daß Athen der strengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag, und daß es jenen Weisen zum Giftbecher verdammte, der statt der heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend verführte, daß sie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre zu folgen.
Das Ende des Peloponnesischen Krieges ist ein entschei- dender Wendepunkt in der Geschichte Griechenlands; der lineare Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa- ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der Bildung und des Bewußtseins ausgeschlossen hatte, mußte sich über alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie sie der Zeit entsprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor- persischen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie- ben war, desto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrschaft, die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde in dasselbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die alte Spartanerstadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorsam waren die er- sten Forderungen ihres großen Gesetzgebers gewesen; jetzt strömten die reichen Tribute Joniens und der Inseln nach Sparta zusam- men, jetzt herrschten die daheim zu blindem Gehorsam Gewöhnten in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol- lust, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs. Sie kämpften gegen die Perser, aber nicht in dem großartigen In- teresse der Hellenischen Freiheit, über die sie mit dem Golde der Barbaren triumphirt hatten; sie sandten ein Söldnerheer, mit dem der Empörer Cyrus gegen seinen Bruder und Herrn auszog; sie sandten an die Asiatischen Städte, die sich in ihre Arme geworfen, Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per- sien zu verlieren; sie sandten endlich ihren hochfahrenden König Agesilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinasiens, den dieser voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg aller Hellenen angesehen wissen wollte, obschon von den größeren Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während seiner Ab- wesenheit eine Reaktion aus, die um so bedenklicher war, je weni- ger Sparta selbst auf seine alten Bundesgenossen rechnen konnte; kaum hatte Agesilaus Zeit, aus Asien zurückzukehren, um in der
daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag, und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre zu folgen.
Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei- dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa- ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor- perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie- ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft, die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er- ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam- men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol- luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs. Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In- tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen, Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per- ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab- weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni- ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte; kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der
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daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag,
und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der
heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend
verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre
zu folgen.
Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei-
dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare
Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa-
ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der
Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über
alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit
entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor-
perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie-
ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft,
die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde
in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die
alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er-
ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten
die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam-
men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten
in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol-
luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs.
Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In-
tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der
Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem
der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie
ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen,
Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per-
ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König
Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den
dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von
Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg
aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren
Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab-
weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni-
ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte;
kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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