zu weit gegangen, als er die Grenzen Abendländischer Nachbar- schaft überschritt und jenseits der Syrischen Wüste seine Völker zum Siege führte, wollte er Asiens Völker nichts als den Namen der Knechtschaft tauschen, ja sie nichts als den härteren, unnatürli- chen Druck höherer geistiger Entwickelung empfinden lassen, so war kaum der Augenblick des Sieges ihres Gehorsams gewiß, und ein Angstschrei der Völker, ein sengender Sommer, ein zweifelhafter Erfolg hätte genügt, die Chimäre selbstsüchtiger Eroberung zu zerstö- ren. Anders Alexander; er siegte als Vorkämpfer eines freien Volkes, und seine Siege sollten die Völker befreien, so viel sie frei zu sein vermochten; seine Macht selbst, so unendlich gering ihrem materiellen Gehalte nach, sollte in der Zustimmung der Völker Halt und Erfolg gewinnen; sie mußte sich gründen auf die Anerkenntniß jeder Volksthümlichkeit in Sitte, Gesetz und Religion; was die Perser so tief gedrückt hatten und so gern erdrückt hätten, was nur ihre Ohnmacht oder Sorglosigkeit der That, nicht dem Rechte nach hatte gewähren lassen, das mußte nun neu und frei erstehen, und sich unmittelbar zum Hellenischen Leben verhalten, um mit ihm verschmelzen zu können. Das hatte der König in Memphis und Gordium, in Tyrus und Jerusalem erreicht; das war der Sinn der neuen Opfer, die er, von Chaldäischen Priestern unterstützt, dem großen Baal darbrachte, das der Grund seines Befehles, die von Xerxes geplünderten Heiligthümer von Neuem zu schmücken, den Belusthurm wieder herzustellen, den Dienst der Babylonischen Göt- ter fortan frei und prächtig, wie zu Nebukadnezars Zeit, zu bege- hen. So gewann er die Völker für sich, indem er sie sich selbst und ihrem volksthümlichen Leben wieder gab; so machte er sie fä- hig, auf thätige und unmittelbare Weise in den Zusammenhang des Reiches, das er zu gründen im Sinne trug, einzutreten, eines Reiches, in dem die Unterschiede von Abend und Morgen, von Griechen und Barbaren, wie sie bis dahin die Geschichte entwickelt hatte, untergehen sollten zu der Einheit einer Weltmonarchie.
Wie aber? sollten fortan die Satrapen, die Umgebung des Königs, die Großen des Reichs nur Macedonier sein, so war ja jene Ineinsbildung nur Vorwand oder Illusion, die Volks- thümlichkeiten nicht anerkannt, sondern nur geduldet, die Vergan- genheit nur durch das Unglück und schmerzliche Erinnerungen an
zu weit gegangen, als er die Grenzen Abendländiſcher Nachbar- ſchaft überſchritt und jenſeits der Syriſchen Wüſte ſeine Völker zum Siege führte, wollte er Aſiens Völker nichts als den Namen der Knechtſchaft tauſchen, ja ſie nichts als den härteren, unnatürli- chen Druck höherer geiſtiger Entwickelung empfinden laſſen, ſo war kaum der Augenblick des Sieges ihres Gehorſams gewiß, und ein Angſtſchrei der Völker, ein ſengender Sommer, ein zweifelhafter Erfolg hätte genügt, die Chimäre ſelbſtſüchtiger Eroberung zu zerſtö- ren. Anders Alexander; er ſiegte als Vorkämpfer eines freien Volkes, und ſeine Siege ſollten die Völker befreien, ſo viel ſie frei zu ſein vermochten; ſeine Macht ſelbſt, ſo unendlich gering ihrem materiellen Gehalte nach, ſollte in der Zuſtimmung der Völker Halt und Erfolg gewinnen; ſie mußte ſich gründen auf die Anerkenntniß jeder Volksthümlichkeit in Sitte, Geſetz und Religion; was die Perſer ſo tief gedrückt hatten und ſo gern erdrückt hätten, was nur ihre Ohnmacht oder Sorgloſigkeit der That, nicht dem Rechte nach hatte gewähren laſſen, das mußte nun neu und frei erſtehen, und ſich unmittelbar zum Helleniſchen Leben verhalten, um mit ihm verſchmelzen zu können. Das hatte der König in Memphis und Gordium, in Tyrus und Jeruſalem erreicht; das war der Sinn der neuen Opfer, die er, von Chaldäiſchen Prieſtern unterſtützt, dem großen Baal darbrachte, das der Grund ſeines Befehles, die von Xerxes geplünderten Heiligthümer von Neuem zu ſchmücken, den Belusthurm wieder herzuſtellen, den Dienſt der Babyloniſchen Göt- ter fortan frei und prächtig, wie zu Nebukadnezars Zeit, zu bege- hen. So gewann er die Völker für ſich, indem er ſie ſich ſelbſt und ihrem volksthümlichen Leben wieder gab; ſo machte er ſie fä- hig, auf thätige und unmittelbare Weiſe in den Zuſammenhang des Reiches, das er zu gründen im Sinne trug, einzutreten, eines Reiches, in dem die Unterſchiede von Abend und Morgen, von Griechen und Barbaren, wie ſie bis dahin die Geſchichte entwickelt hatte, untergehen ſollten zu der Einheit einer Weltmonarchie.
Wie aber? ſollten fortan die Satrapen, die Umgebung des Königs, die Großen des Reichs nur Macedonier ſein, ſo war ja jene Ineinsbildung nur Vorwand oder Illuſion, die Volks- thümlichkeiten nicht anerkannt, ſondern nur geduldet, die Vergan- genheit nur durch das Unglück und ſchmerzliche Erinnerungen an
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zu weit gegangen, als er die Grenzen Abendländiſcher Nachbar-
ſchaft überſchritt und jenſeits der Syriſchen Wüſte ſeine Völker
zum Siege führte, wollte er Aſiens Völker nichts als den Namen
der Knechtſchaft tauſchen, ja ſie nichts als den härteren, unnatürli-
chen Druck höherer geiſtiger Entwickelung empfinden laſſen, ſo war
kaum der Augenblick des Sieges ihres Gehorſams gewiß, und ein
Angſtſchrei der Völker, ein ſengender Sommer, ein zweifelhafter
Erfolg hätte genügt, die Chimäre ſelbſtſüchtiger Eroberung zu zerſtö-
ren. Anders Alexander; er ſiegte als Vorkämpfer eines freien
Volkes, und ſeine Siege ſollten die Völker befreien, ſo viel ſie frei
zu ſein vermochten; ſeine Macht ſelbſt, ſo unendlich gering ihrem
materiellen Gehalte nach, ſollte in der Zuſtimmung der Völker Halt
und Erfolg gewinnen; ſie mußte ſich gründen auf die Anerkenntniß
jeder Volksthümlichkeit in Sitte, Geſetz und Religion; was die
Perſer ſo tief gedrückt hatten und ſo gern erdrückt hätten, was
nur ihre Ohnmacht oder Sorgloſigkeit der That, nicht dem Rechte
nach hatte gewähren laſſen, das mußte nun neu und frei erſtehen,
und ſich unmittelbar zum Helleniſchen Leben verhalten, um mit
ihm verſchmelzen zu können. Das hatte der König in Memphis
und Gordium, in Tyrus und Jeruſalem erreicht; das war der Sinn
der neuen Opfer, die er, von Chaldäiſchen Prieſtern unterſtützt, dem
großen Baal darbrachte, das der Grund ſeines Befehles, die von
Xerxes geplünderten Heiligthümer von Neuem zu ſchmücken, den
Belusthurm wieder herzuſtellen, den Dienſt der Babyloniſchen Göt-
ter fortan frei und prächtig, wie zu Nebukadnezars Zeit, zu bege-
hen. So gewann er die Völker für ſich, indem er ſie ſich ſelbſt
und ihrem volksthümlichen Leben wieder gab; ſo machte er ſie fä-
hig, auf thätige und unmittelbare Weiſe in den Zuſammenhang
des Reiches, das er zu gründen im Sinne trug, einzutreten, eines
Reiches, in dem die Unterſchiede von Abend und Morgen, von
Griechen und Barbaren, wie ſie bis dahin die Geſchichte entwickelt
hatte, untergehen ſollten zu der Einheit einer Weltmonarchie.
Wie aber? ſollten fortan die Satrapen, die Umgebung des
Königs, die Großen des Reichs nur Macedonier ſein, ſo war
ja jene Ineinsbildung nur Vorwand oder Illuſion, die Volks-
thümlichkeiten nicht anerkannt, ſondern nur geduldet, die Vergan-
genheit nur durch das Unglück und ſchmerzliche Erinnerungen an
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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