ken; es ist wahr, daß aus [d]em öffentlichen Leben aller Ernst, daß aus dem häuslichen Leben [a]lle Tugend und Schaam gewichen war, daß die Führer des Volk[es] sich, gleichviel von wem, erkaufen ließen, daß Griechische Söldner durch die Welt zerstreut für und gegen die Perser, für und gegen Fr[e]iheit, Tyrannei und Vaterland kämpften; aber es beweiset dies alles nur, daß die Zeit des alten demokratischen Lebens, der herrschenden Stadtgemeinden, des engen bürgerlichen Interesses vorüber, daß eine [n]eue Weise des staatlichen Lebens nöthig war. Zu viel Kraft war in [d]en Kämpfen von einem Menschenalter entbunden, zu viel Bedürfnisse [u]nd Genüsse zur Ge- wohnheit, zu viel Leben Bedingung des Lebens[ ]geworden, als daß der enge Raum eines Städtchens oder der klei[n]liche Streit zwi- schen städtischen Gemeinden hätte genügen können. Es hatten sich ungeheure Elemente der Gährung entwickelt, die eine Welt umzu- gestalten fähig waren; in die engen Schranken der Helle[n]ischen Hei- math gebannt konnten sie nur zerstörend wirken. Es [k]am alles darauf an, daß ihnen die rechte Richtung gegeben und ein [w]eiteres Feld zugetheilt wurde.
Niemals ist in Griechenland der Gedanke, den Fe[in]d im Osten zu vernichten, ganz vergessen worden. Alcibiades pha[n]tasti- sche Pläne scheiterten an seinem und seines Volkes Leichtsinn, Age- silaus war zu sehr Spartaner, um Grieche zu sein; die Tyran[n]en Thessaliens vergaßen, daß Tyrannei nicht das Werk der Freihe[it] zu Ende zu führen vermöge. Aber je lebendiger der Verkehr mit Asien wurde, je deutlicher die Ohnmacht und Zerrüttung des gro- ßen Reiches am Tage lag, je leichter und einträglicher die Ar- beit erschien, es zu vernichten, desto lebendiger und allgemei- ner wurde dieser Gedanke in den Völkern von Hellas. Tiefer blik- kende Geister erkannten, daß das Leben des Hellenischen Volkes, schon zu reich und beweglich für den engen Raum der Heimath, erst dann Einheit und Ruhe gewinnen könne, wenn es nach Außen hin die hochentwickelte Kraft versuche, und Isokrates rief mit lau- ten Worten die Staaten von Hellas auf, sich zum letzten Kampf gegen Asien zu vereinen. Da übernahm es König Philipp von Macedonien, und begann das große Werk, die Staaten Griechen- lands zum Kriege gegen Persien zu vereinen; und man muß geste-
ken; es iſt wahr, daß aus [d]em öffentlichen Leben aller Ernſt, daß aus dem häuslichen Leben [a]lle Tugend und Schaam gewichen war, daß die Führer des Volk[es] ſich, gleichviel von wem, erkaufen ließen, daß Griechiſche Söldner durch die Welt zerſtreut für und gegen die Perſer, für und gegen Fr[e]iheit, Tyrannei und Vaterland kämpften; aber es beweiſet dies alles nur, daß die Zeit des alten demokratiſchen Lebens, der herrſchenden Stadtgemeinden, des engen bürgerlichen Intereſſes vorüber, daß eine [n]eue Weiſe des ſtaatlichen Lebens nöthig war. Zu viel Kraft war in [d]en Kämpfen von einem Menſchenalter entbunden, zu viel Bedürfniſſe [u]nd Genüſſe zur Ge- wohnheit, zu viel Leben Bedingung des Lebens[ ]geworden, als daß der enge Raum eines Städtchens oder der klei[n]liche Streit zwi- ſchen ſtädtiſchen Gemeinden hätte genügen können. Es hatten ſich ungeheure Elemente der Gährung entwickelt, die eine Welt umzu- geſtalten fähig waren; in die engen Schranken der Helle[n]iſchen Hei- math gebannt konnten ſie nur zerſtörend wirken. Es [k]am alles darauf an, daß ihnen die rechte Richtung gegeben und ein [w]eiteres Feld zugetheilt wurde.
Niemals iſt in Griechenland der Gedanke, den Fe[in]d im Oſten zu vernichten, ganz vergeſſen worden. Alcibiades pha[n]taſti- ſche Pläne ſcheiterten an ſeinem und ſeines Volkes Leichtſinn, Age- ſilaus war zu ſehr Spartaner, um Grieche zu ſein; die Tyran[n]en Theſſaliens vergaßen, daß Tyrannei nicht das Werk der Freihe[it] zu Ende zu führen vermöge. Aber je lebendiger der Verkehr mit Aſien wurde, je deutlicher die Ohnmacht und Zerrüttung des gro- ßen Reiches am Tage lag, je leichter und einträglicher die Ar- beit erſchien, es zu vernichten, deſto lebendiger und allgemei- ner wurde dieſer Gedanke in den Völkern von Hellas. Tiefer blik- kende Geiſter erkannten, daß das Leben des Helleniſchen Volkes, ſchon zu reich und beweglich für den engen Raum der Heimath, erſt dann Einheit und Ruhe gewinnen könne, wenn es nach Außen hin die hochentwickelte Kraft verſuche, und Iſokrates rief mit lau- ten Worten die Staaten von Hellas auf, ſich zum letzten Kampf gegen Aſien zu vereinen. Da übernahm es König Philipp von Macedonien, und begann das große Werk, die Staaten Griechen- lands zum Kriege gegen Perſien zu vereinen; und man muß geſte-
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ken; es iſt wahr, daß aus dem öffentlichen Leben aller Ernſt, daß
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war, daß die Führer des Volkes ſich, gleichviel von wem, erkaufen
ließen, daß Griechiſche Söldner durch die Welt zerſtreut für und
gegen die Perſer, für und gegen Freiheit, Tyrannei und Vaterland
kämpften; aber es beweiſet dies alles nur, daß die Zeit des alten
demokratiſchen Lebens, der herrſchenden Stadtgemeinden, des engen
bürgerlichen Intereſſes vorüber, daß eine neue Weiſe des ſtaatlichen
Lebens nöthig war. Zu viel Kraft war in den Kämpfen von einem
Menſchenalter entbunden, zu viel Bedürfniſſe und Genüſſe zur Ge-
wohnheit, zu viel Leben Bedingung des Lebens geworden, als daß
der enge Raum eines Städtchens oder der kleinliche Streit zwi-
ſchen ſtädtiſchen Gemeinden hätte genügen können. Es hatten ſich
ungeheure Elemente der Gährung entwickelt, die eine Welt umzu-
geſtalten fähig waren; in die engen Schranken der Helleniſchen Hei-
math gebannt konnten ſie nur zerſtörend wirken. Es kam alles
darauf an, daß ihnen die rechte Richtung gegeben und ein weiteres
Feld zugetheilt wurde.
Niemals iſt in Griechenland der Gedanke, den Feind im
Oſten zu vernichten, ganz vergeſſen worden. Alcibiades phantaſti-
ſche Pläne ſcheiterten an ſeinem und ſeines Volkes Leichtſinn, Age-
ſilaus war zu ſehr Spartaner, um Grieche zu ſein; die Tyrannen
Theſſaliens vergaßen, daß Tyrannei nicht das Werk der Freiheit
zu Ende zu führen vermöge. Aber je lebendiger der Verkehr mit
Aſien wurde, je deutlicher die Ohnmacht und Zerrüttung des gro-
ßen Reiches am Tage lag, je leichter und einträglicher die Ar-
beit erſchien, es zu vernichten, deſto lebendiger und allgemei-
ner wurde dieſer Gedanke in den Völkern von Hellas. Tiefer blik-
kende Geiſter erkannten, daß das Leben des Helleniſchen Volkes,
ſchon zu reich und beweglich für den engen Raum der Heimath,
erſt dann Einheit und Ruhe gewinnen könne, wenn es nach Außen
hin die hochentwickelte Kraft verſuche, und Iſokrates rief mit lau-
ten Worten die Staaten von Hellas auf, ſich zum letzten Kampf
gegen Aſien zu vereinen. Da übernahm es König Philipp von
Macedonien, und begann das große Werk, die Staaten Griechen-
lands zum Kriege gegen Perſien zu vereinen; und man muß geſte-
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/26>, abgerufen am 23.11.2024.
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