen die Heere der Perſer heran, ſie kämpften am Halys, bald unter den Mauern von Sardes, und mit dem Lydierreiche fielen die Helleniſchen Städte der Küſte, die, jetzt in Barbarenhand, den Blick der freiern Hellenen von Neuem gen Oſten lenkten und zu unabläſſigen Kämpfen für die Freiheit aufriefen. Jene Städte empörten ſich, von den Athenern unterſtützt drangen die Jonier ſiegreich bis Sardes vor, aber nur um deſto tiefer zu fallen. Mit der Einnahme Milets war die ganze Küſte geknechtet; die Inſeln unterwarfen ſich, die See ward von Phöniziſchen Flotten beherrſcht, ihre Nordküſte von Perſern beſetzt, ſchon kamen Geſandte des großen Königs nach dem Griechiſchen Feſtlande und forderten Erde und Waſſer. Aber in der Ebene von Marathon retteten die Athener ihre junge Frei- heit, und ſchützten die Helleniſche Heimath vor dem Joche Aſiatiſcher
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[6/0020]
ſehendes Auge, verflucht ſich, ſein Geſchlecht, ſeine Stadt, und das
Schickſal eilt ſeinen Spruch zu erfüllen, bis der Bruder den Bru-
der erſchlagen hat, bis ein Trümmerhaufe die Stätte dreifacher
Blutſchuld deckt.
Und ſchon beginnt Frevel und Blutſchuld heimiſch zu werden
unter den Menſchen, die Zeit der Heroen eilt ihrem Ende zu; die
Fürſtenſöhne, die um die ſchöne Helena geworben, ſitzen daheim bei
Weib und Kind, und kämpfen nicht mehr gegen Rieſen und Frevel.
Da rufen die Herolde der Atriden zum Heereszuge gen Oſten auf;
gen Oſten iſt Helena entführt von dem Gaſtrechtſchänder Paris.
Von Aulis aus ziehen die Fürſten Griechenlands gen Aſien, und
mit den Fürſten ihre Getreuen und ihre Völker. Lange Jahre
hindurch kämpfen und dulden ſie, und Achilles feiert die Leichenſpiele
ſeines Freundes Patroklus; dann trifft ihn ſelbſt der Pfeil des Ver-
räthers und des Kampfes Ende iſt gekommen; Troja fällt. Wohl
haben die Achäer erreicht, was ſie wollten, aber die Heimath iſt für
ſie verloren; die einen ſterben in den Fluthen des empörten Meers,
andere zerſtreuen ſich in die fernen Länder der Barbaren, oder er-
liegen der blutigen Tücke, die am heimathlichen Heerde ihrer harrt.
Die Zeit der Heroen iſt vorüber, und von dem entarteten Geſchlecht
wenden die Götter ihr Antlitz.
So die Sagen und die Ahnungen des Volks; und als an den
Küſten des Aegäiſchen Meres die Geſänge der Homeriden verſtumm-
ten, begannen ſie ſich zu erfüllen. Aus fernem Oſten drangen die
Heere der Perſer heran, ſie kämpften am Halys, bald unter den
Mauern von Sardes, und mit dem Lydierreiche fielen die Helleniſchen
Städte der Küſte, die, jetzt in Barbarenhand, den Blick der freiern
Hellenen von Neuem gen Oſten lenkten und zu unabläſſigen
Kämpfen für die Freiheit aufriefen. Jene Städte empörten ſich,
von den Athenern unterſtützt drangen die Jonier ſiegreich bis
Sardes vor, aber nur um deſto tiefer zu fallen. Mit der Einnahme
Milets war die ganze Küſte geknechtet; die Inſeln unterwarfen ſich,
die See ward von Phöniziſchen Flotten beherrſcht, ihre Nordküſte
von Perſern beſetzt, ſchon kamen Geſandte des großen Königs nach
dem Griechiſchen Feſtlande und forderten Erde und Waſſer. Aber
in der Ebene von Marathon retteten die Athener ihre junge Frei-
heit, und ſchützten die Helleniſche Heimath vor dem Joche Aſiatiſcher
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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